Nikolaus Geyrhalter beim Interview; Foto: Manfred Horak

Inhalt

Ein Gespräch mit Nikolaus Geyrhalter über den Dokumentarfilm Erde (Kinostart: 17.5.2019).

 

Die Weltkugel überlebt uns auf alle Fälle. (Nikolaus Geyrhalter)

Kulturwoche.at: Inwiefern lässt du dich von dem leiten, was du vorfindest? Und wie wenig Konzept hast du am Papier stehen? Wieviel Drehbuch gibt es?

Nikolaus Geyrhalter: Drehbuch gibt es gar keines. Es gibt eine Idee und es gibt eine Idee, wo das ungefähr hinführen soll. Es ist aber nichts schöner, als wenn man dann mit einer Realität konfrontiert wird, die anders ist als die, die man sich vorgestellt hat. Das ist auch der Unterschied zu Fernsehdokumentationen, die einfach von vorne herein durch gescriptet sind von A bis Z und jeder Sager eigentlich schon vorgeplant ist. So mag ich überhaupt nicht arbeiten und deswegen suche ich mir auch immer Themen, die sehr viel Freiheit lassen. Und genau dadurch sind wir offen gewesen und haben zum Beispiel diese alten Bäume in Ungarn gefunden, von denen wir vorher gar nichts wussten. Wir haben drei Absagen von drei anderen Kohleminen bekommen und quasi als letzten Ausweg es dann in Ungarn gedreht und eigentlich war es das Beste, was passieren konnte. Und so ist es uns öfters gegangen, in Spanien auch. Wir wollten Kupfer ganz woanders drehen, wir hätten es gerne in Chile gedreht oder in Südafrika. Niemand hat sich bereit erklärt, ein Filmteam hinein zu lassen. Und dann irgendwie in letzter Sekunde haben die Spanier gesagt: "Ist doch super. Kommt vorbei!", und die waren einfach wahnsinnig nett und dann gab es dort auch einen Mehrwert mit dieser Ausgrabung. Ich glaube, man muss sehr offen bleiben und darf sich auf keinen Fall vor Dingen verschließen, nur weil sie anders sind als man sich erwartet hat.

Trotzdem hat Erde eine sehr genaue formale Struktur. Du hast den Film so aufgebaut, dass jedes Mal, wenn ein neuer Ort kommt, du den Ort quasi zuerst einmal von oben gefilmt hast und von sehr weit weg und dadurch wirken die großen Maschinen auch so wie kleine Spielzeugbagger in einer Sandkiste. War das gewollt oder war das wirklich ein Bild, das du umsetzen wolltest? Und wie hast du es gefilmt?

Nikolaus Geyrhalter beim Interview; Foto: Manfred HorakNikolaus Geyrhalter: Klar war das gewollt. Wir haben eine Möglichkeit gesucht, die Kapitel einzuteilen und einzuleiten. Und wir haben in der Recherche natürlich immer die Locations auch erst einmal von oben angeschaut. Da sieht man, wie klein eigentlich diese Riesenmaschinen sind und von welchen Dimensionen wir sprechen. Danach springt man dann eh näher hin. Aber sich erst einmal verschiedene Orte auf der Welt mit ein wenig Distanz anzuschauen und zu sehen, in welch großem Umfang das passiert, ist schon spannend. Das funktioniert so nicht immer - aber bei vielen Orten schon. Das war der Plan und umgesetzt haben wir es natürlich zum Teil mit Drohnen aber auch mit Hubschraubern. Und einmal haben wir ein Satellitenbild gekauft und animiert, weil man dort gar nicht fliegen durfte. Aber wenn ein Konzept einmal steht, dann muss man es einfach durchziehen, wurscht wie! Mit Drohnen kann man nicht so wahnsinnig hoch fliegen. Das ist alles mit einem Weitwinkelobjektiv gedreht und ist dann metermäßig meistens nicht so hoch, wie es ausschaut.

Das Satellitenbild gekauft und animiert, wie kann man sich das vorstellen?

Nikolaus Geyrhalter: In Kanada bei den Ölsanden ist das so, dass man wirklich weder mit Drohnen noch mit anderen Flugobjekten fliegen kann. Da ist ein totales Flugverbot, weil dort so viel Flugverkehr herrscht. Dort haben wir zwar mit Hubschraubern gedreht, aber dieses Anfangsbild auch nicht, weil da wollte ich für das Ende des Films eine noch viel größere Distanz haben als bei allen anderen Sequenzen. Und es gibt ja diverse Firmen, die diese Bilder eben verkaufen…

Das sind aber Standbilder...

