Georg Danzer im Interview

Im Jahr 2003 feierte Georg Danzer sein 30jähriges Bühnenjubiläum, u.a. mit der Veröffentlichung der DVD "Sonne, Mond & Sterne" (BMG), einem Querschnitt seines Schaffens über drei Jahrzehnte.

Wir haben deswegen so viel Kultur, weil es uns gut geht: Interview mit Georg Danzer

Manfred Horak traf Georg Danzer zu einem anregenden Gespräch über Politik, Wertesysteme, Literatur und Musik. Des Danzers aktuelles Album heißt "Persönlich" und wurde u.a. mit den Gastsängerinnen Katja Riemann und Zabine, sowie mit Saxofonist Wolfgang Puschnig, Achim Tang am Bass und Christian Eigner, der ja auch für Depeche Mode trommelt, eingespielt, und erstmals gab der österreichische Liedermacher die Produktion eines Albums außer Hand, lieferte nur die Basic Tracks ab.

Kulturwoche.at: Welchen Stellenwert räumst du nach 30 Jahren Bühnenerfahrung noch Live-Konzerten ein?

Georg Danzer: Live-Konzerte sind von der beruflich-finanziellen Seite ein relativer Fixposten, der einfach Geld ins Haus bringt. Die Tantiemen sind ja leider weit zurück gegangen, was nicht nur mich, sondern die gesamten deutschsprachigen Künstler betrifft, auch Musikern wie Udo Lindenberg. Darüber hinaus ist es nach wie vor ein Teil meines Lebens. Es ist schön live zu spielen. Man kann neue Sachen ausprobieren, mit dem Publikum kommunizieren, man weiß dadurch, ob ein Lied funktioniert. Wobei ich mit ‘funktionieren' jetzt nicht unbedingt meine, ob ein Lied beim Publikum gut ankommt, sondern ob man sich selbst dabei wohl fühlt. Man singt auf der Bühne anders als bei Proben und im Studio. Ich hab auf „Sonne & Mond“ wieder einmal sehr stark gespürt, dass viele der Songs live einfach homogener sind und - im Vergleich zu den Studioaufnahmen - besser rüber kommen. Sie haben mehr Druck und – was bei Studioaufnahmen ja selten geworden ist – man spielt sein Instrument während man singt. Nicht zuletzt sind Live-Konzerte eine gute Voraussetzung dafür, dass einem später wieder neue Lieder einfallen.

Wie schaffst du es weiterhin in deinen alten Liedern, die du im Lauf der Jahre ja bereits unzählige Male live gespielt hast, das Feuer aufrechtzuerhalten, dass sie nicht uninspiriert klingen?

Georg Danzer: Das Interessante bei alten Liedern ist, dass sie natürlich einem gewissen Automatismus unterliegen. Man kann sie – wie man so schön sagt – im Schlaf spielen. Bei Liedern, die man nicht häufig spielt, muss man sich natürlich um vieles mehr konzentrieren, da muss man sehr aufpassen, nicht zu stolpern. Wenn sich aber ein Lied tatsächlich automatisiert hat, steht man drüber und kann wieder freier interpretieren und auch experimentieren. Das ist der Vorteil gegenüber jenen Liedern, die man nicht so häufig spielt, die dadurch einer gewissen Beengtheit unterliegen.
Prinzipiell spiele ich live nur Lieder, die ich mag. Ich will mich nicht durch irgendwelche Lieder durchquälen, die mir mittlerweile fern sind, auch wenn manche Leute solche Lieder in den Konzerten gerne hören würden. Allerdings glaube ich nicht, dass das Publikum tatsächlich gerne Lieder hört, die man selbst nicht gerne spielt. Das spürt man ja sehr deutlich. Der wesentliche Instinkt des Publikums ist, ob man sich auf der Bühne wohl fühlt. Es gibt nichts Schlimmeres zu beobachten, als einen Künstler, dessen Auftritt ihm selbst peinlich ist.

Bob Dylan sagte einmal, dass es besser gewesen wäre, manche Lieder nicht geschrieben zu haben. Trifft das für einige deiner Kompositionen auch zu?

