Er sorgt dafür, dass wir uns nicht bewegen können. Unsere Gelenke werden starr. Er engt uns ein. Er heilt. Der Gips als alltägliches Material in der Medizin, der seit Jahrhunderten den Heilungsprozess bei Knochenbrüchen vorantreibt und uns gleichzeitig unsere Bewegungsfreiheit nimmt. Man kann diese formbare Materie hassen und lieben, die Matthias Krische hier zum Zentrum seines Bühnenbildes macht und als Abguss von Flaschen, menschlichen Füßen und Händen aushärten ließ. Für die acht Frauen in Julia Burgers Inszenierung "Missionen Schönheit - Holofernesmomente" im Werk X (Wien) ist das Schönsein ebenfalls Segen und Fluch zugleich. Sie sind Opfer des anderen Geschlechts und Täterinnen aus Hoffnung.

Am Rande eines Gips-Massakers

Die Buchvorlage von Sibylle Berg erzählt von acht Frauen, die alle den Namen einer biblischen Figur tragen, die im Alten Testament den Feldherrn Holofernes enthauptet, um ihr Volk zu retten. Die Erzählerinnen in Bergs Text, die alle auf den Namen Judit hören, sind keine Meuchelmörderinnen. Töten werden einige von ihnen trotzdem. Die deutsche Dramaturgin erzählt von Judit der Unscheinbaren und von Judit der Exotischen. Von den Judits aus Neapel, Berlin und Brüssel. Von Judit der stolzen Miss Po, der ungeliebten Ehefrau und der glücklichen Familienmörderin. Die acht etappenweise sehr dramatischen Geschichten handeln von Vergewaltigungen, Depression und männlicher Repression und werden von den Schauspielerinnen Paola Aguilera und Anna Kramer ins Publikum geschmettert, das ungeschützt am Rande des Gips-Massakers sitzt.

Die Hässlichen haben es gut

Wie die gegossenen Requisiten, die Körperteile aus gehärtetem Gips, sitzen die steif gewordenen Zuschauer auf ihren Stühlen im schummrig beleuchteten Raum, wenn Judit aus Berlin die Glasscherbe ansetzt, um endlich etwas zu fühlen. "Die Hässlichen haben es gut, die werden wenigstens gequält", sagt sie während sie mit der imaginären Scherbe an den Konturen ihres Gesichts entlang schneidet. Erst die Lippen, die Brauen, dann die Wangenknochen. Alles, um endlich interessant, vielleicht sogar schön zu sein. Bevor die nächste Geschichte und die nächste Schockstarre folgt, wird jedes Mal der Song "Do the Bambi" von der Band Stereo Total eingespielt. Die Textzeilen "You're so pretty" oder "You broke my heart in two" erzählen in den Pausen zwischen den Monologen die gleiche Geschichte.

Sie schaden sich selbst oder ihren Nächsten, um sich schön und geliebt zu fühlen

Verletzlich scheinen sie alle, die Frauen mit dem biblischen Namen - auch wenn sie töten und verführen. Sie schaden sich selbst oder ihren Nächsten, um sich schön und geliebt zu fühlen. Gleichzeitig wird ihnen Schaden zugefügt, weil sie schön sind. Auf dieser paradoxen Ebene fügen sich die acht Monologe während des einstündigen Stücks zu einem traurigen Bild zusammen. Einem Bild von Frauen aus unterschiedlichen Städten, jeden Alters, die auf Grund ihres Geschlechts Gefangene sind. Ihre Möglichkeiten sind beschränkt; wie die Bewegungsrichtung eines eingegipsten Gelenks gibt es nur einen Weg für sie: vor oder zurück. Ein Ausbrechen aus den vorgegebenen Bahnen wäre schmerzhaft und würde den Heilungsprozess verlangsamen. Lediglich in einem kurzen "Holofernesmoment", befreien sich Sibylle Bergs Figuren, um den Feind - den männlichen Feind - zu verführen oder zu töten. Auf der Bühne bleibt es an diesem Abend lediglich bei einem Ausbruchsversuch, wenn Anna Kramer mit der Gipsschere kämpft, um sich aus ihrer Bandage zu befreien - vergeblich. //

Text: Kim Höbel
Fotos: Sandra Keplinger

Missionen der Schönheit - Holofernesmomente
Nach einem Buch von Sibylle Berg
Bewertung: @@@
Kritik zur Aufführung am 24.02.2018 im Werk X

Inszenierung: Julia Burger
Mit: Paola Aguilera, Anna Kramer
Bühne: Matthias Krische
Produktionsleitung: Stephan Werner
Assistenz: Natalja Kreil
Produktion: Reschen.See in Kooperation mit Werk X