Fritz Wunderlich Senenfoto Oper Graz

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Helge Letonja über seine Choreographie Untitled - a step for a dancer ... a breath for a tenor

Kulturwoche.at: Was hat Sie an Fritz Wunderlich berührt, das Ausgangspunkt für Ihre Choreographie wurde?

Fritz Wunderlich; Helge LetonjaHelge Letonja: Ich war in Kusel, in seinem Heimatort, und im Fritz Wunderlich-Museum, das dort von sehr rührigen Damen betreut wird und habe viel recherchiert. Es hat mich sehr berührt, dass Wunderlich aus ärmlichen Verhältnissen gekommen ist und es da diese Mutter gab, die auch wirklich für ihn sorgte - vor allem, nachdem sich der Vater das Leben genommen hatte. Musik war für diese Familie Brot, eigentlich Lebensmittel, um Geld zu verdienen, um zu überleben [Fritz Wunderlichs Mutter erteilte Geigenunterricht; Anm.]. Wenn jemand auf diese Weise mit Musik in Kontakt kommt, sodass sie Arbeit und Überleben ist, ist das eine andere Haltung, als wenn jemand einfach so aus dem Nichts sagt: "Ich gehe jetzt in die große Oper und werde Sänger." Er hatte diese begnadete Stimme, aber sein Zugang zur Musik war ein profaner. Er war ein bodenständiger und lebendiger Mensch ohne Allüren und das war auch spürbar und das hat mich sehr interessiert. Ich arbeite auch mit großen, berühmten Sängern zusammen, auch als Movement-Coach, und ich kenne diese Welt sehr gut. Ich weiß unter welchem Stress die Leute heute stehen und wie die Karrieren vorgeschrieben werden. Interessant ist, dass für Fritz Wunderlich immer Menschen da waren, die ihm geholfen haben. Zunächst diese Lehrerin, Margarete von Winterfeld, die blind war und die ihn daher mit ganz anderen Sinnen wahrnahm. Das ist ganz besonders, wenn du da jemanden hast, der dich nur vom Timbre deiner Stimme, dem Geruch, dem Atem, erfahren kann. Das ist auch Teil der Choreographie, wo die Tänzer die Augen zu haben. Berührt hat mich auch - und darum gibt es am Anfang die Paare - wie er seine Frau, die Harfenistin war, kennengelernt und einfach gesagt hat: "Die ist es! Die schnapp ich mir!" Und dass dann eine Künstlerin sagt: "Ja, ich trete zurück mit meiner Kunst, mit den Kindern, damit du deine Kunst machen kannst." Wie oft passiert denn das heute? Es gibt eine schöne Dokumentation vom SWR, wo Eva Wunderlich spricht und man spürt keine Bitterkeit, nur Atem und Leben. Das Atmen, das Weitergeben, das Miteinander, das war ein Überthema, für das ich versucht habe, choreographisch eine Sprache zu finden.

In Ihrer Choreographie gibt es auch dieses Akkordeon. Fritz Wunderlich hat schon als Kind Akkordeon gespielt und dazu gesungen, aber das ist natürlich auch ein Instrument, das atmet. Ist der Atem das, was einen Bezug zwischen dem Sänger zu den Tänzern schafft, die sich über ihren Körper ausdrücken?

