Interview mit Emily Stewart über ihr Debüt-Album The Anatomy of Melancholy und über die Coronavirus bedingte frustrierende Situation.
Interview mit Emily Stewart
"The Anatomy of Melancholy" ist das Debütalbum von Emily Stewart. Die in London geborene und in Costa Rica aufgewachsene und heute in Wien lebende Komponistin und Geigerin Emily Stewart tourt regelmäßig mit Anja Plaschg (aka Soap & Skin), der schottischen Indie-Pop-Gruppe Belle and Sebastian sowie mit dem schwedischen Jazzpianisten und Komponisten Jan Lundgren, und sie ist auf dem Album "Alles bleibt" von Violetta Parisini zu hören. Nun präsentiert Emily Stewart ihr erstes eigenes Album, das eine äußerst überzeugende und vielseitige Kombination aus Klassik, Jazz und Folk-Elementen mit einem Schuss Improvisation und dem Storytelling aus der Perspektive eines Singer-Songwriters darstellt. Es ist eine spannende musikalische Erzählung, die auf Robert Burtons gleichnamigem Band von 1621 basiert: eine kontinuierliche Verschiebung von Sehnsucht zu Melancholie mit immer wieder überraschenden Zwischenstopps. Die Absage aller Kulturveranstaltungen bzw. aller Konzerte wegen dem Corona-Virus zwingt derzeit aber auch Emily Stewart zu einer künstlerischen Zwangspause.
Kulturwoche.at: Emily, wie ist dein Album-Debüt "The Antanomy of Melancholy" entstanden?
Emily Stewart: Ich machte mir oft Sorgen, dass ich in keinem Genre wirklich beheimatet bin, und dachte mir ich hätte nichts zu sagen. Aber dann fing ich vor drei Jahren an aus meinen ganzen Skizzen kleine Stücke zu bauen. Ich dachte mir, ich schreibe einfach ein Programm aus vielen Miniaturen - Miniatur, das schüchtert einem nicht so ein - und verwende dafür alles, was ich an Musik, und ja, auch an Texten habe. Je mehr ich Sachen ausprobiert habe, umso leichter war es neues zu komponieren und zu schreiben und Ideen miteinander zu verbinden. Zu der Zeit habe ich immer wieder mit dem Cellisten Lukas Lauermann gespielt, und ich mochte seine Art zu musizieren. Nebenbei verstanden wir uns gut, sowohl auf persönlicher als auch auf künstlerischer Ebene. Philipp Kienberger kannte ich von meiner Studienzeit in Linz, und ich spielte schon in seinem Quintett. Er hat ein großes Verständnis für verschiedene Musikstile und ist sehr offen Neues auszuprobieren. Es schien eine gute Mischung zu sein. Ich glaube es war und ist für uns alle spannend tiefe Streicherkammermusik zu spielen, und für mich ist es immer etwas Besonderes, wenn wir zusammenkommen.
Was hat es mit dem Titel des Albums, "The Antanomy of Melancholy", auf sich bzw. in welcher Weise ist das Album von dem 1621 veröffentlichten gleichnamigen Buch von Robert Burton inspiriert?
Emily Stewart: Das Buch habe ich vor langer Zeit durch Zufall entdeckt - zuerst nur eine gekürzte Version, und später dann die volle Ausgabe. Ich lese gern über die Melancholie. Die Idee, die Inhalte des Buches an dem was ich selber schrieb anzuknüpfen kam relativ früh. Ich sehe mich selbst als melancholischer Mensch - da fand ich die Idee schön, mir eine Stimme aus der Vergangenheit zu holen. Burton behandelt das Thema zwischendurch auch mit einem gewissen feinen Humor, was mich sehr anspricht. Aber vor allem ist er im Werk auch Sammler - er beschreibt Ideen aus verschiedensten Bereichen. Ich habe für das Album auch in mehreren (musikalischen) Ecken gesucht und gesammelt. Konkret ist das Buch für das Album ein Ausgangspunkt, es bietet den Rahmen aus dem ich über meine eigene Interpretation der Melancholie erzähle.