Nikolaus Geyrhalter: ...das war ein Foto. Im Grunde genommen dasselbe Foto, das bei Google Earth eine Zeit lang verwendet wurde, inzwischen haben sie ein aktuelleres. Digital Globe heißt die Firma. Da ruft man an, sagt die Koordinaten und zahlt ein paar hundert Euro und kriegt es. Das ist relativ simpel. Und dann wurden in der Postproduktion alle LKWs herausgeschnitten, erst einmal das Bild sozusagen leer gemacht und dann die LKWs wieder durchgezogen, bewegt und Staubwolken dazugerechnet. Also wenn, dann muss es so gut funktionieren, dass es nicht auffällt. Es darf die Erzählung nicht irgendwie stören und es darf niemand anfangen, nachzudenken, warum das irgendwie komisch ist.

Jetzt hast du in dem Film, der sich ja ein Dokumentarfilm nennt, natürlich auch ein Fake-Bild drinnen in dem Sinn, also eines das nicht auffallen soll...

Nikolaus Geyrhalter: Nicht nur ein Fake-Bild, ganz viele Fake-Bilder.

Der Dokumentarfilm tut ja immer so, als würde er dokumentieren und das ist ja viel mehr als eine 'Dokumentation'. Du hast einmal auch gesagt, dass du dich nicht als Künstler siehst. Aber im Endeffekt ist es ein sozusagen künstlerischer Vorgang, ein Bild zu vermitteln, das es ja so nicht gibt. Wie viele dieser Eingriffe sind erlaubt oder ist es sowieso immer erlaubt?

Nikolaus Geyrhalter: Also erst einmal passiert es immer in jedem Film. Es ist absurd zu glauben, dass es nicht passiert. Seit digital gedreht wird, hat sich einfach auch die Arbeitsweise komplett verändert. Ich glaube, es kommt darauf an, dass man eine Wirklichkeit wiedergibt, die der Wirklichkeit entspricht. Vor allem bei diesen stehenden Interviewbildern, wo die Kamera quasi betoniert ist und sich nicht bewegt, wird das Mikrofon oft absichtlich ins Bild gehangen, damit man einen möglichst präsenten Ton hat. Nachher dreht man ein leeres Plate und rechnet den Himmel darüber und fertig. Das ist ein Aufwand von 10 Minuten. Ist das schon eine Wirklichkeitsverfälschung? Nein, ist es nicht. Weil es darum geht, eine Person zu zeigen, die hier steht und redet. Der Rest ist einfach technischer Umweg. Wenn man von oben wo hinunterschauen würde, sieht man, dass hier Autos fahren und dass es eine ziemlich große Umweltsauerei ist. Das wollten wir zeigen. Ob wir da jetzt echt im Hubschrauber auf 1000m hinauffliegen, oder vielleicht einen Satelliten finden, der Videobilder aufnehmen kann!? Also damit habe ich gar kein Problem. Ein Problem hätte ich damit, wenn wir in diesem Satellitenbild die Umweltschäden vergrößern würden. Das wäre einfach inhaltlich falsch. Aber solange es darum geht, mit technischen Mitteln, eine Wirklichkeit ins Kino zu transferieren, ist das vollkommen okay. Ich rede nicht von einer Wahrheit, weil Wahrheiten gibt es so viele wie es Menschen gibt. Jeder empfindet anders. Aber es gibt schon so etwas wie eine objektivierbare Wirklichkeit und das ist ungefähr das, was man sieht. Das sollte ins Kino.

Im Film ist ganz viel Raum für eigene Gedanken, weil sehr wenig gesprochen wird. Erde ist sehr subtil kritisch und dadurch, dass wenig gefragt wird oder wenig Struktur von außen kommt, erzählen die Leute eigentlich mehr. Wie kam es zur Entscheidung, deine eigene Meinung den Leuten nicht gleich aufzubrummen?

Nikolaus Geyrhalter: Weil ich das mag, wenn man sich seine eigenen Gedanken macht. Ich weiß es doch auch nicht besser. Eine Zeit lang gab es diese pädagogischen Dokumentarfilme, wo ein Filmemacher sowieso auf der richtigen Seite steht und dann wird irgendein Umstand angeprangert und das Publikum ist eh der Meinung des Filmemachers. Und am Schluss gehen alle raus und fühlen sich gut, weil die anderen die Bösen sind. Das funktioniert so nicht mehr.

