Filmisch, kulturell und politisch ist die Viennale zu einem bedeutenden Festivalort im europäischen Kino gereift. Die Viennale 2025 findet bis 28. Oktober in diversen Wiener Kinos statt.
Ursprünglich nannte sich die Viennale "Internationale Festwoche der interessantesten Filme des Jahres 1959", später "Festival der Heiterkeit", da es sich auf Komödien konzentrierte. Was von österreichischen Filmjournalisten auf eigene Faust und ohne finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand begann, entwickelte sich nach und nach zu einer Institution und einem Ereignis mit (nicht nur finanziellem) Gewicht. Die Beliebtheit, Stabilität und Kontinuität der Viennale zeigt sich auch darin, dass der Vertrag der Direktorin Eva Sangiorgi kürzlich bis 2029 verlängert wurde – und dennoch ist die Viennale ein beständiger Ort des Wandels, was freilich an den gezeigten Filmen liegt. Das Festival sensibilisierte sich gegenüber aktuellen globalen Krisen – sei es Krieg, soziale Ungerechtigkeit, Bedrohungen der Demokratie oder Umwelt- und Klimafragen. In der Programmauswahl reflektiert sich – wie in diesem Jahr – ein Bewusstsein dafür, dass Kino mehr sein sollte als bloße Unterhaltung. Es kann Zeuge sein, kann aufrütteln, kann Brücken bauen, und es kann die Vielschichtigkeit und das Zusammenspiel von List und Täuschung verdeutlichen, wie man bereits am Sujet der Viennale 2025 erkennt.
Erforscher der Natur
Das Motiv entstammt einer französischen Ausgabe des "Physiologus" (griech., "Erforscher der Natur") aus dem 13. Jahrhundert, um einen moralischen oder religiösen Sinn zu vermitteln. Der Fuchs stellt sich tot, um einen Vogel anzulocken, was die Listigkeit des Fuchses und die Täuschung im Allgemeinen symbolisiert. Dadurch verschwimmen die Rollen von Jäger und Gejagtem. Für die Viennale suggeriert es die Idee von Bedrohung und gegenseitiger Beziehung. Die Menschheit und der Planet Erde ist solch eine Beziehung und der von uns gemachte Klimawandel die Bedrohung, die wir zu lösen haben. Klimakatastrophe, Umweltzerstörung und die sozialen Folgen werden sowohl dokumentarisch als auch fiktional in über 20 Filmen bei der Viennale 2025 gezeigt.
Bäume der Erinnerung
Erstmals in der Viennale-Geschichte wird mit "Arco" ein Animationsfilm speziell für junges Publikum ab 8 Jahren gezeigt, das sich diesem wichtigen Thema widmet. Die 10-jährige Iris begegnet im Jahr 2075 auf einer von Naturkatastrophen heimgesuchten Erde den gleichaltrigen Arco, den es auf einer Zeitreise aus einer deutlich idyllischeren fernen Zukunft dorthin verschlagen hat. Eine Forschungsstation während der belgischen Kolonialzeit im Kongo-Becken, wo auch die Reaktion von Bäumen auf klimatische Bedingungen dokumentiert wurde, ist wiederum die Ausgangslage von der poetischen Anklage "The Tree Of Authenticity" von Sammy Baloji, der auf kulturelle Klischees, politische Machtspiele und neue Klimaökonomie in der Zukunft hinweist. Soja-Anbau und die Macht globaler Agrarkonzerne, aber auch Menschen, die sich für eine gerechte (Land-)Wirtschaft einsetzen, steht wiederum im Mittelpunkt des Films "Green is the New Red" von der italienisch-paraguayischen Dokumentarfilmerin Anna Recalde Miranda.
Alles schmilzt
Regiearbeiten aus Österreich sind bei der Viennale 2025 ebenfalls zu sehen. Othmar Schmiderer ist mit "Elements Of(f) Balance" vertreten, in der angesichts zunehmend instabiler Ökosysteme zukunftsfähige Lösungen zwischen Futurismus und Tradition aufzeigt werden, von einer deutsch-österreichischen Pilzforschung und Italienisch-slowenischen Quallenforschung, bis hin zu Bauern in Österreich und Gärtner in Bangladesch, von Menschen, die in China die Wüste aufforsten und von einer KI, die in Holland Anbaumethoden optimiert. Sicherlich einer der Highlights der Viennale ’25 ist die Erstaufführung vom neuen Nikolaus Geyrhalter Film "Melt". Schnee und Eis, soweit das Auge reicht. Der Filmemacher reiste quer über den Globus, vom größten Gletscher der Alpen in der Schweiz über Japan, Kanada, Österreich, Island bis hin zu einer Forschungsstation in der Antarktis. In weiten, ruhigen Einstellungen lässt er diese faszinierenden weißen Landschaften wirken und für sich selbst sprechen. Er nimmt die Rolle des Beobachters ein und holt dabei jene Menschen vor die Kamera, die mit den Herausforderungen, der Wucht und der Schönheit des Schnees konfrontiert sind. Nach außen scheint alles perfekt, doch hinter der weißen Fassade beginnen das Eis und der Schnee zu schmelzen. Mit "Melt" fängt Geyrhalter gewaltige Momentaufnahmen für die Archive von morgen ein und stellt damit die großen drängenden klimapolitischen Fragen. //
Text: Manfred Horak
Fotos: Viennale 2025 / Alexi Pelekanos
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