Coronavirus Dramolette pixabay

Eine Coronavirus Dramolette, in der das Kulturstaatssekretariat nur am Rande erwähnt und mit homerischem Gelächter quittiert wird.

Ein Warteraum in Wien während der Coronavirus-Pandemie. In einem sicheren Abstand von bis zu zwei Metern sitzen maskierte Menschen auf einfachen Holzstühlen. Auf einigen bildete sich bereits eine leichte Staubschicht, an anderen sogar Spinnweben. Die weißen Wände sind mit Posters behangen. Darauf aufgelistet sind alle Berufsgruppen. Zudem prangt ein großes Plakat mit der Aufschrift "Koste es was es wolle". In unregelmäßigen Abständen und scheinbar willkürlich erfolgen Aufrufe. Die aufgerufenen Personengruppen verlassen prompt das Wartezimmer und lassen dabei ihre Masken fallen. Der Rest wartet. Die Hoffnung auch.

Eine junge Musikerin: Ich streame, also bin ich.

Ein älterer Musiker: Stream ich oda bin i scho hinich?

Der erste Spekulant: Gutscheine! Frische Gutscheine!

Der Optimist: Haben Sie schon gehört? Es sind neue Erleichterungen erlassen worden.

Der Nörgler: Macht basiert darauf, dass die Menschen nicht wissen, dass sie eigentlich frei sind.

Der Wirt (säuselnd zur Tanzschulebesitzerin): Sie sind so rank und schlank. Da kann ich nicht mithalten.

Die Tanzperformancekünstlerin (mit ernster Stimme): Hast scho’ g’hört’ was die Polizei mit dem Kabarettisten g’macht hat?

Die Bassistin: Nein, erzähl!

Die Tanzperformancekünstlerin (mit betroffener Stimme): Sie haben ihn in die Psychiatrie gesteckt.

Die Bassistin: Einfach so?

Die Tanzperformancekünstlerin (glucksend): Was würdest du mit jemandem machen, der nackt auf der Straße tanzt, eine Mund-Nasen-Schutzmaske durch die Luft schwingt und dazu mit ungarischer Sprachfärbung "I am from Austria" singt?

Aufruf (erste Stimme): Gärtnereien und Baumschulen bitte öffnen!

Einige Schauspielerinnen (unisono): Und was ist mit uns?

Der Malerfürst (Rilke rezitierend): Und wir: Zuschauer, immer, überall, dem allen zug’wandt und nie hinaus! Uns überfüllt’s. Wir ordnen’s. Es zerfällt. Wir ordnen’s wieder und zerfallen selbst.

Aufruf (zweite Stimme): Hotels bitte aufsperren!

Der Chor der Autorinnen Autoren: Und wir?

Der zweite Spekulant: Gutscheine! Unterstützt die Veranstalter! Kauft Gutscheine! Gutscheine für Flüge! Gutscheine! Gutscheinaktien! Achselhaar-Gutscheine! Live-Streaming-Gutscheine! Buchgutscheine! Gutscheine für den Urlaub! Gutscheine! …

Der Klassikpianist (mehr zu sich als zu anderen): Es gibt seit der Corona-Pandemie nur noch zwei Arten von Klassik-Musikern. Die, deren Karriere den Bach runtergegangen ist und die, die es noch nicht wissen.

Der Spezialarbeiter (frohgemut zum Medientheoretiker): Ich bin systemrelevant.

Der Medientheoretiker: Die Hölle, das sind die anderen. Ich stehe nicht auf der Liste.

Aufruf (erste Stimme): Gastronomie! Bitte aufsperren!

Die Bandmusiker: Und was geschieht mit uns?

Der erste Spekulant (flüsternd zu den Bandmusikern): Wollt ihr Gutscheine? Schöne, frische Gutscheine? Gut sind die Scheine und frisch und gültig. Und so gut, gut, gut... Gut?

Der Schriftsteller (laut in den Wartesaal rufend): Language is a virus from outer space!

Aufruf (zweite Stimme): Frisöre bitte aufsperren!

Der Solomusiker (aus seinem kurzen, unruhigen Schlaf gerissen und nervös um sich herum blickend): Bin ich schon aufgerufen worden? Bin ich schon aufgerufen worden?

Aufruf (erste Stimme): Baumärkte bitte aufsperren!

Der künstlerische Leiter eines Musikclubs: Und wir? (mit resignierter Stimme) Kultur ist offenbar nicht so wichtig wie ein Baumarkt.

Der alte Theaterdirektorenchor: Und wir? Wir haben mit der Kulturstaatssekretärin gesprochen!

Aufruf (erste Stimme): Homerisches Gelächter.

Aufruf (zweite Stimme): Prustet. Bitte sachlich bleiben, Kollege … Schwimmbäder bitte aufsperren!

Der Optimist: Na, was habe ich ihnen gesagt? Nicht einmal ein Jahr. Es geht voran. Eine Hand wäscht die andere.

Der Nörgler: Schmutz.

Der Optimist: Ja, Sie, der Sie ihn überall gesehen haben, fühlen, dass Ihre Zeit um ist! Verharren Sie nur nörgelnd wie eh und je in Ihrem Winkel - wir anderen gehen einer Ära des Seelenaufschwungs entgegen! Glauben Sie, dass die große Gemütsbewegung der Massen nicht ihre Früchte tragen, dass diese herrliche Ouvertüre ohne Fortsetzung bleiben wird?

Der Nörgler: Trägt eine neue Verordnung der Regierung vor.

(Der Optimist ist sprachlos.)

Der Nörgler: Es scheint Ihnen die Rede verschlagen zu haben? Sie sehen, dass Leute, die sich nach einem gerechten Neuanfang sehnen, dafür neue Verordnungen erhalten.

Der Optimist: Sie nörgeln selbst an der Zukunft. Ich bin und bleibe Optimist. Die Menschheit wird durch Schaden -

Der Nörgler: - dumm. Dumdum!

Der Optimist: Meinen Sie das wörtlich?

Der Nörgler: Sachlich und wörtlich, also wörtlich.

Der Optimist: Ja es ist ein Kreuz mit der Sprache.

Der Nörgler: Das man auf der Brust trägt. Ich trag's auf dem Rücken.

Der Optimist: Ob Sie das nicht überschätzen?

Der Nörgler: Zum Beispiel so: Ein Volk, sage ich, ist dann fertig, wenn es seine Phrasen noch in einem Lebensstand mitschleppt, wo es deren Inhalt wieder erlebt. Das ist dann der Beweis dafür, dass es diesen Inhalt nicht mehr erlebt.

Der Optimist: Das kann nicht wahr sein! - Sagen Sie, dass es - von Ihnen ist - dass das alles von Ihnen ist!

Der Nörgler (drückt ihm die Hand): Ich danke Ihnen. Es ist von mir.

(Verwandlung.)

Text: Manfred Horak
Original-Zitate bzw. Zitate in veränderter Form von Johann Allacher, Willam S. Burroughs, Cameron Carpenter, Christoph Huber (Porgy & Bess), Karl Kraus, Rainer Maria Rilke, Jean Paul Sartre

Foto: pixabay

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