Hat das jemals so funktioniert?

Nikolaus Geyrhalter: Naja, die Michael Moore Filme funktionieren so.

Ich meine jetzt nicht filmisch, sondern gedanklich. Dass man jetzt sagt, wir sind die richtige Seite.

Nikolaus Geyrhalter: Naja, gedanklich war das vor 15 Jahren noch ziemlich einfach, zu unterscheiden zwischen richtig und falsch. Inzwischen finde ich das nicht mehr. Uns ist klar geworden, dass dieses Blasendenken zu nichts führt, weil nicht eine Blase richtiger ist als eine andere. Wir glauben nur immer, dass wir die richtigen sind. Davon halte ich jedenfalls nichts. Ich halte weder was davon, richtig gegen falsch auszuspielen, noch Wissen gegen Unwissen oder Ähnliches. Ich weiß keine Lösung. Ich schau mir das an und ich staune und ich finde, man sollte darüber nachdenken. Und ich versuche, Bilder zu kreieren, die dieses Nachdenken befördern. Aber unterm Strich ist der Film eine große Fragestellung und keine Antwort.

Glaubst du, hat der Film im Nachhinein Auswirkungen auf die interviewten Arbeiter gehabt, dass irgendwo etwas hängen geblieben ist, vielleicht die Möglichkeit, sich selbst zu ändern?

Nikolaus Geyrhalter: Vor allem wenn man den Film dann als Ganzes sieht, sieht man einfach mehr von der Welt als das Arbeitsumfeld, das man jeden Tag sieht. Man sieht zwar den eigenen Part im Film, aber man sieht auch den Rest des Films als Publikum und denkt genauso über Zusammenhänge und über sich selber nach. Ich weiß nicht, ob das Publikum durch einen Film zu verändern ist. Das sind ja alles Illusionen. Da bräuchte es wahrscheinlich sehr viele Filme, um sehr wenig Veränderung zu bewirken.


Natürlich geht es nicht nur darum, dass der Planet überlebt, es wäre ja schön, wenn wir das auch täten. (Nikolaus Geyrhalter)

Jetzt gehen ja die ganzen Schüler weltweit auf die Straße für #FridaysForFuture, um eben Veränderungen im Denken zu bewirken...

Nikolaus Geyrhalter: Das ist ja schön...

...dass diese Gesellschaft eben vielleicht doch eine andere wird, oder die Welt eine bessere wird. Glaubst du an eine positive Änderung, dass sich zum Beispiel dieses #FridaysForFuture durchsetzen wird können, dass es so große Umweltzerstörungen in dem Sinne nicht mehr geben wird? Oder anders gefragt: Bist du ein Optimist?

Nikolaus Geyrhalter beim Interview; Foto: Manfred HorakNikolaus Geyrhalter: Nein, ich bin überhaupt kein Optimist. Ich glaube realistischerweise, es gibt schlimmere Dinge, die die Menschen tun, als die Landschaft zu verändern. Wenn wir jetzt alle viel nachhaltiger leben und unseren Fußabdruck ganz drastisch senken würden, dann brauchen wir pro Einwohner vielleicht nicht 20m Kupferkabel sondern nur 3m. Aber prinzipiell haben wir einen Lebensstandard, der seinen Preis hat. Von dem werden wir nicht wegkommen, außer wir gehen in den Urwald und bauen Lehmhütten. Und selbst die Leute, die ich kenne, die das machen, haben einen Laptop daneben stehen. Ich glaube, wir können diese Klimaprozesse schon versuchen zu verlangsamen, aber es ist absurd zu glauben, dass es sich ganz ohne Veränderungen ausgeht, solange wir Menschen mit unserem Lebensstandard hier leben. Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen. Natürlich ist das, was wir brauchen, viel zu viel und deswegen mache ich auch Filme, um darauf hinzuweisen. Gleichzeitig weiß ich, dass ich ein Teil des Systems bin. Wir sind die Spezies, die die Erde am aller nachhaltigsten verändert. Doch für wen ist das ein Problem? Eh nur für uns. Die Weltkugel überlebt uns auf alle Fälle und ob dann da ein paar Narben drinnen sind, weil jemand eine Mine hinein gebaut hat, ist sozusagen in einem geologischen Denken für unseren Planeten irrelevant. Es ist für uns relevant, weil wir unsere Lebensgrundlagen zerstören und weil wir die Lebensgrundlagen für viele andere Lebewesen zerstören. Eng wird es nicht für die Welt, eng wird es für uns. Das habe ich auch im Laufe des Films erst gemerkt, dass man sieht: Wahnsinn, da wird ja die Landschaft verändert. Das wirkt für uns so bedrohlich, weil es eine Veränderung von einem idealisierten Urzustand weg ist, wie die Welt war, bevor wir Menschen eingegriffen haben. Wenn die Marmorsteinbrüche irgendwann einmal weg sind und dort wo vorher einmal Berge waren, ist dann nachher einfach ein karges Tal, dann ist es einfach so. Das ist für uns vielleicht schlimm, weil wir das gemacht haben und wir wissen, wie schön das war - geologisch gesehen sind das Peanuts.

