Die österreichische Sängerin und Saxofonistin Madeleine Joel legt mit der EP Tapetenwechsel das Nachfolgealbum zum Debüt Alles oder Nichts vor.
Madeleine Joel & The Hildeguards "Tapetenwechsel" – die CD-Kritik
Ein Tapetenwechsel beginnt nicht mit dem Lösen der alten Bahnen, sondern mit dem Entschluss, das alte neu zu betrachten als eine Art Verhandlung mit der Vergangenheit. Die alten Schichten können einfach überklebt werden, wie man Erinnerungen mit neuen Erfahrungen überzieht. Was darunter war, bleibt. Eine Übermalung haftet allerdings nicht immer gut auf dem Ungelösten, noch dazu ohne den Geruch des Alten los zu werden. Eine Coverversion ist im Grunde nichts anderes als ein musikalischer Tapetenwechsel. Auch hier steht man vor einer Wand – einer Melodie, die schon jemand anders geformt, beklebt, verziert hat. Die Frage ist: Überklebt man das Alte, lässt es darunter weiteratmen – oder zieht man es ab, bis nur noch das rohe Mauerwerk der Komposition bleibt? Diese Frage stellt sich umso mehr, wenn ein Album den Titel "Tapetenwechsel" trägt.
Eine neue Schicht, die zugleich das Alte durchscheinen lässt
Die österreichische Sängerin und Saxofonistin Madeleine Joel entschied sich genau für diesen Titel und legt mit der EP "Tapetenwechsel" das Nachfolgealbum zum Debüt "Alles oder Nichts" (2022) vor. Ihr Tapetenwechsel besteht aus vielen Schichten und allem zugrunde liegen die Lieder von Hildegard Knef, die am 28. Dezember 1925 in Ulm geboren wurde und am 1. Februar 2002 in Berlin starb. "Die Knef" war Schauspielerin, Sängerin, Schriftstellerin, und nicht zuletzt eine Überlebenskünstlerin – außergewöhnlich allemal. Klar war für Madeleine Joel von Beginn an, dass sie keine Knef-Kopistin sein wollte, sondern vielmehr Lieder aus deren großartigen Repertoire in die Gegenwart holen wollte, ins musikalische Heute. Das war bereits beim Debüt-Album so, und nun geht sie noch ein paar wesentliche Schritte weiter. Sie verlässt bisweilen den sanften Weg und verschiebt die vertrauten Erinnerungen an Knef tief ins Innerste der Musik. Wie beim Tapetenwechsel geht es letztlich um Haltung: Will man das Vergangene ehren oder überwinden? Will man in einem Raum wohnen, den schon jemand gestaltet hat, oder ihn entblößen, um das eigene Echo darin zu hören? Jede Coverversion ist eine Antwort auf diese Frage – und manchmal, im Glücksfall, wie bei der vorliegenden EP von Madeleine Joel, ist sie beides: eine neue Schicht, die zugleich das Alte durchscheinen lässt.
(Ich brauch’) Tapetenwechsel
Im Titelsong, zugleich das erste Lied der EP, schichtet der Produzent Georg Luksch elektronische Spuren noch und nöcher auf, bis zu 70 Spuren. "Der Aufwand", so Madeleine Joel, "war dermaßen zeitintensiv, das hätte ich nie geglaubt." Es hat sich gelohnt, denn mit Akribie und einem hohen Maß an Sensibilität findet hier tatsächlich der sprichwörtliche Tapetenwechsel statt. Electro-Pop mit dem eigenen Echo in der Gesangsspur und den fast schon mystischen Saxophon-Sounds von Madeleine Joel. Hier bleibt nur noch der wunderschöne Text mit der lyrischen Kraft von Hildegard Knef übrig, das Arrangement, instrumentale Umsetzung und Produktion ist hingegen das Jahr 2025 und darüber hinaus. Hildegard Knefs Lied "(Ich brauch’) Tapetenwechsel" aus dem Album "KNEF" (1970), das Einflüsse aus Jazz, Folk, Pop und Psychedelic-Rock vereinte, ist ein poetisches Manifest des Individuums, das nach Selbstverwirklichung strebt, nach der Möglichkeit, sich von gesellschaftlichen Erwartungen zu lösen und die eigene Existenz aktiv zu gestalten. In seiner inhaltlichen wie musikalischen Gestalt reflektiert es deutschsprachige Lyrik zwischen Anpassung und Eigensinn, zwischen Traum und Realität. Mit der Textzeile "Ich brauch’ Tapetenwechsel, sprach die Birke" löst sie ironisch die Grenze zwischen Mensch und Natur auf und versinnbildlicht das lyrische Ich, das den Stillstand nicht länger erträgt und einen radikalen Wandel der Lebensumstände fordert. Knef verwendet eine einfache, fast prosaische Sprache, deren poetische Kraft gerade in der Unmittelbarkeit liegt. "(Ich brauch’) Tapetenwechsel" ist zugleich persönliches Bekenntnis und allgemeine Parabel dem Konformismus zu entkommen, die eigene Identität zu behaupten. Das passt schon fast unheimlich perfekt zu Madeleine Joel, die gemeinsam mit Georg Luksch den Text anhand der neuen musikalischen Ausrichtung mit viel Geschick und Können in die Gegenwart bringt. Es ist auch ein Statement wider der Belanglosigkeiten, die es in "unserer" Zeit ja leider zuhauf gibt.
