"Ein Song ist dann gut, wenn er es schafft, seine Energie zu konzentrieren und damit in deine Seele zu schauen!", sagt der aus Kärnten stammende Musiker Nikolaj Efendi, der mit "Temper" sein zweites Solo-Album veröffentlicht. Parallel dazu schrieb Nikolaj Efendi, der auch Teil der Punk-Rock Band Roy de Roy ist, das Theaterstück "Die Stadt die uns das Feuer nahm". Erzählt wird sowohl auf dem Album, als auch im Stück die Geschichte von vier in einer Stadt lebenden Personen, die sich im Moment eines gesellschaftlichen Umbruchs befinden. Mehr zu den Hintergründen dieser Doppel-Veröffentlichung erzählt Nikolaj Efendi im Interview.

Kulturwoche.at: Wie bist du auf die Idee gekommen ein Theaterstück zu schreiben? Und was hat dich zu dieser Geschichte mit den vier Personen inspiriert?

Nikolaj Efendi: 2016 genoss ich einen riesigen Output. Ich fühlte mich wie ein Biber, dem die Zähne nicht aufhören zu wachsen, wenn er sie nicht abwetzt. Der ursprüngliche Plan war das Schreiben des neuen Albums, auf dem ich eine konzeptuelle Geschichte erschaffen wollte. Schon bei der Vorarbeit und bei der Entwicklung der Personen, die da vorkommen sollten, konnte ich mich vom Schreiben kaum losreißen. Drei Monate später war dann das Stück fertig - noch vor dem Album. Es hat mich einfach fasziniert, Charaktere zu kreieren, die sich in ihrer Stadt nach einem Putsch wiederfinden und versuchen, die neu entstandene Ordnung zu begreifen. Die Geschichte war zu groß, um sie alleine auf eine CD zu pferchen.

Wer sind diese vier Charaktere?

Die vier Charaktere sind Ilja, ein Schauspieler der untergetaucht ist und sich im Untergrund der neuen Herrschaft widersetzt; Dascha, die pensionierte Regisseurin, die die Stadt in Flammen sehen möchte; Kosmin, Chefredakteur der einzigen Zeitung und aktiver Verfechter der neuen Ordnung, sowie seine Frau Zora, Psychologin und Iljas Jugendfreundin. Die vier Charaktere sind über Ilja miteinander verbunden, und stehen auf oppositionellen Polen des gesellschaftlichen Umbruchs.

Wie ist die Verbindung zwischen Album und Theaterstück?

Ich wollte schon ganz lange ein transdisziplinäres Werk schaffen und eine Geschichte auf zwei unterschiedliche Arten erzählen: Einerseits anhand von dialogischer Narration und andererseits mit dem Schwerpunkt auf innere Monologe. Die verbindenden Elemente sind einerseits die Stadt, also der Ort an dem die Geschichte stattfindet, und andererseits die vier Charaktere.

Was bedeutet der Album-Titel "Temper"?

Mit diesem Titel wollte ich eine Brücke zwischen meinem Solo-Debüt "The Red Wine Conspiracy" und dem neuen Album bauen. Am Debütalbum, das sich stilistisch aufgrund seines akustischen Charakters und seinem Chanson-Charakter vom Nachfolger unterscheidet, besinge ich die Negativität von Veränderung sowie die Zwänge und Dynamiken, denen ich unterworfen bin. "Temper" ist der darauf folgende Befreiungsschlag aus eben diesen Zwängen und ein aktiver Wunsch nach Veränderung. "Temper" ist für mich gleichzeitig die Ermächtigung sich künstlerisch frei zu fühlen und ein produktiver Geisteszustand, in dem es möglich ist, mit Liebe und Hass in einen Dialog zu treten.

Wie haben sich das Schreiben der Songs bzw. das Schreiben für das Stück gegenseitig beeinflusst?

Beide waren die notwendige Pause voneinander! Wenn ich beim Komponieren nicht weiter kam, konzentrierte ich mich auf das Stück. Und umgekehrt. Somit konnte ich meine Ohren ausruhen und mein Hirn auslüften, ohne den Arbeitsfluss zu unterbrechen.

Wo siehst du den Unterschied zwischen der Musik deiner Band Roy de Roy, die im Punk/Rock/Folk zuhause ist und deinen Solo-Projekten?

