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Die unbewusste Transformation von Wahrheiten in den Medien und dessen Folgen, sowie das Rätsel, das Dialektiker als Lügner-Paradox bezeichnen, wird in einer Raumfüllenden Installation in einem leuchtenden Irrgarten aus 400 Regenschirmen - dem Labyrinth of Lies - am 25. und 26. Mai 2017 in der Willner Brauerei, Berlin, gezeigt. Für die Ausstellung verantwortlich zeichnen die Kuratorin Verena Schneider von PlusOne und Clara Cremer, die 2016 in Berlin mit der Ausstellung "The Dark Rooms" für große mediale Aufmerksamkeit sorgte. Die Werke stammen vom Londoner Künstler-Duo Mike Snelle und James Golding alias The Connor Brothers und vom Berlin Künstler Sven Sauer. Die Connor Brothers inszenierten u.a. 2015 die Performance von Pussy Riot in "Banksy's Dismaland". Sven Sauer wiederum reist seit Jahren durch geteilte Länder wie Korea, Israel oder Irland, um die Folgen dieser Trennungen in seinen Arbeiten einzufangen. Manfred Horak bat die zwei Veranstalterinnen Verena Schneider und Clara Cremer zum Gedankenaustausch über Realitäten, Richtungswechsel und Sackgassen.

Kulturwoche.at: Eine im Ausstellungsbereich neue Form der Wahrnehmung ist ein besonderes Anliegen von euch. Seid ihr einfach müde vom immer gleichen Vernissagen-Prozedere (Prosecco, Brötchen, weiße Wände, Small-Talk, "Schau, der ist auch da!", "Bussi", "Tschau"), und quasi frei nach einem Zitat von Wim Delvoye, "Kunst ist ein Spiel mit Regeln, das man nur gewinnen kann, wenn man diese Regeln verändert." - Und wenn dem so war, wohin gingen eure Überlegungen, wie - und wo - Kunst gezeigt werden kann?

Verena Schneider: Es ist in der Tat nach einigen Jahren ermüdend und manchmal auch langweilig für mich sich diesen typischen Ausstellungseröffnungen hinzugeben. Es fehlt einfach oftmals der Reiz sich mit dem Kunstwerk oder der Installation in Ruhe auseinanderzusetzen. Viel zu viel Zeit wird darauf verschwendet "sehen und gesehen" zu werden und sicher zu gehen, dass man auch als Gast in den sozialen Netzwerken  markiert wurde. Die Masse entscheiden dann was gefällt oder eben nicht. Und dieses Phänomen gibt es nicht nur in Berlin, sondern auch in meiner Region. Wir wollten mit dem Konzept des Labyrinths den Fokus wieder auf "das Kunstwerk" lenken. Das Entdecken von Kunst - hinter jeder Ecke - immer wieder neu. Der Besucher oder Entdecker in diesem Fall soll sich in der Kunst verlieren und sich wieder selbstständig mit seinen Gefühlen, Gedanken befassen.Ich denke Kunst ist eine wesentliche Ausdrucksform für Gefühle und Gedanken, welche den Menschen bewegen. Kunst MUSS deshalb erlebt und vor allem erlebbar gemacht werden - es ist all das, worin der Künstler ein Stück von sich selbst gegeben hat. Sei es ein großes oder ein eher bescheidenes Werk. Es ist immer Ausdruck einer expressiven Schaffenskraft und des Bedürfnisses, sich mitzuteilen. Mit der ersten "Edition" von PlusOne habe ich zusammen mit Clara Cremer genau die Person gefunden, die diese Auffassung mit mir teilt. Wir haben in den letzten sechs Monaten ein wunderbares Konzept eines leuchtenden Irrgarten aus Regenschirmen konzipiert.Die Ausstellungsräume werden neu erfunden und zur Spielwiese kreativer Denkanstöße. Somit werden die Räume nicht nur als einfache Ausstellungsfläche genutzt, sondern mit in das Kunsterlebnis eingebaut.

