Ich erkenne alles, was du machst, was du brauchst, was du fühlst. Ich sehe, wann du Hunger hast und weiß, was dir gut tut. Ich bin immer Online. Wie wird sich die Menschheit der digitalen Technologie anpassen und wie viel künstliche Intelligenz wird vonnöten sein, damit wir wissen, wann wir z.B. wieder einmal etwas trinken müssen? Einen möglichen Blick auf die nicht allzu ferne Zukunft bietet das kollektiv kunststoff in ihrer knapp einstündigen Performance "Und die Erde ist doch eine Scheibe", empfohlen für Digital Natives ab 8 Jahren, empfehlenswert aber auch für die nicht-digitale Generation im (auch höheren) zweistelligen Lebensalter.

In the future water will be expensive.
In the future all material items will be free.

In der Zukunft werden wir alles wissen. In der Zukunft werden wir uns überhaupt nicht mehr auskennen. David Byrnes Zukunftsvorhersagen in "In The Future" aus "Music for the Knee Plays", geschrieben für die Avantgarde Oper "The CIVIL warS" von Robert Wilson (1984) kommen einem während des kurzweiligen Gedankenspiels "Und die Erde ist doch eine Scheibe" durchaus in den Sinn, wobei der Zugang freilich ein sinnlicher, verspielter, ein gar nicht düsterer, wenn auch ein durchaus kritischer, aber vollkommen unakademischer ist, was dem Stück zugute kommt und das (nicht nur junge) Publikum dankbar annimmt. Während Byrne die Zukunft mit einer Brass Band analog tonalisiert, liefert das kollektiv kunststoff elektronische Soundspielereien ab, sehr schön visualisiert von nita. mit der musikalischen Soundreife von Peter Plos.

Interview mit Waltraud Brauner und Raffaela Gras

 

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In the future everyone's house will be like a little fortress.
In the future everyone's house will be a total entertainment centre.

Der tägliche Lebensassistent in der Zukunft heißt Iris (der Name ergibt sich logisch aus dem verkehrt gelesenen). Ich bin ein Chip, den du als Linse in deinem Auge tragen kannst. Um Online zu sein benötigt man keine Endgeräte mehr gleich welcher Größe, sondern einfach ein Implantat im Auge - der Cyborg lässt grüßen, aber auch das Softwarepatent Eye Tracking von Facebook, die aus der Augenstellung messen kann, auf welchen Punkt am Bildschirm das Auge des Benutzers blickt, aber andererseits, so David Byrne, "In the future there will be so much going on that no one will be able to keep track of it". Das Herzstück für den Heimgebrauch ist die so genannte Kontaktfläche von Iris, eine Art Plexiglas, fast in Körpergröße. Die vier bravourös tänzelnden Darstellerinnen Christina Aksoy, Waltraud Brauner, Raffaela Gras und Stefanie Sternig zeigen uns die Hintergrundaktionen im täglichen Online-Leben - vom Surfen bis zum Hashtag, von der Augenregeneration bis zum Virus, und zwischendurch - sehr leiwand! - mimen sie auch noch eine erfolgreiche YouTuberin mit besonders bemerkenswert-nervigem Challenge. Und auch wenn die analoge Erde in der Zukunft ein unregelmäßiges Ellipsoid bleibt, die digitale Version verflacht zur Scheibe - die Antwort, ob uns Iris auf diesen Unterschied immer wieder mal aufmerksam machen wird, erfahren wir nicht im Stück, sondern erst in der Zukunft. Übrigens: In der Zukunft wird diese Performance ein Klassiker werden. Unbedingt anschauen! //

Text: Manfred Horak
Fotos: Bernhard Wolf

Scheiben-Info:
Und die Erde ist doch eine Scheibe
Bewertung: @@@@@
Altersempfehlung: 8+
Kritik zur Aufführung am 6.4.2018 im Dschungel Wien
Konzept: kollektiv kunststoff
Performance: Christina Aksoy, Waltraud Brauner, Raffaela Gras, Stefanie Sternig
Visuals: nita.
Klangregie, Sound: Peter Plos
Kostüm: Sophie Baumgartner
Dramaturgische Beratung: Martina Rösler
Technische Leitung: Silvia Auer