Ist das nicht auch ein bisschen tröstlich, dass uns die Weltkugel womöglich überlebt? Das impliziert irgendwie eine Art Selbstheilungskraft der Erde.

Nikolaus Geyrhalter: Ja, ich finde das auch sehr tröstlich. Aber gleichzeitig darf es nicht zu einer Bequemlichkeit führen: Es ist eh schon alles wurscht. Das ist so die Gefahr dabei. Weil natürlich ist nicht alles egal. Und natürlich geht es nicht nur darum, dass der Planet überlebt, es wäre ja schön, wenn wir das auch täten.

Aber wie groß sind diese Wunden wirklich, von oben herab betrachtet? Wie du richtig sagst, sind sie im gesamten Bild doch noch relativ klein.

Nikolaus Geyrhalter: Die Ölsande in Kanada, die sieht man wirklich auch schon vom Satellitenbild, von Google Earth aus sehr schnell. Größe ist immer eine Frage der Relation. Der Film geht ja von dieser Berechnung aus, dass wir Menschen mehr Erde bewegen als die Natur. Das haben wir in ganz plakativen Beispielen veranschaulichen wollen. Die wirklich großen Mengen an geologischen Eingriffen an der Oberfläche passieren nicht einmal an diesen Orten, an denen man das sieht, sondern die verteilen sich unauffällig überallhin.

Hast du schon zirka gewusst, was du bei den bestimmten Abschnitten erwartest? Hat es irgendwo Überraschungen gegeben?

Nikolaus Geyrhalter: Was mich überrascht hat bzw. sehr gefallen hat, war die Offenheit, mit der wir aufgenommen worden sind. Die harten Jungs in Kalifornien zum Beispiel waren am ersten Tag alle reserviert und dann am zweiten Tag schon offener. Am ersten Tag haben wir die Totalen gedreht, sichtbar für alle und sie haben uns zugewunken. Am zweiten Tag haben schon alle gefragt, was wir da machen. Am dritten Tag haben wir das erste Interview gedreht und am vierten Tag wollten alle anderen auch interviewt werden. Das ist eine ganz klare Kurve, bis ein Eis bricht und das muss man sich erarbeiten. Das ging bei dem Film viel einfacher als bei manchen anderen.

Haben irgendwelche von den Leuten oder Firmen versucht, die Story ein bisschen in ihre Richtung zu drehen?

Nikolaus Geyrhalter: Wir haben uns nirgends beeinflusst gefühlt. Die Firmen, die uns wirklich drehen haben lassen, haben uns vollkommen freie Hand gelassen. In Amerika war es ein bisschen schwieriger, weil die Baufirma uns eingeladen hat zu drehen und die waren auch wirklich cool, aber die Eigentümer, die wollten das eigentlich nicht. Die wollten auf keinen Fall, dass man erkennt, wo das ist und dass der Name von dem Projekt genannt wird. Was ich nie mache ist, dass ich irgendjemand den Rohschnitt anschauen lasse, aus Prinzip nicht. Wenn irgendjemand dann wirklich sehen will, was da passiert ist, dann schicken wir ihnen Links mit dem kompletten Rohmaterial. Sie dürfen alle fünf Stunden oder 20 Stunden durchschauen und sagen, das und das wäre uns lieber wenn sie nicht in den Film hineinnehmen. Das ist erstens einmal eine Aufwandsumkehr. Da muss man dann schon ein bisschen rein hackeln, um sich da durchzuschauen. In dem Fall haben wir dann halt auch den Rohschnitt hingeschickt und sie haben gesagt: Passt eh alles. Dort war es wirklich nur heikel, weil diese Baufirma sonst vielleicht den Contract verloren hätte. Die Leute von der Asse [Schachtanlage in Wolfenbüttel; Anm.] wünschen sich zum Beispiel eine Berichterstattung und sind froh, wenn sie in den Medien irgendwie seriös vorkommen. Die waren extrem kooperativ. Wenn sich normalerweise Personen oder Firmen entscheiden zu kooperieren, dann ist es immer ganz binär, ganz oder gar nicht. Der Weg dahin ist das Schwierige.

