Roll With The Punches von Sir Van Morrison ist ein raues, drängendes Meisterwerk

Man went through some window in Belfast to another dimension and took us all with him, schrieb ein Van-Fan auf einem Social Media Kanal über das Van Morrison Album "Beautiful Vison" aus dem Jahr 1982 und traf mit dieser kurzen Bemerkung genau den Punkt und könnte dabei ebenso gut ein Kommentar zu irgendeinem anderen VM-Album sein, das zwischen 1967 (Blowin’ Your Mind!) und 1991 (Hymns to the Silence) erschien. In diesem Zeitraum veröffentlichte der am 31.8.1945 in Belfast, Nordirland, geborene George Ivan Morrison 23 Alben mit Musik, die an Klarheit, Schönheit, Intensität und poetischer Kraft kaum zu übertreffen ist. Mystik, Spiritualismus, Sinnsuche und eine tiefe Wahrheit liegt seinem Oeuvre zugrunde, wobei die Quelle dessen aus seiner Sehnsucht nach einer Zeit way way back before radio, before television, before Rock & Roll liegt, um daraus Neues zu schaffen, das sich weder einem Zeitgeist noch sonstigen Modeerscheinungen unterwirft. Was nie modisch ist, kann auch nie unmodisch werden, und alleine von daher sind seine Alben, egal aus welchem Jahrzehnt, heute noch gültig, da schlicht und ergreifend zeitlos produziert.

Der Poet und das Lied über den geglückten Tag

Im Oeuvre von Van Morrison befinden sich etliche essenzielle Lieder mit hoher poetischer Kraft im keltisch-irischen Spannungsfeld Jazz, Soul, Blues, Folk, Country. Stellvertretend für die immense Qualität seiner Lieder sei seine in orchestrierter Opulenz bei gleichzeitiger Miniaturform von knapp zwei Minuten gehaltene Tagesreisebeschreibung entlang der nordirischen Küste, "Coney Island" vom Album "Avalon Sunset" (1989), erwähnt. Auf diesen Song bezog sich übrigens auch Peter Handke, als dieser über den Versuch eines geglückten Tages schrieb. Darin heißt es: "Sing mir das Lied vom geglückten Tag! Es gibt tatsächlich ein Lied, das diesen Titel haben könnte. Van Morrison singt es, "mein Sänger" [...] Es ist ein sehr kurzer Song, vielleicht die kürzeste Ballade, die es je gab, sie dauert gerade eine Minute [...] und von jenem Tag wird mehr sprechend als singend erzählt, sozusagen sang-, klang- und tonlos, ein Murmeln gleichsam im Vorübergehen, dabei aus einer mächtig geweiteten Brust, im Moment der größtmöglichen Weite jäh abbrechend..." Die 1990er Jahre (ab 1993) und die 2000er Jahre stellte die VM-Gemeinde allerdings auf ein Wechselbad der Gefühle. War man bis dahin gewohnt, dass jedes Album von VM ein Geniestreich war, so änderte sich dies in diesen zwei Jahrzehnten mit zum Teil langweiligen und blutleeren Alben, was die Frage aufkommen ließ, ob sich seine Karriere im Sand verlaufen würde, trotz aller Demut dem Künstler gegenüber, trotz aller Liebe zu Alben-Großtaten wie "The Healing Game" (1997) und Magic Time (2005) und generell zu einigen Songs aus den Nuller-Jahren. Die simple Frage lautete also: War‘s das? Die simple Antwort dazu: Nein.


One of the greatest Singer-Songwriters alive

Alles, was anders ist, ist gut, sagte Bill Murray, als er im Kinofilm "Groundhog Day" (dt.: "Und täglich grüßt das Murmeltier"; 1993) endlich der Zeitschleife entkam. So ähnlich erging es wohl Van Morrison. Die Zäsur zur Veränderung, zur Wiedererstarkung (nein, ich schreib nichts von Wiedergeburt), bewirkte die Veröffentlichung von "Astral Weeks live at the Hollywood Bowl" (2009), denn von da an, und vor allem mit der Veröffentlichung seines 40. Albums (Born To Sing: No Plan B; 2012), kam wieder Kontinuität in sein Werk. Kontinuerliche Qualität, die mit den nachfolgenden Alben Van Morrison Duets: Re-Working the Catalogue (2015), "Keep Me Singing" (2016) und nun mit  "Roll With The Punches" fortgeführt wird. Auf diesem, seinem 43., Album, zugleich Studio-Album #37, beschenkt uns Van Morrison einmal mehr mit ungebremster Spielfreude und mit einem gewohnt hohen Repertoirewert, einer Mixtur aus eigenen, neuen, Songs und Coverversionen. Letztere gehen bisweilen bis in die 1930er Jahre zurück, werden hier aber mühelos in die Gegenwart verfrachtet ohne, wie bei VM seit jeher üblich, auch nur in die Nähe eines etwaigen zeitgeistigen Sounds zu geraten. Zwei nordirische Boxer - Phil Townley und Willie Mitchell - zieren fightend das Cover und geben gewissermaßen die Stoßrichtung der musikalischen Darbietung vor. Im Mittelpunkt steht nämlich der gute alte und der gute neue Blues. Und damit es nicht nochmals so altfadrisch daherkommt wie auf seinem Zäsur-Album "Too Long In Exile" von 1993, holte sich VM diesmal mit Jeff Beck den (laut Rolling Stone) fünftbesten Gitarristen aller Zeiten an Bord. Eine musikalische Paarung also, die es in sich hat, denn VM wird von Rolling Stone ja ebenfalls hoch geadelt. Das Magazin listet VM auf Rang 42 der 100 größten Musiker, auf Rang 24 der 100 besten Sänger und auf Rang 22 der 100 besten Songwriter aller Zeiten. Mit den legendär zu bezeichnenden Sängern Chris Farlowe, Paul Jones und dem Langzeitkumpel Georgie Fame, sowie mit dem britischen Jazzpianisten Jason Rebello befinden sich zudem weitere Top-Größen in der Besetzung von "Roll With The Punches".

