Nach den Zusammenhängen von Kunst-Politik-Moral - ausgehend von Elfriede Jelineks politischer Haltung - befasste sich ein interdisziplinäres Online-Symposium.
Diskutiert wurde dabei das Spannungsverhältnis von Kunst-Politik-Moral, die Position von Intellektuellen in unterschiedlichen politischen Systemen, Repression und Skandalisierung kritischer Kunst im internationalen Vergleich sowie die Möglichkeiten politischer Ästhetik zwischen Postmoderne und Populismus. Hinterfragt wurde u.a. mit welchen ästhetischen Strategien Kunst politisch wirksam wird. Gezeigt wurden beim Symposium von der Uni Wien, dem MUK und dem Forschungsverbund Elfriede Jelinek auch Ausschnitte aus dem Jelinek-Stück "Rechnitz (Der Würgeengel)" mit Sona MacDonald, das am 6.11.2021 im Theater in der Josefstadt (siehe Szenenfoto weiter unten) zur Uraufführung kommen wird.
Wirklichkeit oder Illusion?
An dieser Stelle wollen wir uns generell dem Moralbegriff in der Kunst annähern, denn ob Klimawandel, #metoo oder Kolonialismus: Die Gegenwartskunst ist hochpolitisch - und wird oft nach moralischen Kriterien bewertet. Und auch wenn wir einen Blick in die Zeit zurückwerfen, finden sich bis in die Antike Fragen nach Moral in der Kunst. Die moralische Problematik der Dichtkunst entzündete sich im antiken Kontext vor allem an zwei Fragen: erstens an der Frage, ob die Dichtkunst uns überhaupt die Wirklichkeit erschließt oder nur Illusionen verbreitet, und zweitens an der Frage nach dem moralischen Gehalt dieser Illusionen und ihren Auswirkungen auf die Hörer: Macht sie sie zu besseren und fähigeren oder zu schlechteren Menschen? "Der Moralist pflegt seiner Epoche keinen Spiegel, sondern einen Zerrspiegel vorzuhalten“, schrieb Erich Kästner 1950 im Vorwort zur Neuauflage seines während der Nazizeit verbotenen Romans "Fabian - Die Geschichte eines Moralisten“. Und: "Sein angestammter Platz ist und bleibt der verlorene Posten. Ihn füllt er, so gut er kann, aus. Sein Wahlspruch hieß immer und heißt auch jetzt: Dennoch!“ Dass es gute Gründe gab und gibt, Kunst vor bestimmten gesellschaftlichen und politischen Vereinnahmungen zu schützen, steht ohnedies außer Frage. Kunst jedoch nur als "Ästhetiker“ zu konsumieren - also weil sie unserem ästhetischem Selbstgefühl schmeichelt - reicht definitiv nicht aus, denn Kunst ist ein Raum der Freiheit - und viele Künstler verstehen sich als Tabubrecher.
Mangelnde Demut vor Macht
Um zu Elfriede Jelinek zurückzukommen: Was immer sie schreibt, hat eine politische Dimension. Dies hat der Literaturnobelpreisträgerin von 2004 den Ruf der "Nestbeschmutzerin“ eingebracht, was wohl mit ihrer mangelnden Demut vor Macht bzw. aus männlicher Angst um Machtpositionen zusammenhängt. So wollte z.B. 2015 der polnische Kulturminister Piotr Gliński eine Aufführung von Jelineks "Der Tod und das Mädchen“ am Theater in Breslau verhindern. Grund dafür waren angebliche sexuelle Handlungen auf der Bühne, die Inszenierung verstoße gegen "Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens“. Darf jemand hinsichtlich Moral und Ästhetik Grenzen setzen? Von Deutschland aus gab es wiederum eine Online-Petition gegen das Gemälde "Thérèse träumend“ des Malers Balthus, das ein Mädchen im Kleid in lasziver Haltung mit leicht gespreizten Beinen zeigt. Letztendlich war es eine weitere Diskussion zum Verhältnis von Kunst und Moral.
Muss ein Künstler, der Moral predigt, selbst ein Moralist sein?
Mit welchen ästhetischen Strategien wird nun aber Kunst politisch wirksam und muss ein Künstler, der Moral predigt, selbst ein Moralist sein? Für Georg Danzer (1946-2007) waren "sicherlich die 1980er Jahre die geilste Zeit des Jahrhunderts“, wie er mir in einem Interview erzählte, "geprägt vom politischen Engagement, für Friedensbewegung, gegen Nachrüstung, gegen Pershing, etc. Es war eine Zeit, in der wir gefühlt haben, mit Kunst Politik bewegen zu können. Das hat man sich nach dem Ausbruch der 'Neuen deutschen Welle' sehr rasch abgeschminkt, und es war plötzlich innerhalb eines Jahres absolut old-fashioned und Mega-out sich in irgendeiner Weise politisch zu engagieren.“ Seine Moralvorstellungen beschrieb Georg Danzer in diesem Interview übrigens folgendermaßen: "Das Problem ist, wenn man einmal so Lieder geschrieben hat wie "Traurig aber wahr“ oder "Der alte Wessely“, dann weißt du zumindest, wenn du dich selber in den Spiegel schaust, dass du ein Moralist bist. Und wenn du einmal ein Moralist bist, dann fällt es dir sehr schwer, dir diesen Schuh wieder auszuziehen. Und ich finde es gut, ein Moralist zu sein, besonders in diesen Zeiten.“ //
Text: Manfred Horak
Fotos: Symposium Kunst Politik Moral / Fotocredit Szenenfotos: Philine Hofmann (Theater in der Josefstadt)