Hat es irgendwo sonst noch Probleme gegeben bei der Kontaktaufnahme?

Nikolaus Geyrhalter: Wie gesagt, überall, ständig. Bis wir die Kupfermine hatten, haben wir, glaube ich, 200 andere Minen angeschrieben. Man kann es eigentlich anders herum sagen: Wirklich auf Anhieb war eigentlich nur beim Brenner Basistunnel und bei der Asse eine super Zusammenarbeit gegeben. Alles andere war mühsam.

Und Brenner auch nur deswegen, weil es schon Die bauliche Maßnahme gab?

Nikolaus Geyrhalter: Das war eigentlich ein reiner Zufall. Vielleicht hat es das Vertrauen ein bisschen gehoben, dass da ein Wiener kommt und der sich trotzdem um Tiroler Belange adäquat kümmert. Diese Firmen haben ja auch alle Öffentlichkeitsstellen und Pressebetreuung, die wollen auch vorkommen. Und das Versprechen, das wir immer machen, ist, dass wir sagen: Okay. Wir sind fair. Wir machen keinen Werbefilm für euch, aber wir haben auch nicht vor, euch total zu verarschen.

Gibt es auch Firmen oder Personen, die von dir ältere Filme verlangen, damit sie dich einschätzen können?

Nikolaus Geyrhalter beim Interview; Foto: Manfred HorakNikolaus Geyrhalter: Ja. Wie wir Braunkohle drehen wollten, haben wir erst in Deutschland angefragt bei RWE und Vattenfall und irgendeinem dritten noch und einer von diesen Presseleuten wollte Referenzen. Wir haben lange überlegt, was wir schicken und haben dann doch Unser täglich Brot geschickt. Wir haben gedacht, dass es ein quasi kritischer Blick auf eine Industrie ist, der aber unterm Strich trotzdem gerecht ist und gute Kritiken bekommen hat. Und der hat dann Evelin, die damals die Recherche gemacht hat, zurückgerufen und gesagt: Das war so ein super Film. Vielen Dank, aber Sie werden verstehen, dass wir Sie nicht drehen lassen können. Und am selben Tag hat dann der andere Energiekonzern auch abgesagt. Also die sprechen sich schon ab. Und lustigerweise gehört diese ungarische Mine ja auch RWE, aber so weit reicht dann die interne Kommunikation doch nicht.

Wieso hast du Arbeiter befragt und keine Politiker oder jemand, der einen Konzern leitet?

Nikolaus Geyrhalter: Weil es mich nicht interessiert. Also Politiker schon gar nicht. Diese Eingriffe in die Erdoberfläche passiert einfach mit großen Maschinen und die müssen bedient werden. Das Bedienen dieser Maschinen, die auch ganz mächtige Geräte sind, war schon ein wichtiges Thema. Diese Unmittelbarkeit mit den Personen zu reden, die wirklich verändern, finde ich viel spannender als mit irgendwelchen Chefs zu reden. Was sollen denn die erzählen!? Ich glaube, wenn man den ganzen Tag auf dem Bagger sitzt, dann weiß man schon, was man tut. Da herrschte in Berlin bei der Berlinale in den Gesprächen immer das große Erstaunen: Wie haben Sie das geschafft, dass diese Menschen so gescheite Sachen sagen?. Ich meine, hallo? Nur weil jemand einen Bagger bedient, ist der ja keine Dumpfbacke. Das hat mich zum Teil wirklich schon ein bisschen aggressiv gemacht. Da glaubt der Kulturkreis, dass Leute, die auf Baustellen arbeiten, nur doof sind. Das ist ja nicht der Fall, überhaupt nicht.

Bei den Interviews mit den Arbeitern, merkt man, dass sie natürlich mitbekommen, was sie der Umwelt antun und dass sie nicht ganz damit zufrieden sind. Der eine Arbeiter in Kalifornien hat das ungefähr so ausgedrückt: Wenn ich es nicht mache, macht es ein anderer.