Referenz an den frühen Chicago-Sound

Und, Leute, was hier abgeht, ist sensationell gut, egal ob es sich um die fünf neuen bisher unveröffentlichten VM Songs handelt oder um die zehn Coverversionen. "Roll With The Punches" fährt dort fort, wo VM auf seinem Vorgänger-Album "Keep Me Singing" mit dem harten Blues "Going Down To Bangor" aufhörte, nämlich mit rauem Blues, versehen mit etlichen Kanten und einer Referenz an den frühen Chicago-Sound. Der große Unterschied zwischen den mitunter schalen Blues-Aufnahmen von VM in den 1990er Jahren und diesem Album ist sicherlich Jeff Beck, der gleich zu Beginn des Albums im Titelsong, ein neues VM-Original, den bluesigen Reigen mit dem "Hoochie Coochie Man" Riff von Willie Dixon einleitet. Einer der größten Leistungen beim vorliegenden Album ist die Neuinterpretation von "I Can Tell", einem Bo Diddley Original. VM, Chris Farlowe und Jeff Beck entfachen hier ein Bluesfeuer par excellence.

Top-Highlight der 2010er Jahre

Und so gut mir das aktuelle Album von The Rolling Stones, "Blue & Lonesome" (2016) auch gefällt - es kann sogar zu den Top-Highlights der 2010er Jahre gezählt werden - "Roll With The Punches" ist nochmals einen Deut höher einzustufen. Das liegt nicht nur daran, dass VM und seine Duett-Partner die Lieder dermaßen geerdet singen, dass sogar ein Mick Jagger das Nachsehen hat, der ja zudem leider immer wieder dazu tendiert Songs zu zerschreien; Das liegt eben auch an Jeff Beck, der seine beste Gitarrenleistung seit wer weiß wie vielen Jahren hier abliefert. Hört euch nur mal "Stormy Monday / Lonely Avenue" an oder sein extraordinäres Gitarrensolo auf "Bring It On Home To Me". Zwei Songs übrigens, die VM bereits einmal veröffentlichte. "Lonely Avenue" auf dem bereits erwähnten "Too Long In Exile", und den Sam Cooke Klassiker brachte VM auf seinem ersten Live-Album "It's Too Late to Stop Now..." von 1973.

Transreale Mystik und Count Basie

Aber es gibt nicht nur die rockigen Blues-Riffs von Jeff Beck zu hören, sondern auch ein grandioses Duett mit Georgie Fame im Jazz-Blues-Klassiker "Goin’ To Chicago" von Count Basie. Der Song wurde erstmals in den frühen 1930er Jahren von Count Basie aufgenommen, das Arrangement der vorliegenden Version geht aber auf die Neueinspielung von Count Basie mit Joe Williams aus dem Jahr 1956 zurück. Nicht ganz ins Gesamtbild des Albums passend ist übrigens die Single-Auskopplung, "Transformation", ein klassischer Celtic-Soul R&B aus der Feder von Van Morrison. Ein Song allerdings, bei dem ebenfalls Jeff Beck seine ganze Klasse ausspielen kann und Van Morrison, wie schon so oft in seiner langen Karriere, schüttelt einmal mehr eine zauberhafte Melodie aus dem Ärmel. Ein Song, in dem uns der Nordire mit seiner unüberbietbaren Mischung aus scharfem Realitätssinn und transrealer Mystik, ewig auf der Reise nach Wahrheit und Wirklichkeit, Sinn und Sinnlichkeit, zu begeistern weiß. Und nicht zuletzt ist "Roll With The Punches" ein Album, das uns durch dunkle Zeiten bringen kann. //

Text: Manfred Horak
Fotos: Universal

Album-Tipp:
Van Morrison: Roll With The Punches
Musik: @@@@@@
Klang: @@@@@
Label / Vertrieb: Caroline Rec. / Exile / Universal (2017)