Georg Danzer: Ja, klar. Ich will es aber anders formulieren: Manche Lieder hätte man besser nicht veröffentlicht. Ein schlechtes Lied zu schreiben, ist wie jemandem, den man nicht mag, eine fürchterlich aufzulegen – und es tatsächlich zu tun. Es also zu veröffentlichen ist der Fehler. In dem Moment der Veröffentlichung findet man es allerdings gut, sonst würde man es ja nicht veröffentlichen, es sei denn wiederum, dass man unter einem enormen Druck steht, und die Plattenfirma es so will. Dann schreibt man halt schnell irgendeinen Stiefel z'samm. Wobei ich z.B. die LP "Ruhe vor dem Sturm" von 1981 in 14 Tagen geschrieben habe, ohne Druck von außen, dennoch wollte ich möglichst schnell damit fertig werden, weil ich spürte, dass es fließt. Henry Miller sagte einmal, wenn man Schriftsteller ist, muss man den Wasserhahn aufdrehen, und wenn's nur tröpfelt, sollte man ihn möglichst rasch wieder zudrehen und etwas anderes tun. Wenn es aber fließt, sollte man es ausnutzen.

Wie war das generell in dieser Zeit, bei Alben wie "Notausgang", "Traurig aber wahr", etc.?

Georg Danzer: In den frühen 1980ern war es insofern einfacher, weil man wirklich limitiert war auf sich und seinem Instrument. Heute ist man viel mehr den Verlockungen des Computers ausgesetzt. Wenn man die Gelegenheit hat, auf dem Computer irgendein Loop oder Sample zu nehmen, und sich daran voranhantelt, dann entsteht zwar aufs erste Hinhören etwas, das vielleicht oberflächlich gehört geil klingt, aber bei näherer Betrachtung die lebendige Substanz vermisst. Deswegen arbeite ich auch heute noch so, dass ich meine Gitarre, ein Heft zum Schreiben und einen DAT-Rekorder, aber keinesfalls einen Computer, nehme und mich irgendwo in Spanien zurückziehe, damit ich von niemanden erreicht werde.

Hat insofern das Lied "Zerschlagt die Computer" für dich weiterhin Gültigkeit?

Georg Danzer: "Zerschlagt die Computer" habe ich aus einem anderen Grund geschrieben, und – erstens einmal – ist es eines jener Lieder für mich, die ich besser nicht geschrieben hätte, weil es letztendlich nur ein Rundumschlag ist. Aus damaliger Sicht war es ganz anders zu verstehen. Es ging um den gläsernen Menschen, um den Überwachungsstaat. Man weiß heute, dass Deutschland jenes Land innerhalb der EU mit der häufigsten Telephonüberwachung ist. Ich habe aber nichts gegen Heim-Computer, ich liebe meinen Apple, solange er funktioniert, wenn er mich in Stich lässt und verarscht, dann hasse ich ihn, aber das geht ja jedem so. Ich liebe auch das Internet, E-Mails zu schreiben und zu surfen; wenn ich bei Google einen Begriff eingebe – z.B. an welchem Tag Robespierre geköpft wurde und ich finde das innerhalb von zwei Minuten – das schätze ich schon sehr. Die weltweite Vernetzung kann eine enorme Hilfe sein, aber es täuscht mitunter auch. Wir sind zwar weltweit vernetzt, aber nicht mit Nahrung. In Russland verhungern Leute in ihren Häusern, und in anderen Ländern geht es Menschen noch ungleich schlechter, da hilft das ganze Internet nichts. Peter Ustinov sagte kürzlich: "Terror ist der Krieg der Armen, Krieg ist der Terror der Reichen." Das ist ein sehr weiser Satz.

Kam aber nicht auch u.a. aufgrund von Internet das soziale Verhalten aus den Geleisen?