Nikolaus Geyrhalter: So funktioniert unsere Gesellschaft. Unsere Gesellschaft ist ein wahnsinnig komplexes, arbeitsteiliges Gebilde. Und genauso wie wir Fleisch essen - also die meisten von uns - und das Tier nicht selber im Schlachthof umbringen, sondern wen anderen machen lassen, passiert das auf allen Ebenen. Unser Lebensstandard setzt einfach voraus, dass ziemlich viele Ressourcen verbraucht werden und dazu gehört eben unter anderem auch der Bergbau.


 

Was ist ein Film schon wert? Jeder ist, so gut er werden konnte, fertig geworden. (Nikolaus Geyrhalter)

Wie bereitest du dich eigentlich auf Interviews vor?

Nikolaus Geyrhalter: Gar nicht. (Alle lachen)

Also entstehen die Fragen spontan vor Ort, wenn du die Menschen siehst?

Nikolaus Geyrhalter: Ja, total. Ich weiß natürlich schon ungefähr, wo ich mit dem Film hinwill. Alles andere ergibt sich. Die Neugierde kommt ja auch von den speziellen Arbeitsplätzen, von der Arbeit, von der Person. Ich mag vorher auch gar nicht viel mit Leuten reden, weil dann erzählen sie einem eh schon alles und das zweite Mal ist nie so schön. Gerade bei diesen Antworten, wo es mehr ums Situative geht, da ist einfach der spontane Moment einer Antwort extrem wichtig.

Das heißt, es wird auch keine Antwort zweimal gedreht?

Nikolaus Geyrhalter beim Interview; Foto: Manfred HorakNikolaus Geyrhalter: Ganz selten. Wenn ich das Gefühl habe, dass irgendwo etwas super war, aber trotzdem nicht funktioniert, dann komme ich vielleicht eine halbe Stunde später darauf zurück und versuche die Frage noch einmal anders zu formulieren. Aber das Antworten Wiederholen geht meistens ins Leere. Das Wichtigste ist, den Leuten die Angst zu nehmen. Wir schneiden es ja sowieso auch in ihrem Sinne. Wir können Sachen wiederholen und sie sollen nicht glauben, dass sie jetzt irgendwie gescheit reden müssen, wegen dem Fernsehen. Es geht ja darum, dass sie sie selbst sind. Ich erkläre ihnen immer, dass ich das wie eine Art Bühne sehe, Von da bis da geht das Bild, da sitzt ihr jetzt. Schaut bitte gerade in die Kamera, realistischerweise knapp unter der Kamera durch, da verstecke ich mich, damit sich die Augen treffen. Es ist eine Selbstdarstellung und das soll es auch sein, das darf es auch sein. Dieser Prozess des gefilmt Werdens, den sollte man immer auch spüren. Da braucht man nicht so tun, als ob die Kamera nicht da wäre. Natürlich ist die Kamera da, die steht ja ganz präsent da und jeder weiß das, das Publikum weiß das, die Leute tun das und natürlich wissen sie, dass sie mit einem Publikum sprechen. Es ist sowieso eine Situation, die nicht der Realität entspricht. Aber wir versuchen nah an die Realität zu kommen.

Wie habt ihr die Personen ausgewählt?

Nikolaus Geyrhalter: Im Grunde ist es relativ trivial. Man hat eine gewisse Zeit, um an einem Ort zu drehen, eine Woche oder drei Tage oder wie auch immer und muss einfach das Beste daraus machen. Während man dreht schaut man sich um und hört sich um und versucht auszuloten, mit wem ein Interview Sinn machen könnte. Das ist immer auch ein Try-and-Error-Prozess und oft funktioniert es nicht. Die sieht man im Film dann halt nicht. Es ist nicht so, dass wir vorher hinfliegen und Leute casten, gar nicht. Aber speziell dort, wo nicht Deutsch gesprochen wird, hatten wir immer auch Aufnahmeleiter und Dolmetscherinnen, die natürlich auch im Hintergrund geschaut haben, wer interessant sein könnte und Leute in Gespräche verwickelt. Oft kommen auch Vorschläge von den Firmen. Den Baggerfahrer in Spanien haben wir einfach deswegen gedreht, weil er auf diesem großen Bagger sitzt und er auch gut war. Wäre er schlecht gewesen, dann wäre er nicht im Film. Oft ist es auch durch äußere Umstände vorgegeben, dass die Geschichte es erfordert, dass die Person, die dort oben sitzt, einfach auch einmal etwas sagt. Und alles andere ist dann Glück oder Pech. Je öfter man es versucht, desto öfter hat man auch einmal Glück.