Clara Cremer: Genau so ist es. Tatsächlich bin ich die typischen Eröffnungen und White-Cube-Ausstellungen ohne ambitionierte Präsentation überdrüssig geworden, weil es schlussendlich selten um die Kunst, als vielmehr um die Selbstdarstellung der Besucher und den Status geht. Natürlich würden mir da einige widersprechen, doch begibt man sich zu diesen Veranstaltungen, so erlebe ich immer wieder einen Kunsttourismus, der sich durch die weißen Räume stresst, um sich dann vor der Tür beim Smalltalk über alles andere zu unterhalten als ihre, doch von Kurzweiligkeit geprägten, Eindruck der Kunstwerke. Das - gesehen werden und der Facebook-Eintrag "Ich war da" - scheint hier das einzig wichtige. Der Selfie-Modus in Museen und Galerien zeigt dieses ganz gut. Wo bleibt da noch die Ruhe, die eigene Erfahrung mit dem Werk? Früher haben sich die Menschen zur Veröffentlichung eines Werkes stundenlang schweigend davor gesetzt, um jeden Winkel davon wirken zu lassen, um jede Lichtänderung des Raumes in seiner Wirkung auf das Bild zu erhaschen. Der Stress ist ein großes Problem in unserer Kunstwahrnehmung. Wir möchten, dass sich der Zuschauer in der Kunst verliert, dass er thematisch und emotional in die Werke herein gezogen wird. Deshalb haben wir "Labyrinth of Lies" als erste Episode von PlusOne entwickelt, welches den Zuschauer in einen Irrgarten aus Regenschirmen führt, inmitten dessen er die Kunst entdeckt und sich für das Werk die Zeit nimmt, die er braucht, denn schließlich weiß er nicht, ob er das Werk so wieder findet. Wir möchten das typische, für mich persönlich sehr langweilige aber herkömmliche Kunsterlebnis des White Cubes auf den Kopf stellen. Es geht uns dabei nicht darum letzteres zu negieren, aber wir wollen dem einzelnen Besucher wirklich eine intensive Erfahrung mit den Werken ermöglichen, wodurch er die Werke mehr und mehr verstehen ohne ellenlange Broschüren wälzen zu müssen. PlusOne ist ein leuchtender Irrgarten, der, so warm und wohlig er wirkt, in seiner Essenz drastische Wahrheiten und Lügen präsentiert. Wir versuchen die etablierten Ausstellungsräume neu zu denken, abseits von Komfort, aber mit Exklusivität.

Welche Erfahrungen habt ihr mit "The Dark Rooms" von 2016 gemacht? War im Nachhinein betrachtet etwas Verbesserungswürdig oder entsprach die Durchführung euren Vorstellungen?

Clara Cremer:Es war teilweise noch nicht dunkel genug ;-). Wir haben in vielen Bereichen tolle Erfahrungen gemacht, haben aber auch Herausforderungen gehabt, die wir nun zu umgehen wissen. The Dark Rooms hat unglaublich viele Menschen interessiert und unsere Idee der Exklusivität durch personalisierte Tickets im Clubkarten-Stil ist komplett aufgegangen. Demnach war der Ansturm groß und damit hatten wir nicht gerechnet, zumindest nicht mit 2500 Leuten. Normalerweise ist die Absprungsrate bei Zusagen ca. 10 % - durch den Versand von 1500 personalisierten Tickets und der Möglichkeit zwei Freunde mitzunehmen, kamen in der Stoßzeit ab 19 Uhr so viele Menschen, dass sie teilweise 1,5 Stunden draußen warten mussten. Dies war nicht geplant - schließlich ging es uns auch darum, einen Ort der Ruhe und Zeitlosigkeit zu schaffen. Durch die vielen Besucher mussten wir ab einem bestimmten Zeitpunkt mehr Leute auf einmal rein lassen, wodurch die Ruhe und das Entdecken etwas zu kurz kam. Das haben wir nun für die erste Episode von PlusOne: "Labyrint of Lies" anders gelöst und logistisch optimiert. Wir freuen uns auf bereits zahlreiche Ticketbuchungen und eine spannende Ausstellung im Irrgarten. Das Konzept PlusOne bietet die Möglichkeit verschiedenste Konzepte zu schaffen, die dem Besucher in allen Teilen der Welt Kunst neu zugänglich machen.

Der Eintritt ist zwar frei, aber ohne Eintrittskarte kommt man nicht in die Ausstellung rein. Welche Idee steckt hier dahinter und wieviele Eintrittskarten gibt es? 

Clara Cremer: Wir verstehen Kunst und Ausstellung als besondere Erfahrung, die jedem, egal ob arm ob reich, zugänglich sein soll. Dennoch möchten wir wirklich eine interessierte Besucherschaft haben. Für viele ist es bereits zu "anstrengend", sich irgendwo zu registrieren oder sich ein kostenloses Ticket zu bestellen. Wenn man einfach so reinmarschieren kann, wird es weniger geschätzt, als wenn man ein personalisiertes Ticket erhält... das ist also der psychologische Aspekt des Ganzen.Außerdem ist es, eben auch aus den Erfahrungen von "The Dark Rooms" resultierend, wichtig, dass die Räumlichkeiten und das Labyrinth nicht voll gestopft sind mit Menschen. Folglich können wir nicht mehr als 1500 Leute pro Tag hinein lassen.

Verena Schneider: Kunst sollte als sozialer Zusammenhalt gesehen werden, jedem kunstinteressierten Menschen soll deshalb möglich sein am gesellschaftlichen Kunstleben teilzuhaben. Damit aber Konzept, Erlebnis und Kunst in vollem Maße erfahren werden kann, müssen wir die Besucherzahlen regulieren. Wir hatten schon in den ersten zwei Tagen über 1.000 registrierte Tickets und auf FB über 5.000 interessierte Besucher. Das Ticketing ist inzwischen nicht nur ein logischer Faktor, sondern fördert die Exklusivität des Events. Zudem steht für  2018/19 weitere PlusOne Editionen in verschiedenen Städten an, so dass ein personalisiertes Ticket eventuell einmal zum Sammelstück werden könnte ;D !