Georg Danzer: Das soziale Gefüge war nie wirklich IN den Fugen. Die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts waren sicherlich die geilste Zeit des Jahrhunderts, nicht weil ich da noch jünger war, sondern weil Popmusik auch einherging mit politischem Engagement, für Friedensbewegung, gegen Nachrüstung, gegen Pershing, etc. Es war eine Zeit, in der wir gefühlt haben, mit Kunst Politik bewegen zu können. Das hat man sich nach dem Ausbruch der ‘Neuen deutschen Welle' sehr rasch abgeschminkt, und es war plötzlich innerhalb eines Jahres absolut old-fashioned und Mega-out sich in irgendeiner Weise politisch zu engagieren. Es kommt jetzt langsam wieder, wenn Grönemeyer z.B. singt, "ich mag die Menschen, ich mag nicht den Staat", dann ist das ein politisches Statement und aus seinem Munde ist das auch glaubwürdig. Das Pendel schwingt, glaube ich, wieder in die andere Richtung, was man ja auch bei sehr erfolgreichen Künstlern wie Eminem raushören kann, auch wenn er sehr rüde ist. Meine Kinder aus erster Ehe sind z.B. eher wieder Hippies, die Generation davor waren Yuppies. Nicht nur darauf bedacht, auf ihren eigenen Erfolg zu schauen, sondern sie waren wirkliche Seicherln, die, wenn es drauf ankam, den Schwanz einzogen und keine Farbe bekannten. Das Leben in solch einer Geisteshaltung zu führen stelle ich mir übrigens sehr anstrengend vor, weil man ja immer Angst haben muss, sich zu vertun und auf der ‘falschen' Seite zu stehen. Außerdem glaube ich, dass die Selbstachtung bei Menschen, die unter extremen Opportunismus leben, zurückgeht. Hrdlicka z.B. sagte neulich in einem Interview, dass es für ihn unverständlich sei, dass es überhaupt Künstler gibt, die sich politisch nicht äußern.

...aber viele äußern sich eh schon wieder bzw. halt noch immer nicht...

Georg Danzer: Das mag schon sein, aber ich sage dir, dass dieser Opportunismus darauf beruht, dass sich viele sagen, sie wollen es sich mit Niemandem verderben, ich beiße nicht die Hand, die mich füttert. Wenn mich z.B. ein Staat subventioniert, kann ich nur schwer etwas gegen diesen Staat sagen. Wenn man aber den Film "Der Fall Furtwängler" sieht, weiß man in einem Atemzug, dass es nicht nur stimmt, wenn er sagte: "Ich konnte mein Land nicht verlassen, ich war ja Deutscher", sondern auch Bequemlichkeit und Feigheit war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich in Österreich bliebe, wenn sich die politische Situation in Österreich extrem verändert, so verändert, dass ich mir eingestehen müsste, ich kann zwar nichts dagegen tun, weil ich zu feig bin, um in den Untergrund zu gehen, mit den Umständen allerdings auch nicht leben könnte. Dann müsste ich die Konsequenzen ziehen.

Wie unerträglich ist die gegenwärtige politische Situation in Österreich für dich?

Georg Danzer: Mit unerträglich meine ich, wenn, angenommen, was aber nur mehr schwer vorstellbar ist, Haider Bundeskanzler wird. Dann verlasse ich Österreich. Die Frage stellt sich aber schon auch immer wieder: Wohin? Wo ist es besser?

Diese Frage hast du bereits in dem Song "Ich steig aus" gestellt ... "Komm steig aus!/aber wie?/Komm spring ab!/nur wohin?"

Georg Danzer: Ja. Um es auf einen kleinen Nenner zu bringen: Das wichtigste im Leben ist die Spontaneität.

Bleiben wir gleich bei Musik. Du warst einer der ersten Künstler aus Österreich, der eine CD veröffentlichte, nämlich "...und so weiter" aus dem Jahr 1983. Hast du "...und so weiter" im speziellen Blickwinkel des damals neuen Mediums CD betreffend aufgenommen?