Mit Roy de Roy spielen wir schon seit acht Jahren, wir sind eine Familie und das bleibt auch mein Hauptprojekt. Bei meinem Solo-Projekt genieße ich es, dass ich ohne großen Erwartungsdruck arbeiten kann. Ich habe mein eigenes Tempo, muss keine Kompromisse eingehen und kann neue Musikerinnen und Musiker, die mich inspirieren, einladen und mit ihnen ein Stück des Weges gehen. Es ist ein Freiraum in dem ich mich entwickeln und ausprobieren kann. Auch die Tatsache, dass ich von Album zu Album ein neues Programm schreibe, mir meine Band neu sortiere und nicht Genre gebunden komponieren kann, unterscheidet sich stark von dem Konzept, das wir mit Roy de Roy verfolgen. Musikalisch sehe ich schon Parallelen: Zwar singe ich bei Roy de Roy fast ausschließlich Slowenisch und die Lieder sind schneller und bedienen sich mehr Weltmusikmetaphern, aber die Handschrift meiner Songs bei beiden Bands ist schon erkenntlich.

Was macht für dich einen guten Song aus?

Das ist eine schwere Frage. Vor einem Jahr hätte ich darauf noch anders geantwortet. Da ich immer schon sehr auf Texte fokussiert war legte ich großen Wert auf die Geschichte und Stimmung der Songs und wünschte, mir von den Worten abgeholt zu werden. Aber dann lernte ich die Band Swans kennen, die mit ihrem Ambient/Drone/Metal mein bisheriges Verständnis von Songs komplett verändert hat. Ein Song ist dann gut, wenn er es schafft seine Energie zu konzentrieren und damit in deine Seele zu schauen.

Wo fühlst du dich wohler? Im Studio oder auf der Live-Bühne?

Zwar liebe ich die Arbeit im Studio samt der konzentrierten Atmosphäre, der zeitlosen Produktivität und den Unmengen an Kaffee, aber kaum ein Gefühl der Welt schlägt meine Liebe für die Bühne.


Welche Künstler bzw. Bands gefallen dir derzeit besonders gut?

Wie schon erwähnt, allen voran Swans. Ansonsten noch PJ Harvey, David Bowie, Bruce Springsteen.

Sind Zeiten des Umbruchs, wie z.B. aktuell in Österreich, in der sich politisch ein Wechsel andeutet, für einen Künstler besonders inspirierend?

Der Rechtsruck ist eine Katastrophe und wir sind uns noch gar nicht bewusst, welch gesellschaftliche Veränderungen dieses Klima mit sich bringen wird. Aber als Kärntner Slowene, der in Haider-Kärnten politisiert wurde, ist das kein zusätzlicher inspirationsstiftender Impuls.

Hast du ein Lieblingsbuch bzw. gibt es Autoren, die du besonders gerne magst?

Mein Lieblingsbuch ist wahrscheinlich "Das Spiel ist aus" von Jean-Paul Sartre. Das hab ich schon als Teenager gefeiert. Derzeit fasziniert mich Stoizismus, lese daher viel von Seneca und Epiktet. Ansonsten bewundere ich die beiden jüngeren Schriftsteller Stefan Feinig und Dominik Srienc.

Wo ist das witzige Foto am Ende des CD-Booklets entstanden? Schaut ein bisschen nach Badewanne aus?

Es ist tatsächlich in meiner Badewanne entstanden. Die Idee dahinter war es einen ehrlichen, privaten Moment festzuhalten: ohne großartiger Beleuchtung, ohne Schminke, ohne Kleidung.

In deiner Presseinfo ist das Dylan-Zitat "May your hands always be busy" usw. aus "Forever young" zu finden - was verbindest du damit?

Ich bin glücklich wenn ich arbeite und etwas kreieren kann und finde mich darum in diesem Zitat einfach wieder. Rumsitzen und auf den Kuss der Muse warten ist nicht mein Ding. Da stehe ich lieber jeden Tag auf, sperre mich in meinen Arbeitsraum, schalte mein Handy stumm und schreibe bis der Magen knurrt. //

Interview: Robert Fischer
Fotos: Reichmann

Live-Tipps
Nikolaj Efendi

Wien (AT) - B72 - 23.11.2017
Berlin (GER) - Maze - 2.12.2017
Bielefeld (GER) - Potemkin - 5.12.2017
Utrecht (NED) - ACU - 6.12.2017
Köln (GER) - Lichtung - 7.12.2017
Schw.Gmünd (GER) - a.l.s.o. - 8.12.2017
Hamburg (GER) - freundlich+kompetent - 3.2.2018
Bamberg (GER) - Liveclub - 5.2.2018