Jazz-Ballade und Pop-Song
Auf der Knef-LP "Halt mich fest" (1967) findet sich das Lied "Das Glück kennt nur Minuten", das Madeleine Joel in klassischer Jazzbesetzung neu einspielte. "Das Glück kennt nur Sekunden / der Rest ist Warteraum", heißt es an einer Stelle, und Joel bringt uns da "die Knef" wieder traditionell ins Gedächtnis zurück. An ihrer Seite Robert Bargad (Piano), Pista Bartus (Kontrabass) und Klemens Marktl (Schlagzeug) schweben die Musiker und mit ihnen die Sängerin durch das Gefühl der Eigenständigkeit, weit entfernt von jeglicher Imitation. Es ist gewissermaßen der stille Höhepunkt der EP, ein großer Berührungsmoment. Ein Jahr später erschien von Hildegard Knef das Album "träume heißen du" (1968), das vollgepackt mit Liedern von Cole Porter ist, darunter auch "Ich lieb‘ dich ganz pauschal". Die Cole-Porter-Texte übersetzte nicht "die Knef", sondern Mischa Mleinek. Auf "Tapetenwechsel" interpretiert Madeleine Joel im Duett mit Viktor Gernot das Lied, das im Original "All of you" heißt. Cole Porter schrieb es für sein Musical "Silk Stockings" (1954), indem wiederum Hildegard Knef (unter dem Pseudonym Hildegarde Neff) die Ninotschka verkörperte. Mit diesem Engagement blieb "die Knef" für viele Jahrzehnte die einzige Deutsche in einer Hauptrolle am Broadway. Der Song selbst entwickelte ein Eigenleben und gilt längst als Bestandteil vom Great American Songbook und Jazzstandard. Während "die Knef" den Song 478-mal am Broadway solo gesungen hat, interpretieren Madeleine Joel und Viktor Gernot das Liebeslied auf erfrischende und zeitgenössische Art im Duett. Solo-Passagen wechseln sich dabei seidig-warm bis ausdrucksstark und immer perfekt abgestimmt mit zweistimmigen Gesangsparts ab.
Heut‘ gefall ich mir
Im Dezember 1952, noch als Schellack-Single, erschien erstmals "Das Lied vom einsamen Mädchen", und gesungen von der damals 27-jährigen Hildegard Knef. Auf der B-Seite ist das Lied "Heut‘ gefall ich mir" zu hören (beide komponiert von Robert Gilbert und Werner Richard Heymann), das Madeleine Joel und ihr Produzent Georg Luksch nun von Grund auf erneuerte und in eine zeitgenössische Electro-Pop-Form goss. 1952 war geprägt vom Koreakrieg und auch sonst war es das Jahr der starken Männer: Der Republikaner Eisenhower löste als US-Präsident den Demokrat Truman ab. US-Physiker zündeten die erste Wasserstoffbombe im Pazifik während die erste britische Atombombe vor den australischen Montebello-Inseln abgeworfen wurde. Männliche Studenten und Akademiker erhielten erstmals die Möglichkeit eines Stipendiums für Studienaufenthalte in den USA und vice versa in Deutschland. Und Frauenrechte? Frauen durften in München über den ersten Zebrastreifen Deutschlands gehen und, wenn es der Ehemann erlaubte, sich die "Tagesschau" anschauen, die erstmals ausgestrahlt wurde. Ansonsten war es halt die Adenauer-Ära, was bedeutete, dass in Deutschland (BRD) das "Ehepartner-Gesetz" galt, das Frauen stark einschränkte. So benötigten Frauen z.B. die Zustimmung ihres Ehemannes, um berufstätig zu sein. Das Recht auf eigene Bankkonten und andere finanzielle Angelegenheiten war eine weitere Hürde für Frauen auf Selbstbestimmung. In diesem Umfeld veröffentlichte Hildegard Knef ihre dritte Single. In der letzten Strophe von "Heut‘ gefall ich mir" singt Knef: "Heut gefall' ich mir / ja heut gefall' ich