Ist "The Antanomy of Melancholy" also ein Konzeptalbum?
Emily Stewart: Ja, auf jeden Fall. Ich habe ein Faible für Konzeptalben. Eines meiner Lieblingsalben ist "Ogden's Nut Not Flake" von den Small Faces. Die Mischung aus Psychedelic Rock und die Geschichte im Nonsens Stil, ähnlich wie bei Edward Lears Gedichten, fasziniert mich nach wie vor. Ich mag grundsätzlich Alben gern, die einen größeren Bogen spannen, wo jede Nummer durch das, was sie umgibt eine andere Bedeutung oder Farbe bekommt. Mir ging es bei meinem Album nicht so sehr um eine konkrete Geschichte, aber schon um ein bestimmtes Gefühl - Melancholie ist für mich nicht nur ein unterkühltes Gefühl, sondern eins, das auch viel Wärme in sich tragen kann.
Zwischen den Musik-Stücken kann man Lauri Elling als Narrator hören. Wie kam es zu dieser Verbindung von deinen Stücken mit diesem Text?
Emily Stewart: Ich habe Lauri die Zitate aus Robert Burtons Buch sprechen lassen. Ich wollte eine ganz klare Trennung haben zwischen dem was aus meiner Feder ist, und dem was aus Burtons Buch stammt. Zwei Passagen werden über die Musik gesprochen. Zwischendurch liest er Auszüge aus einem Gedicht, welches am Anfang von Burtons Werk steht. Dieses soll eine Art Zusammenfassung des Buches sein. Alle Verse sind so strukturiert, dass sie die positiven und die negativen Seiten der Melancholie darstellen. Ich habe die Verse über die Einsamkeit und die Liebe ausgesucht, wobei ich bei letzterem die Verse umgedreht habe, so dass das Positive als zweites kommt, und somit die Reise ins Licht endet.
Kannst du bitte die Hintergründe von zwei Stücken des Albums näher erklären?
Emily Stewart: "Finnieston Crane" war eines der ersten Stücke, das ich für das Trio geschrieben habe. Dieses ist von Glasgow inspiriert, und dem echten Finnieston Crane, ein alter Riesenkran am Clyde Fluss, gewidmet. Der Kran wird nicht mehr verwendet, aber steht dort als Zeitzeuge über die Stadt. Ein Denkmal an die Vergangenheit, der ursprünglich als Zeichen der Moderne galt. Das ist doch die schönste Art der Nostalgie, findest du nicht? Das Stück ist zum Teil auch von der schottischen Volksmusik inspiriert - Lukas spielt ein wunderschönes Solo drüber.
"Memory" wiederum habe ich für einen Solo Abend geschrieben, und dann gleich für das Trio übernommen. Ich habe ein Stück gebraucht, dass einem bekannt vorkommt und das sich im Kreis dreht. Es war von Anfang an so gedacht, dass es an dem "Phantasy" Text gebunden ist, ein Text, der über die Natur der Erinnerung erzählt. Ich habe auf der Geige herumgespielt, und dann kam dieses Barocke Thema heraus - mag vielleicht etwas klischeehaft sein, aber es funktionierte für mich gut, und ich improvisiere sehr gern drüber.
Was waren die wichtigsten Inspirationen zu den Stücken des Albums, die ganz bunt im Grenzbereich zwischen Klassik, Jazz, Folk und Singer/Songwriter angesiedelt sind?
Emily Stewart: Mein allererstes eigenes Projekt habe ich für meinen Abschluss auf der Bruckner Uni initiiert. Es waren alles Bearbeitungen von Stücken aus Béla Bartóks Mikrokosmos, oder von diesem inspiriert. Das war eine ganz andere Besetzung, und vom Sound her schon mehr im Jazz angesiedelt. Ich wusste aber, dass ich mit dem Mikrokosmos nicht fertig war, und so entschied ich mich zwei Stücke davon auch für das Trio zu nehmen. Das hat auch mit der Miniatur Idee ganz gut gepasst.