Georg Danzer: Nein, eigentlich nicht. Ich habe mich einfach nicht dagegen versperrt und gewehrt, wie viele andere Künstler, die CDs zu dieser Zeit verteufelt haben, wie früher beim Beginn der Eisenbahnzeit, als manche Leute sagten: "Wenn du 30 Kilometer mit dem Zug fährst, erstickst du." Man hört natürlich einen deutlichen Unterschied zwischen CD und Vinyl: Von meinem 1999er-Album „Atemzüge“ gibt es z.B. eine wunderbare Analog-Edition, die wärmer klingt, wenn man einen guten Plattenspieler hat. Eine CD ist halt wesentlich kompatibler und ich behaupte auch zu sagen, wenn man selbst guten Musikern 5 Minuten die Höhen weg dreht, hören sie das nicht mehr, und wenn man sie später wieder dazu dreht, erscheint es ihnen zu schrill. Selbst Leute mit gut ausgeprägtem Gehörsinn und jeder gute Tontechniker muss nach einiger Zeit pausieren, weil sich das Ohr unheimlich schnell an bestimmte Klangbilder gewöhnt. So ist es auch bei CDs. Das digitale System aber deswegen zu verfluchen halte ich für verzopft. Ich finde CDs gut und finde auch DVDs wunderbar.

Hat sich für dich in der Produktionsweise seither etwas verändert?

Georg Danzer: Es kommt auf die Musik an. Eins ist schon klar: Wenn du analog aufnimmst – auf alten Mehrspur, 24 Spuren usw. – ist das sehr wohl deutlich hörbar, weil die Bandsättigung eine große Rolle spielt, vor allem z.B. bei Rockmusik mit hartem Schlagzeug. Wenn du gewisse Parts analog gut aufnimmst, erhältst du einen besseren Klang, aber während der Aufnahme daran zu denken, dass es eine CD wird und keine analoge LP halte ich für überflüssig. Paradebeispiel ist klassische Musik, in der eine ungeheure Dynamik drin steckt entgegen der Sager, die Dynamik leide darunter. Wenn ich analoge LPs und CDs der gleichen Aufnahme anhöre, fällt mir nach längerer Zeit jedenfalls kein Unterschied auf. Und außerdem kommt's ja auch immer auf die Hardware an.

Bist du aufgrund der längeren Spieldauer, die eine CD prinzipiell bietet im Laufe der Zeit unter Druck gekommen, mehr Lieder zu schreiben?

Georg Danzer: Nein, eigentlich nicht. Ich finde die vorherrschende Meinung völlig überflüssig, nur weil 75 Minuten Platz für Musik auf einer CD vorhanden ist, diese auch mit Musik voll zu quetschen. Wenn ich als Künstler eine CD aufnehme denke ich nicht darüber nach, wie lange die Spieldauer ist. Aber natürlich: Früher, wenn man sagte, ich hätte noch ein Lied, war es mitunter nicht möglich es noch auf die LP draufzutun, das kam dann oft als B-Seite der Vinyl-Single raus. Heutzutage ist es mehr oder minder egal, denn es gibt genug Speicherplatz.

Ist es nicht schade, dass es die Vinyl-Single nicht mehr gibt?

Georg Danzer: Ja, das ist sehr schade. Eine der genialsten Singles war ja "Hey Jude" von The Beatles. 7 Minuten auf einer Single und trotzdem hat sie gut geklungen. Aber es gibt eh noch die Club-Szene und DJs, die mit Maxi-Singles arbeiten, mit denen sie scratchen und was weiß ich was alles machen können. Die lieben die analogen Platten. Wer, bitte schön, hört analoge Platten heute noch zu Hause? Die meisten haben irgendeinen kleinen Lolly-CD-Player mit zwei Zwutschgerlboxen, welches man gratis bekommt, wenn man irgend ein Jahresabo in Anspruch nimmt.

1997 hast du als erster europäischer Künstler eine CD-Extra unter dem Titel "$ex im Internet" veröffentlicht...

