jones_sharon_teaserWer meint, Soul sei etwas für Weicheier, der konnte sich am Supersonic in der alten Fabrik der Ottakringer Brauerei am 31. Oktober 2007 eines Besseren belehren lassen. Dass das "Supersonic" des Wiener Soul Sugar-Kollektivs an diesem Abend nicht zum Mega-Flop wurde ist einzig und alleine den beiden Live-Acts Bauchklang und der fabulösen Sharon Jones & The Dap-Kings aus NYC zu verdanken, und dies trotz widrigster akustischer Umstände.

Den Teufel an den Hörnern packen

Der Reihe nach: "Supersonic" ist eine traditionelle Tanzerei zur Auflegerei feinster DJs in wechselnden Locations. Ab und an fetten die Veranstalter das Line-Up mit meist interessanten Live-Acts auf. Am 31. Oktober schafften sie es, die Vokal-Musik-Trendsetter Bauchklang zum Mitternachts-Set in die optisch geniale Industrie-Location zu locken. Ob die Gage oder einfach ein sich bietendes Warm-Up für die Stadthallen-Show mit Manu Chao tags darauf die A-Cappella-Zauberer überzeugte, sei in den Raum gestellt. Die eigentliche Sensation und auch der Grund der Anreise des Rezensenten war aber die Verpflichtung der „New Queen Of Soul” (so James Brown!) Sharon Jones. Scheinbar über Nacht tauchte das kleine, schwarze Energiebündel 2005 auf den Bühnen der Welt auf und wird seitdem enthusiastisch gefeiert. Der Grund für den plötzlichen Ruhm ist allerdings ihre langjährige Band, The Dap-Kings, die derzeit als eine Art Geheimwaffe den kränkelnden amerikanischen R&B praktisch im Alleingang saniert. HipHop-Guru Kanye West stellte sie in seine Dienste, im aktuellen Video von Bob Dylan spielen sie eine tragende Rolle und die "Janis Joplin des 21. Jahrhunderts", Miss Amy Winehouse, verpflichtete sie sowohl als Touring Band als auch zur Einspielung ihres neuen Albums.

100 Days 100 Nights

jones_sharon_foto_by_laura_hanifinjones_sharon02_foto_by_laura_hanifinjones_sharon03_foto_by_laura_hanifinAha, die Geschichte wiederholt sich also, sind es wieder einmal die bösen Weißen, die die Früchte ernten, welche von den Schwarzen gesät wurden? Nun, diesmal könnte es sich ausgehen, dass auch Sharon Jones einen köstlichen Teil des Kuchens abbekommt. Das neue Album 100 Days 100 Nights (natürlich auch in Vinyl erhältlich) erschien in Deutschland am 5. November 2007 und war auf Grund der Vorbestellungen bereits ausverkauft, im Hause Daptone Records in Brooklyn wird hoffentlich schon eifrig nachgepresst. Zurück nach Ottakring: der Ground Floor war bei unserer Ankunft um 21.45 Uhr natürlich noch leer, alles strömte nach oben, wo eine kleine, feine Bühne zum Altar einer Soul-Messe werden sollte. Um 22.30 Uhr war die obere Halle mit ca. 700 Menschen mehr als voll und 7 supercoole Herren in edlen Maß-Anzügen klemmten sich hinter ihr Arbeits-Gerät bestehend aus Schlagwerk im 1950er-Jahre Stil, Bass, Congas, halbakustische Gibson-Gitarre, Bariton-Sax, Tenor-Sax und Trompete. Gleich einem Erdbeben legte die momentan vielleicht am besten zusammen gespielte Band des Planeten los, ließ das Publikum zuerst kurz staunen, dann jubelnd tanzen und uns Schlimmes befürchten. Die sich auf Grund der äußerst schwierigen Hallen-Architektur auftuenden Sound-Probleme konnte weder der eigene Tour-Techniker der Dap-Kings, noch der Ton-Ingenieur von Bauchklang in den Griff bekommen, und somit gestaltete sich die jeweilige Show für beide Bands und auch fürs (dennoch dankbare) Publikum zum Leidensweg. Das soll auch der einzige, wenn auch schwer wiegende Kritikpunkt an die Adresse des Veranstalters sein, die Location-Wahl war praktisch eine hundertprozentige Thema-Verfehlung. Dass der Abend nicht in einem Super-Gau endete geht auf das Coolness-Konto beider Ensembles - nicht wenige Künstler hätten sich bei den gegeben Konditionen zurück in die Garderobe verabschiedet.

Der allerschärfste Soul

So aber wurden die Zuhörer und -seher Zeugen einer Voodoo-artigen Messe des allerschärfsten Souls, wie man sie - wenn überhaupt so zumindest seit Prince - in Wien nicht mehr erleben durfte. Nach zwei Warm-Up-Nummern der Dap-Kings enterte die kleine, leicht füllige ehemalige Gefängniswärterin Sharon Jones die Bühne und ließ ihre dampfende und stampfende Groove-Lokomotive über die Köpfe des Publikums donnern, dass es eine Freude war. Stimmlich in Topform und ausgestattet mit einem unglaublichen Volumen erteilte sie eine Lektion schwarzer amerikanischer Musik in allen Facetten. Spätestens als sie in der Mitte des Sets aus ihren High Heels schlüpfte, um barfuss die Tänze ihrer Vorfahren aus Afrika und dem indigenen Amerika zu zelebrieren, wurde auch in der allerletzten Reihe und an den Bars getanzt. Die Songs stammten bis auf wenige Ausnahmen durchwegs vom – zu empfehlenden - aktuellen Album "100 Days 100 Nights", nur die Zugabe It's A Man's Man's Man's World war dem großen James Brown, einem Freund von Sharon Jones, gewidmet.

"Nach denen möchte ich nicht auf die Bühne"

Umbaupause, mittlerweile Mitternacht, das Erdgeschoß wird von schwerem drum & bass befeuert, und noch immer betanzen maximal 15 Leute einen Floor der gut 500 Leute beherbergen sollte. "Noch zu früh", meint mein Begleiter. Er sollte sich täuschen, denn auch weit nach 1 Uhr fanden sich keine Tänzer. Wieder hinauf, zurück zum eigentlichen Geschehen, auch hier tanzt niemand, alle sind noch immer von Sharon Jones überwältigt. "Nach denen möchte ich jetzt nicht auf die Bühne müssen", bringt es ein Mädel an der Bar auf den Punkt. Die CDs und Vinyls der New Yorker Combo verkaufen sich wie warme Semmeln. Bauchklang betreten die Bühne, liefern wie immer die technische Brillanz ihrer außergewöhnlichen Vokal-Kunst, natürlich beeinträchtigt durch den schlechten Hallen-Sound, werden von ihren vielen Fans abgefeiert und stellen dennoch ein großes Fragezeichen in den Raum. Meine Antwort lautet: "Wenn man mit einem alten Bugatti eine Runde gefahren ist, soll man nicht in einen neuen Ferrari einsteigen", und deshalb verlasse ich, wie viele andere von Sharon Jones verzauberte Besucher den Ort, an dem, ob der Klasse beider Bands, niemand zu DJ-Musik tanzen wollte, und der somit zu einem Waterloo des Veranstalters wurde. (Text: Dietmar Haslinger, www.weltenklang.at; Fotos: Laura Hanifin)