Hast du mehrere Leute pro Abschnitt interviewt und dann die passendste Person herausgesucht?

Nikolaus Geyrhalter: Manchmal. Das ist immer auch eine Frage von Zeit und Ressourcen. Soweit es möglich war, haben wir uns natürlich eine Auswahl geschaffen. Das hängt dann ja nicht nur damit zusammen, ob jetzt eine Person im Interview besser oder schlechter ist, sondern auch davon, was die Personen in anderen Episoden sagen, damit es sich nicht wiederholt. Im Schnitt muss man dann schauen, dass jede Episode mit den anderen zusammenspielt und das ist dann eher oft ein Grund, warum Personen rein oder raus kommen. In Ungarn zum Beispiel haben wir fast alle Interviews verwendet, die wir mehr gedreht hätten, auch mit den Personen haben wir gar nicht so viel mehr gedreht als in Erde zu sehen ist. Kurz und auf den Punkt gebracht.

Jetzt würde mich noch interessieren: Wie empfindest du das, wenn du die Interviews liest, die du gegeben hast?

Nikolaus Geyrhalter: Es gibt schon gute und schlechte Interviews. Manchmal lasse ich es mir auch vorher geben, zum Durchlesen, wenn mir das schon ein bisschen suspekt vorkommt. Man sieht wirklich Interviews, die sind einfach super und die haben den Film getroffen und dann gibt es andere, wo ich mir denke: Hey, ein bisschen mehr anstrengen, bitte! Am Anfang ist man natürlich gespannt. Jeder Film, der fertig ist, ist wie so ein großes Kind, das seine Wege geht. Ich lerne schon immer auch viel über den Film in Gesprächen und Interviews mit anderen Leuten. Diese ersten Gespräche sind die schwierigsten und die sind auch für mich immer wichtig, auch die ersten Publikumsgespräche. Da merke ich auch selber erst, wo der Film wirklich steht. Und dann so nach dem fünften oder sechsten Gespräch wird es ein bisschen zur Routine und dann macht man das noch zehn Mal und dann ist es langweilig, so ungefähr.

War Erde ein Herzensprojekt?

Nikolaus Geyrhalter: Jeder Film ist, solange man ihn dreht, ein Herzensprojekt.

Welcher war bis jetzt am befriedigendsten?

Nikolaus Geyrhalter: Das ist so, wie wenn ich dich frage: Welches ist dein Lieblingskind? Das geht nicht.

Ich habe nur eines. [Alle lachen] Und der ist mein Lieblingskind.

Nikolaus Geyrhalter beim Interview; Foto: Manfred HorakNikolaus Geyrhalter: Ja, sobald es mehr als eines sind, funktioniert das nicht mehr.

Gibt es einen Film, der ganz besonders ist?

Nikolaus Geyrhalter: Das kann ich nicht sagen.

Das heißt, jeder ist gleich viel wert und hat gleich viel Priorität?

Nikolaus Geyrhalter: Wert? Was ist ein Film schon wert? Jeder ist, so gut er werden konnte, fertig geworden. Und von jedem habe ich zu einem gewissen Zeitpunkt gedacht, es ist gut, dass es diesen Film jetzt gibt. Er hat jetzt eine Funktion und gleichzeitig hat er seine Funktion in Archiven, sodass man ihn in hundert Jahren ausheben kann und schauen kann, was die Menschen damals gemacht haben. Ich mag Erde gern, aber Lieblingsfilm? Erde war sehr angenehm zu drehen, ich habe mich auch wohl gefühlt an diesen Orten, aber das macht ihn noch nicht zu meinem Lieblingsfilm.

Vielleicht umgekehrt: Gibt es irgendeinen Film, den du besser nicht gedreht hättest oder gemacht hättest? So wie Bob Dylan auch einmal gesagt hat, Es gibt Lieder, die ich besser nicht hätte schreiben sollen.