Georg Danzer: Ja. Im Grunde genommen ist Blacky – mein Manager – derjenige, der sich mit diesen Dingen beschäftigt. Das ist sozusagen sein Hobby. Auch die DVD "Sonne, Mond & Sterne - Lieder & Geschichten aus 30 Jahren" geht auf seine Kappe und wäre ohne ihn nicht geschehen. Er hat zu dieser Form von Technologie eine ungeheure Affinität und sehr viel Spaß damit zu arbeiten. Darüber kann ich nur froh sein, denn ich benütze die Technik zwar, aber ich möchte mich nicht sonderlich damit auseinander setzen. Ich bin keiner, der zu Hause stundenlang nachliest, wie so etwas funktioniert. Wenn ich etwas aufnehmen will, aber nicht in der Lage bin ein gutes Audio-File auf den Bildschirm zu kriegen, beeinträchtigt das meine Kreativität ungemein. Da ist dann die Idee gleich wieder weg. Sich hinzusetzen und eine Partitur auf ein Blatt Papier oder auf die Manschetten zu schreiben ist sicher einfacher. Ich habe zwar Noten zu lesen gelernt, dies allerdings nie wirklich gebraucht, daher fällt es mir auch einigermaßen schwer vom Blatt zu spielen. Ich beneide Leute mit klassischer Ausbildung, die keinen Kassettenrekorder oder ähnliches brauchen. Das ist toll, ähnlich, wie jemand, der lesen kann und sich nicht ein Hörbuch kaufen muss, um Literatur kennen zulernen.

Hörbücher boomen derzeit aber gewaltig...

Georg Danzer: Ja, weil die Leute lesefaul sind. Ich lese unheimlich gerne und das tolle ist, dass du überall lesen kannst. Du kannst das Buch aufs Klo mitnehmen, ins Flugzeug – egal wohin – du brauchst nur das Buch. Lesen ist etwas ganz wichtiges und das macht einen Großteil unserer Kultur aus und in der Musik natürlich auch. Noten schreiben, Noten lesen. Es gibt nichts Schöneres wie eine Partitur in der Oper mitlesen zu können.

Du hast ja auch reichlich Erfahrungen mit Literaturübersetzungen gemacht. "Mein Name ist Kain" von Manuel Vicent war deine erste Übersetzung vom Spanischen ins Deutsche, danach folgte die Übersetzung von Vicents "Flug der erloschenen Schönheit". Welche Erfahrungen hast du damit gemacht?

Georg Danzer: Ich habe leider den Kontakt zu Manuel Vicent verloren, und habe die Zeit dazu nicht mehr gefunden weitere Bücher zu übersetzen. Außerdem ist es ein sehr schlecht bezahlter Job wenn man für den Residenz Verlag arbeitet. Die legen 3.000 Bücher auf und verkaufen nicht einmal so viel. Die Vorstellung jemanden wie z.B. Gabriel Garcia Marquez zu übersetzen reizt mich natürlich schon, auch wenn es eine Schweinearbeit ist. Als Übersetzer bist du ein reiner Steigbügelhalter. Du musst eine gewisse Kreativität in deiner eigenen Sprache haben, darfst aber nie so weit gehen, dass du den zu übersetzenden Autor verrätst, in dem du dem Text eine andere Deutung in ‘deiner' Sprache gibst, und etwas Neues schaffst. Deswegen sind vermutlich auch so viele Frauen im Übersetzerberuf tätig, weil sie vom genetischen und der Erziehung her mehr zur Demut begabt sind. Männer können schlechter zurückstecken, was bedauerlich ist für die Männer und für die Frauen gleichermaßen, weil den Frauen ein bisschen mehr aggressives Potenzial gut täte so wie den Männern, wenn sie sich mehr zurück nähmen könnten. Männer haben keine Gesprächskultur. Du musst immer den anderen überschreien. "Ich bin der Alpha-Typ, jetzt belle ich!" Ist das nicht furchtbar? Und die Frauen wehren sich leider zu wenig.

Du hast als Autor den Erzählband "Die gnädige Frau und das rote Reptil" veröffentlicht. Hast du als Autor heute wenig Avancen tätig zu sein?

