"Downhill Skiers – Ain’t No Mountain Steep Enough" ist ein Dokumentarfilm über Höhen, Tiefen und den Verlust der Wirklichkeit.
Der Film von Regisseur Gerald Salmina – finanziert von mehreren Sportmarken und Streamingplattformen – versteht sich als Hommage an den Extremsport, als Porträt jener Menschen, die den Hang nicht als Hindernis, sondern als Schicksal begreifen. Doch wo der Dokumentarfilm traditionell den Versuch unternimmt, Wirklichkeit zu ergründen, verwandelt "Downhill Skiers" sie in ein Spektakel. Seine Bilder glänzen, aber sie erklären nichts, sondern geben nur oberflächliche Statements ab: "Ich bin in meiner Komfortzone, wenn die anderen Angst haben", hören wir z.B. den französischen Ski-Abfahrer Cyprien Sarrazin zu Beginn des Films aus dem Off hören, während die Bilder ihn bei seiner Siegesfahrt auf der Streif zeigen. "Wir müssen verrückt sein, um auch die Konsequenzen zu verstehen." Und: "Wir sind verrückt, deswegen leben wir."
Ästhetisierung des Authentischen
Die ersten Minuten von "Downhill Skiers – Ain’t No Mountain Steep Enough" mutet mit den spektakulären Bildern im Prinzip wie eine Jahresrückschau in einer x-beliebigen Sportsendung an. Gezeigt werden Rennsituationen in ikonischen Abfahrten, spektakuläre On-Slope-Aufnahmen, Interviews, Trainingsszenen, Verletzungsrückblicken und Momente der mentalen Vorbereitung. Das Zielpublikum scheint klar abgesteckt zu sein wie die Torlaufstangen auf der Skipiste. Aus rein cineastischer Sicht ist Warten angesagt, ob da noch etwas kommt. Gerald Salmina gelingt, was die Werbeindustrie seit Jahrzehnten perfektioniert hat: die Ästhetisierung des Authentischen. Die Kamera folgt ihren Protagonisten mit bewundernder Geduld und verliert darüber das eigentliche Ziel aus den Augen: die Frage nach dem "Warum". Der Film schweigt. Stattdessen liefert er Pathos. Es ist ein Schweigen, das lauter ist als jede Antwort. In den Interviews sprechen die Sportler über "Leidenschaft", "Freiheit", "Überwindung". Begriffe, die klingen, als stammten sie aus einer Marketingbroschüre. Kein Zweifel, sie glauben, was sie sagen – doch der Film glaubt es ihnen zu bereitwillig. Er verweigert das Hinterfragen, verwechselt Nähe mit Zustimmung.
Der Film zeigt die Höhen und die Siege, den Fall und die Rückkehr
Im Zentrum von "Downhill Skiers" liegt klar das menschliche Drama. In diesem Sinne folgt der Film einem klassischen "Heldenreise"-Muster: Der Athlet (der Held) begibt sich in eine gefährliche Arena (die Piste), kämpft gegen äußere Feinde (Natur, Geschwindigkeit, Technik, Angst), erleidet Rückschläge, strebt nach Erneuerung und kommt eventuell stärker zurück – oder er scheitert. Der Film zeigt die Höhen und die Siege, den Fall und die Rückkehr und wir hören dabei Aleksander Aamodt Kilde, wie er sich an seinen Sturz erinnert: "Und dann kann ich mich nur noch an den Schmerz erinnern. Ich dachte nur: Okay, hier werde ich sterben. Leute glauben, wir sind unzerstörbar, aber das sind wir nicht. Wir sind wie jeder andere auch." Diese Form der Affirmation ist nicht nur ein ästhetisches, sondern ein kulturgeschichtliches Problem. Der Film bedient ein altes Narrativ: den Mythos des heroischen Einzelnen, der die Natur bezwingt. Es ist das romantische Erbe der Moderne, die Fortschreibung einer männlich codierten Erzählung von Triumph und Kontrolle. Dass diese Bilder in Zeiten des Klimawandels, der bedrohten Gletscher, der industriellen Ausbeutung alpiner Landschaften eine bittere Ironie in sich tragen, scheint den Film nicht zu kümmern. Die Alpen sind hier nicht Kulturraum, nicht Lebenswelt, sondern Kulisse.