mir / doch was mir keiner ansieht / ist die Angst in mir / Wie gefall' ich dir?" Das klingt nach wie vor sehr zeitgemäß. Man denke nur an all die Reality-TV-Formate, an diverse Promi-Wettlächeln oder auch nur an all den Click-Bait-Irrsinn, sowie auf Likes in den diversen Social-Media-Kanälen zu hoffen – und sei es, dass man sich dabei schonungslos verbiegt. Madeleine Joel: "Sich immer Gedanken darüber zu machen, wie ich anderen gefalle, ist auf Dauer belastend und stresst. Wenn ich mir selber gefalle und zufrieden bin, können andere Leute urteilen, wie sie wollen. Mich tangiert es nicht. Über meinen Wert als Mensch bestimme ich selber." Wie das Titellied bildet auch die Neuinterpretation von "Heut‘ gefall ich mir" die musikalische Gegenwart sehr gut ab. Ein großer Wurf mit Hit-Potenzial, der Madeleine Joel hier gelang.
Zu Neujahr rote Rosen
Wo Knef draufsteht sind rote Rosen drin, das gilt auch im Falle vom Tapetenwechsel der Joel. "Für mich soll’s rote Rosen regnen" wird hier im Duett mit Ulrike Beimpold gesungen. Das wohl bekannteste Lied von Knef kam erstmals 1968 als Single raus. Knefs rote Rosen hat einige Metamorphosen durchgemacht, alleine von ihr gibt es vier Versionen, u.a. jene mit der NDW-Band Extrabreit im Jahr 1992. Madeleine Joel und Ulrike Beimpold versuchten dem Lied neue Facetten zu geben, was nicht leicht ist, weil das Lied praktisch jede/r kennt. Im Original bei der Knef regnen die roten Rosen im breiten Orchestergewand auf die Hörer:innen hinab, bei Joel und Beimpold glänzen die roten Rosen im puristischen Jazzkleid. Am Ende des Liedes feiern die beiden darüber hinaus ihrer beider Freundschaft basierend auf das Knef-Lied "Eins und eins, das macht zwei" von 1963. "Ich liebe die Welt und dich" heißt es da abschließend, und das ist einfach nur schön. Den Schlusspunkt der EP setzt das Lied "Prosit Neujahr", das Knef unter dem Titel "Prost Neujahr" erstmals 1968 auf der LP "knef concert" veröffentlichte. Das Lied heißt im Original "Pee Wee’s Blues" und stammt von Pee Wee Russell aus dem Jahr 1963. Hildegard Knef sorgte für die deutsche Übersetzung. "Das bisschen Neid / das bisschen Angst / ist nun vorbei", heißt es an einer Stelle, und, "ganz uneingeschränkt / es war ein gutes Jahr". Das satte Jazz-Arrangement in Big Band Größe bei der Knef wird bei der Joel im Sextett mit den Herren Robert Bargad (p, arr.), Herwig Gradischnig (ts, bs), Johannes Herrlich (tb), Stefan Pista Bartus (b) und Klemens Marktl (dr) und natürlich mit Madeleine Joel (voc, as) neu grundiert, aber nur so viel, dass die Geste der Bewahrung hörbar bleibt. Das wichtigste dabei: es swingt. Und wie. Alles in allem ist die EP "Tapetenwechsel" eine Knef-Hommage, die in allen Belangen Sinn macht und viel Freude bereitet. //
Text: Manfred Horak
Fotos: Georg Graml (Cover), Lukas Beck
Link-Tipp:
HP von Madeleine Joel
Live-Tipps 2025:
13.11. Kammerlichtspiele Klagenfurt, Kärnten
14.11. Jazzclub Drosendorf, Niederösterreich
15.11. Jazz-Zirkel Weiden, Deutschland
16.11. Lions Club, Ammersee, Deutschland
12.12. Birdland, München, Deutschland
13.12. Café Museum, Passau, Deutschland
14.12. Jazz @ Cafe Traxlmayr Linz, Oberösterreich
27.12. Großes Geburtstagskonzert anlässlich Hildegard Knef's 100. Geburtstags mit Special Guests @ Porgy & Bess Wien, Österreich
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