Georg Danzer: “Die gnädige Frau und das rote Reptil“ ist ein spätpubertäres Werk und ist nur deshalb zustande gekommen, weil ich 1980 und 1981 einen enormen Höhenflug hatte und der Heyne Verlag an mich herangetreten ist. Ich habe halt irgendwelche alte Sachen aus der Schublade hervorgekramt und ein paar neue Texte geschrieben und innerhalb von einem halben Jahr 50.000 Stück verkauft, was für den Heyne Verlag und für mich sehr lukrativ war. Diesem Erzählband aber große literarische Qualitäten zuzusprechen, wäre übertrieben. Mit meinem zweiten Buch „Auf & Davon“ hatte ich Pech, weil während der Produktion der Verlag in Konkurs ging. Das Buch erschien dann zwar doch noch, aber mehr oder minder unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Um aber auf deine Frage zurückzukommen: Ich hätte schon Lust mehr zu schreiben, es ist aber immer eine Frage, was ich von mir selber erwarte. Ich habe keine Lust meine Memoiren zu schreiben, oder über die ‘wilden' 80er Jahre oder die reine Wahrheit über A 3 – obwohl bei letzterem sicherlich Angst bei manchen Leuten entstünde.

Wie viele Lieder schreibst du derzeit im Schnitt?

Georg Danzer: Zur Zeit schreibe ich eher wenig, weil ich nicht die Notwendigkeit verspüre Lieder zu schreiben. Ich probiere viel herum und schreib Ideen auf, aber nicht unbedingt unter dem Aspekt, dass daraus ein Lied entstehen muss. In Deutschland gibt es derzeit sicher einige, die sich den Kopf darüber zerbrechen, was sie zum Thema USA und Irak schreiben könnten. Konstantin Wecker hatte neulich bei einem Konzert "Willie" neu interpretiert, um über Bush, Irak und amerikanischen Militarismus zu sprechen. Das ist sicher legitim, aber, und das mag jetzt vielleicht resignativ klingen: Meine Kinder sagen mir immer, nachdem sie Radio hörten, "ständig ist nur von Krieg und toten Palästinensern die Rede", und haben dementsprechend Angst und eine Zeitlang nur Mäuse mit Gewehren gezeichnet. Sie haben Recht: Ich will das alles eigentlich auch nicht mehr hören und mir darüber den Kopf zerbrechen, ob Amerika den Irak bombardiert oder nicht. Das Schlimmste daran ist ja die Gewissheit zu haben, nichts dagegen tun zu können.

Die Menschheit hat enorme technologische Fortschritte gemacht, Regierungen aber sind irgendwie nie besser geworden und stabilen Frieden zu schaffen ist bis heute unmöglich. Glaubst du, dass die Menschheit es irgendwann schaffen wird?

Georg Danzer: Es ist ein sehr langsamer Prozess. Der Standard, den wir in den westlichen Demokratien haben - auch Amerika kann man da plötzlich nicht ausschließen, weil sie derzeit gerade Krieg führen und noch immer die Todesstrafe und Ku Klux Klan haben – ist schon ein sehr hoher. Wie sich Deutschland gerade verhält ist sehr lobenswert und steht dem Land auch sehr gut zu Gesicht, wenn man daran denkt, welch entsetzliches Leid Deutschland über die ganze Welt brachte. Ich glaube schon, dass solche Sachen wie Menschenrechte Errungenschaften sind, die im vorigen Jahrtausend noch undenkbar gewesen waren. Klar gibt es heute noch zu viele Menschen, die unterjocht werden und unter Grausamkeiten leiden. Kinder in Pakistan z.B., die hinterm Webstuhl sitzen und im Alter von 10 Jahren erblinden, damit wir uns bei Ikea einen billigen Teppich kaufen können. Letztendlich aber hat sich meiner Meinung nach schon etwas zum Positiven geändert, nur dauert es uns zu lang. Ich finde schon, dass eine Regierung wie in Deutschland oder auch Österreich – Blau hin, Schwarz her – auf einem weitaus höheren Niveau steht als irgendeine Regierung vor der französischen Revolution. Die Politiker denken jetzt auch anders, vielleicht weil sie wissen, dass nicht alles durch geht – siehe Watergate und vieles mehr – und weil es freien Journalismus gibt. Man darf nur nicht davon ausgehen, dass die Kurve der Besserung, so schwach die Tendenz auch vielleicht nach oben hin verläuft, immer so weiter geht. Es kann durchaus Rückschläge geben mit Szenarien wie in "Mad Max" z.B. Das ist nicht so weit weg zu weisen diese Vorstellung. Man muss sich nur vor Augen halten, was passierte, wenn drei Wochen der Strom ausfällt – was glaubst, was da los sein würde. Die ganze Demokratisierung hörte sich dann auf, es ginge nur noch um das Recht des Stärkeren. Wir haben nur deswegen so viel Kultur, weil es uns gut geht. Das muss einem klar sein.