Die Reinheit seiner eigenen Bilder
Dabei könnte "Downhill Skiers" ein Dokument unserer Gegenwart sein – ein Film über die Sehnsucht nach Reinheit in einer überästhetisierten Welt, über die Flucht ins Risiko, über die Angst vor Bedeutungslosigkeit. Doch der Film bleibt auf der Oberfläche des Schnees, elegant, glatt, makellos. Er verweigert die Reibung. Es ist auffällig, wie sehr sich Gerald Salmina dem Ideal der Perfektion verpflichtet fühlt. Jede Einstellung ist durchkomponiert, jeder Ton sitzt. Die Natur erscheint in makelloser High Definition-Ästhetik, das Rauschen des Windes ist so perfekt abgemischt, dass es fast unecht wirkt. Man sieht keine Spur, keine Schramme, keine Erschöpfung. Wo der große Dokumentarfilm das Fragment liebt – das Ungesagte, das Unscharfe, das moralisch Unaufgelöste –, flüchtet "Downhill Skiers" in die Reinheit seiner eigenen Bilder. Vielleicht ist genau das sein eigentliches Thema: die Unfähigkeit, die Welt noch als widersprüchlich zu begreifen. Der Film dokumentiert weniger den Extremsport als die Sehnsucht nach einer verlorenen Ganzheit. Er zeigt Menschen, die glauben, in der Natur noch jene Echtheit zu finden, die das Leben unten im Tal längst verloren hat. Doch indem Gerald Salmina diese Suche so ästhetisch überhöht, beraubt er sie ihrer existenziellen Kraft.
Eine merkwürdige Leere nach dem Rausch
So wird Downhill Skiers – Ain’t No Mountain Steep Enough zum Sinnbild einer filmischen Gegenwart, die ihre Authentizität im Stil sucht. Er reiht sich ein in eine wachsende Zahl von Dokumentarfilmen, die das Kino mit der Bildsprache des Marketings verwechseln – von Streaming-Algorithmen befeuert, von Markenästhetiken geformt. Sie liefern das, was das Publikum erwartet: Schönheit, Tempo, Transzendenz. Aber keine Wahrheit. Was bleibt, ist eine merkwürdige Leere nach dem Rausch. Man verlässt das Kino, als käme man aus einer Ausstellung makelloser Landschaftsfotografien: beeindruckt, aber nicht berührt. Vielleicht ist das der eigentliche Abgrund, den der Film zeigt – nicht der zwischen Berg und Tal, sondern der zwischen Oberfläche und Sinn. So bleibt das Werk ein symptomatisches Produkt seiner Zeit: perfekt inszeniert, emotional leer. Es reiht sich ein in jene Reihe dokumentarischer Pseudo-Erlebnisse, die das Reale nur als Kulisse nutzen. Wo Claude Lanzmann die Abwesenheit des Bildes zum moralischen Statement machte und Werner Herzog im Chaos der Natur nach metaphysischer Wahrheit suchte, findet "Downhill Skiers" nur den perfekten Weißabgleich. Es wollte ein Film über die Unbezwingbarkeit des Menschen sein. Geworden ist es ein Film über die Unbezwingbarkeit des Bildes – schön wie ein Hochglanzprospekt, leer wie die Stille nach dem Lawinenabgang. Der Film heißt "Ain’t No Mountain Steep Enough" – doch gerade die Steilheit, das Risiko, die gedankliche Fallhöhe fehlen. Es ist, als hätte man den Gipfel erreicht und dort nichts als den eigenen Schatten im Schnee.gefunden. //
Text: Manfred Horak
Fotos: Erich Spiess, Samo Vidic (beide Red Bull Content Pool)
Kinostart:
23.10. 2025 in Österreich, der Schweiz & Südtirol
/ 30.10. 2025 in Deutschland
Verleih: Panda Lichtspiele Filmverleih
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