Das Lied "Milk and Honey" von Jackson C. Frank liebe ich, vor allem die Version von Nick Drake - Folk Sänger aus den 1960er und 1970er Jahre generell finde ich sehr inspirierend, weil Musik und Text zusammen arbeiten, um eine wunderschöne einfache Poesie zu schaffen: dazu gehören für mich natürlich Bob Dylan und Leonard Cohen aber auch Donovan, Al Stewart, Labi Siffre, Bert Jansch... - diese Stimmung wollte ich unbedingt haben. Jeder trägt in sich sehr viele Klänge, die sich über die Jahre sammeln und dann im kreativen Prozess offenbaren. In solchen Momenten wird einem bewusst, wie viel Musik, wie viele Bilder in einem so herumschwirren. Es kommt sehr viel zusammen und man hat die Freiheit zu kombinieren bis es klick macht: ja so gefällt es mir am besten! Man weiß nicht immer, was die Quelle war.
Du tourst auch regelmäßig mit der schottischen Indie-Pop-Band Belle and Sebastian. Wie bist du mit dieser Band in Kontakt gekommen?
Emily Stewart: Belle and Sebastian legen in ihrer Musik viel Wert auf Instrumentierung und aufwendigen Arrangements. Alle Mitglieder der Band spielen mehrere Instrumente. Bei vielen Songs gibt es eben auch Streicher. Eine Cellistin, Sarah Wilson, und einen Geiger/Bratschist, Charlie Cross, spielen immer mit, jedoch engagieren sie oft zusätzlich zwei bis drei Geigen und Trompete vor Ort. Sie haben inzwischen einen ziemlich großen Pool an Streichern überall auf der Welt. So kam es, dass ich 2010 über Ecken für ihr Konzert im Gasometer gefragt wurde. Und dann 2014, und 2015 als sie wieder in Wien spielten. Ich habe mich mit der Band gut verstanden, und dadurch, dass ich ab und an in London bin, um meinen Vater zu besuchen, habe ich immer wieder Kontakt mit ihnen gehabt, und bin mittlerweile mit Charlie und Sarah befreundet. Letztes Jahr organisierte die Band ein 4-tägiges Festival auf einem Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer, "The Boaty Weekender", und sie haben mich dafür wieder gefragt. Im Zuge dessen habe ich davor auch einige Konzerte in Großbritannien mit ihnen gespielt; sie wollten für den ganzen Block die gleiche Streichergruppe haben. Es ist auf jeden Fall immer etwas Besonderes mit denen zu spielen, vor allem, weil ich die Musik schon als Teenager in Costa Rica gehört habe. Es hat was Surreales mit einer Band zu spielen, die man als Jugendliche gehört hat.
Wie bist du selbst zur Musik gekommen? Wann hast du begonnen Violine zu spielen?
Emily Stewart: Meine Mutter wollte unbedingt, dass meine Schwester und ich mit Musik aufwachsen. Ich fing zuerst mal mit Klavierunterricht an, und ein halbes Jahr später eröffnete das Musikkonservatorium in Costa Rica das erste Musikerziehungsprogramm für Kinder mit einer Geigengruppe nach der japanischen Suzuki Methode. Das Schöne an meiner musikalischen Erziehung dort war, dass der Unterricht immer an dem Ensemblespiel geknüpft war, schon von Klein auf. Das war sehr motivierend und eine großartige Schule, was das Hören und das Musizieren an sich betrifft.
Welche drei Alben würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen?
Emily Stewart: Schwierige Frage. Ich stelle sie mir auch oft. Heute würde ich wahrscheinlich diese nehmen: Rubber Soul von The Beatles, Matt Dennis Plays and Sings, sowie Klavierstücke von Debussy. Aber drei Alben - das ist schon verdammt wenig - gerade auf einer einsamen Insel würde ich sehr sehr viel Musik brauchen. Vor allem eine gute Mischung aus allem. Ich höre so viel Verschiedenes. Allein heute habe ich z.B. eben The Beatles, Melody Gardot, Mose Allison, Grossstadtgeflüster, 5/8erl in Ehr’n, Debussy, Bon Iver, und Labi Siffre gehört.