Kann man diesem Szenario nicht irgend etwas Positives entgegen halten, dass sich der Mensch eben nicht so verhält sondern kultivierter?

Georg Danzer: Das Positive ist: Es gibt mehr Solidarität wie früher, es gibt mehr NGOs und Organisationen, die dafür sorgen, dass es zu einer besseren Umverteilung kommt. Meine Frau und ich haben z.B. zwei Patenkinder, eins in Afrika und eins in Südamerika. Das kostet lächerliche 30 Euro pro Kind und Monat, und es gibt Organisationen, die dafür sorgen, dass das auch wirklich funktioniert. Ich glaube – bildlich gesprochen - eine bestimmte Form von Bewusstsein ist irreversibel, genau so wie die Jungfräulichkeit, wenn sie einmal verloren ist, nicht mehr herstellbar ist. So lässt sich auch Bewusstsein, dass man einmal in einer Humangesellschaft erreicht hat nicht wieder reduzieren. Es sei denn, es kommt wieder zu einem katastrophalen Krieg oder zu einer Naturkatastrophe, die nur wenige Menschen übrig lässt, welche wieder anfangen müssen mit zwei Staberln Feuer zu machen, dann freilich wäre es vorbei.

Nimmt deiner Meinung nach generell die Bildung der Menschheit zu?

Georg Danzer: Heute steht mehr Menschen weniger Bildung zur Verfügung, im Gegensatz zu früher, wo wenigen Menschen mehr Bildung zustand. Heute weiß die breite Masse der Menschheit weniger als früher einzelne Personen, dafür kann die Mehrzahl der Menschheit schreiben. Das ist ein großer Vorteil, dass es zu einer Umverteilung von Bildung und Wissen gekommen ist, auch wenn das Niveau des Einzelnen vielleicht darunter gelitten hat. Es gilt, dieses Niveau zu heben ohne an Breite zu verlieren. Der beste Garant für ein demokratisches System ist, wenn Menschen Rücksicht aufeinander nehmen und miteinander solidarisch leben. Solidarisch heißt auch, nicht irgend etwas auf der Autobahn aus dem Fenster zu hauen, und zu denken, "es ist mir eh wurscht", sondern zu sagen, "das mache ich nicht, weil es ist Umweltverschmutzung und außerdem muss irgendjemand den Dreck wegräumen", und weil man das nicht tut, da man es als unsolidarisch gegenüber anderen empfindet. Das ist der Grundsatz; der lässt sich aber nur durch Erziehung und Bildung erreichen und dementsprechend geschultes Lernpersonal. Das ist das ganze Geheimnis, was aber nur dann funktioniert, wenn es uns wirtschaftlich halbwegs gut geht. Wenn es uns wirtschaftlich schlecht geht, werden all diese Werte als erstes über Bord geworfen, so wie z.B. bei großer Arbeitslosigkeit, weil plötzlich von Umweltschutz keine Rede mehr ist, weil lieber scheußliche Fabriken, die irrsinnigen Dreck in die Luft schleudern instand gehalten werden, um nur ja keinen einzigen Arbeitsplatz zu verlieren. Das kostet nämlich Stimmen bei der Wahl. Das ist die Teufelsschraube. Ich glaube nicht, dass der Zweck die Mittel heiligt. Ich glaube nicht, dass man mit bösen Dingen Gutes erreichen kann. Es ist verständlich jemanden foltern zu wollen, der jemandes Kind entführt hat und partout nicht verraten möchte, wo sich das Kind befindet - verständlich, aber abzulehnen...  //

Interview: Manfred Horak
Fotos: Sony BMG

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Georg Danzer CD Cover von PersönlichCD-Tipp:
Georg Danzer - Persönlich
Musik: @@@@
Klang: @@@@@
Label/Vertrieb: Sony BMG (2004)