Ja, sowohl Sänger, als auch Tänzer benützen den Körper und den Atem - als ein ganz wichtiges Instrument des Ausdrucks. Man braucht Atem, damit eine Bewegung oder ein Ton, Richtung und Raum, entstehen. Wir sind uns gar nicht so fremd, wir benützen nur unser Instrument auf andere Art und Weise. Musikalität entsteht auch in dem Moment, in dem man auf andere achtet, etwas miteinander teilt. Und das habe ich in diese choreographische Recherche einfließen lassen. Dieser Versuch, dass die Tänzer im Ensemble viel mehr miteinander atmen. Wir arbeiten wirklich so mit dieser Musik, dass wir sie "eratmen". Das muss der Sänger natürlich auch. Es war etwas schwierig für die Tänzer, die Musik nur zu fühlen, zu atmen, weil sie eher gewohnt sind, zu zählen. Und dann kamen verschiedene Aspekte zusammen. Wunderlich, der für seine Präzision gelobt wird, weil er ein präziser, klarer Sänger war, der aber auch ganz tief in die Rolle eingestiegen ist und versucht hat, die Texte für sich zu erarbeiten. Er war einer der wenigen, der Arien auch auf Deutsch gesungen hat, z.B. Tosca. Das ist wirklich selten. Das war die Idee für die Stelle, wo das Ensemble mit einander atmet und diese Präzision in den Bewegungen mit den Schuhen sucht. Im Prinzip habe ich also versucht, einen abstrakteren Zugang zur Geschichte zu finden. Und immer wieder Elemente reinzuholen, die menschlich und warmherzig sind. Auch in den Kostümen, die sind leicht plissiert, wie Pergament, auf dem man was schreibt. Und die Tänzerin auf Spitze symbolisiert das Herz, weil ich glaube, dass ein Künstler ohne offenes Herz keine Kunst machen kann. Und das ist wichtig, das zu formulieren, weil es wird heute so viel Kunst gemacht, die das Herz nicht mehr zum Menschen hin hat. Das ist, was ihn unterscheidet, und was Theaterbetriebe unterscheidet. Ich finde es gut, wenn wir dahin zurückkommen. Nicht, dass es so sein soll wie früher, aber man darf nicht vergessen, wir machen unsere Kunst für andere, um die Herzen der Menschen zu erreichen. Und das ist das Essentielle.

Ein eindrückliches Element Ihrer Choreographie sind Stiefel. Was hat es damit auf sich?

Fritz Wundelrich; Oper GrazWenn man einen Stiefel ansieht, dann könnte dieser auch eine Note sein auf einem weißen Papier. Und auch am Schluss - diese Referenz zum Jagdunfall. Er ist ja angeblich über seine eigenen Schnürsenkel gestolpert und hat sich den Schädel gebrochen. Die Schuhe symbolisieren natürlich auch weiterzugehen, Fußstapfen, in die man tritt, weiterzutragen. Ich stieß in Kusel oft auf den Satz, auch von berühmten Sängern: "Es gab später keinen, der so war, keiner, der in seine Fußstapfen treten konnte." Da habe ich mich gefragt, kann das sein? Wie soll denn das gehen? Es muss doch jeder seine eigene Form finden. Das ist auch so ein Aufhänger gewesen.

Letztendlich wird auch ein Paar Stiefel aufgehängt. Ich habe einmal einen Film aus Sibirien gesehen, wo die Frauen die Stiefel des abwesenden Mannes über dem Tisch aufgehängt haben. Und so lange diese baumelten, lebte er noch.

Ja, genau. Die Inuit machen das. Sie hängen die Schuhe ins Freie und so lange, sie sich bewegen, ist er am Leben und auf dem Weg, oder auf dem Weg zurück zu dir. Es ist so ein Bild, auch um zu sagen, er ist Schritte für uns gegangen. Eigentlich geht er immer noch Schritte für uns, denn es gibt ja noch die Tonträger. Jetzt müssen andere Künstler diese Schritte gehen. Aber man muss sie auch gehen lassen. Das liegt da alles drinnen. Und das ist eigentlich das letzte Bild. //

Interview und Text: © Andrea Schramek
Fotos: Oper Graz, © Leszek Januszewski, © Wolf Silveri

Wunderlich!
Ein Phänomen - drei Choreographien
1. bis 17. März 2018
Studiobühne der Grazer Oper

Choreographie: Jaione Zabala, Helge Letonja, João Pedro de Paula
Kostüme: Silke Fischer
Licht: Sebastian Alphons
Es tanzen: Marina Schmied, Fabio Toraldo, Simon Van Heddegem, Chris Wang, Enrique Sáez Martínez, Clara Pascual Martí, Bárbara Flora, Kana Imagawa, Astrid Julen, Danie Myers, João Pedro de Paula.