Du bist in London geboren, und in Costa Rica aufgewachsen. Jetzt lebst du schon länger in Wien. Was magst du an Wien besonders und was sind deine Lieblingsplätze in dieser Stadt?
Emily Stewart: Ich mag die Größe. Es ist übersichtlich, man kommt schnell überall hin. Ich mag, dass ich hier Geschichte spüren kann, das hat man in San José nicht in dem Ausmaß. Wien ist wunderschön, das kann man nicht abstreiten. Es ist auch bemerkenswert, dass obwohl man in einer Stadt lebt, man nicht unbedingt zubetoniert ist: ich bin neulich sehr oft auf der Donauinsel gewesen und finde immer wieder neue versteckte grüne Plätze. Am Zentralfriedhof bin ich auch sehr gern unterwegs, dort hat man Geschichte und Natur zugleich.
Und das Kulturangebot ist großartig. Ich versuche, so viel ich kann, dieses Angebot in Anspruch zu nehmen; Museen, Theater, Konzerte. Ich kann es kaum erwarten, bis alles wieder aufsperrt!
Die Corona-Krise bedeutet für viele Künstler große Probleme! Wenig Einnahmen, keine Live-Auftritte, wenig CD-Verkäufe etc. Wie gehst du mit dieser ungewohnten Situation um?
Emily Stewart: Ich hatte einen sehr vollen Frühling und Sommer vor mir gehabt. Das ist von einem Tag zum Nächsten komplett ausgefallen. Es ist nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine seelische Last. Ich liebe meinen Beruf. Ich habe das Glück sehr viele schöne und abwechslungsreiche Projekte zu spielen. Das bereichert mein Leben ungemein und ist eine große Inspirationsquelle. Die Vorbereitung auf das nächste Projekt ist ein wichtiger Faktor in der Entwicklung eines Musikers. So habe ich mich vor allem am Anfang sehr schwer getan, kreativ zu arbeiten, weil ich eben den Antrieb etwas verlor. Nebenbei habe ich zwei kleine Söhne - mit Kindern zuhause den ganzen Tag fällt es einem noch schwerer besonders kreativ oder überhaupt produktiv zu sein. Mittlerweile geht es in der Hinsicht etwas besser, ich habe wieder Ideen, und es ergeben sich andere Projekte an denen ich jetzt arbeite.
Finanziell ist es etwas schwieriger, da sind noch so viele Fragen offen. Konzerte planen ist gerade schwer bis unmöglich. Ich bin ausgebildete Übersetzerin und versuche in diesem Bereich Jobs zu finden um diese Phase zu überbrücken, aber da muss man auch Geduld haben. Es geht noch, aber das Konto wird irgendwann auch leer werden, wenn die Situation so bleibt. Es wird von finanzieller Hilfe usw. gesprochen, aber nach jeder neuen Härtefonds Phase, sind wir immer mehr, die nichts erhalten. Vor allem, dieses Geld alleine reicht nicht. Aber sollte man nebenbei was dazu verdienen wollen/können, dann wird die Unterstützung gekürzt. Es ist eine sehr frustrierende Situation.
Wie lauten deine Zukunftspläne?
Emily Stewart: Unmittelbar, dass ich mit meinem Trio wieder spielen und mein Album live präsentieren kann. Und sonst, weiterhin schreiben, komponieren, spielen... Ich denke schon an das nächste Album, langsam nimmt es eine konkretere Form an. Das würde ich gern 2021 aufnehmen - ich möchte etwas lauter werden. Ich habe sehr viele Ideen, die ich umsetzen will, und es gibt viele Menschen mit denen ich gern arbeiten möchte. Aber als erstes gebe ich mich zufrieden, wenn die Bühnen wieder aufsperren und wir wieder spielen können. //
Interview: Robert Fischer
Foto: Maria Frodl