Nikolaus Geyrhalter: Nein, so ist es nicht. Wir haben einmal für den ORF und für ARTE einen Film über CERN gedreht. Da habe ich das Gefühl, dass wir nicht wirklich dorthin gekommen sind, wo ich hinkommen wollte, einfach weil es extrem kompliziert zum Arbeiten war und wir sehr limitierte Drehtage hatten. Das hätte noch ein bisschen schärfer werden können, aber ich schaue mir das auch nicht so an. Ich arbeite gerne, ich mache gerne Filme fertig und dann kommt der nächste. Und dann kommen Journalisten daher und beginnen das in Relation zu setzen, Warum hat er diesen Film gemacht? Ich arbeite jetzt nicht an einem WERK, sondern ich mache einfach Stück für Stück das, was ich glaube, das ich machen soll.

Man muss immer wieder einer Brotarbeit nachgehen, um diverse Medienprojekte aufzubauen, und da bleibt oft nur wenig Zeit neben dem Brotjob. Wie löst du das?

Nikolaus Geyrhalter: Dadurch, dass wir auch produzieren, gibt es auf eine gewisse Art und Weise ein Doppeleinkommen. Ich kann schon wirklich vom Filme Machen leben, aber ich weiß, dass es sehr wenige Kollegen und Kolleginnen in Österreich gibt, die das ebenfalls behaupten könnten. Nur von der Regie würde ich auch nicht leben können oder zumindest nicht so, dass man eine Familie adäquat erhalten könnte. Wir sind vier Produzenten in der NGF Nikolaus Geyrhalter Produktion. Wir teilen uns das, aber de facto bin ich einer von denen, also ich produziere nicht, sondern ich mache meine eigenen Baustellen. Die anderen drei, Wolfgang Widerhofer macht eigentlich mehr so die dramaturgische Beratung und Markus Glaser und Michael Kitzberger sind wirklich die, die sozusagen die Produktion machen bei uns. Generell, wenn man im Filmbereich oder im Kulturbereich arbeitet, dann ist das Geld, wenn man jung ist, eh okay und dann wird man älter und die Ansprüche steigen. Da, wo in der Bank oder im Krankenhaus Gehaltsklassen explodieren, tut sich im Filmbereich einfach nichts, weil die Kollektivverträge immer gleich bleiben und die prozentuellen Anteile einer Regiegage immer die gleichen sind… Eigentlich wird man als Filmemacher immer ärmer, je älter man wird. Und das hat gar nichts damit zu tun, ob man berühmt ist oder nicht. Das ist auch in Ordnung soweit, ich beklage mich gar nicht. Ich bin froh, dass ich arbeiten kann und eigentlich habe ich auch noch jeden Film, den ich machen wollte, finanziert bekommen. Aber es ist ein hartes Geschäft und wenn man dann mit einem Film wirklich auf keinem Festival eingeladen wird oder zweimal, dann wars das auch. Die Förderung legitimiert die Ausgaben oder die Investitionen in den nächsten Geyrhalter-Film immer damit, dass die Filme auf Filmfestivals laufen und quasi ein Kulturexport sind und das muss man auch einlösen.


 

Ich frage Haneke ja auch nicht: Wann machst du denn endlich deine erste Doku? Jetzt wäre es dann einmal soweit. (Nikolaus Geyrhalter)

Hast du bei Erde alles machen können, was du machen wolltest?

Nikolaus Geyrhalter: Wir haben eigentlich viel zu wenig Drehgenehmigungen bekommen. Ich hätte gerne eine Episode im Film gehabt mit diesen Saugbaggerschiffen, die vom Meeresgrund Sand aufsaugen und dann künstliche Inseln aufschütten oder Dammerhöhungen damit machen. Diese Art der Landgewinnung hätte ich noch interessant gefunden. Es gibt aber auch nur zwei Firmen weltweit, die das machen. Die sind beide aus Holland. Die eine war nicht kooperativ und die andere hat gerade kein Projekt gehabt, weil es der Weltwirtschaft gerade nicht so gut geht, um diese Luxusprojekte realisieren zu können. Das sind alles gerade eingestellte Baustellen. Hätten wir das gehabt, dann hätten wir dafür irgendeine Episode rausschmeißen müssen von den vorhandenen und das kann ich mir jetzt schon nicht mehr vorstellen. Jetzt ist der Film so, wie er ist und das passt schon.

Die Bilder sind ja sehr erschreckend. War das für dich erdrückend, als du zum Beispiel in Kalifornien angekommen bist und die Größe der Baustelle gesehen hast?

Nikolaus Geyrhalter: Nein. Erstens einmal weiß man ja, wo man hinfährt. Man recherchiert ja. Wenn man diese Realität nicht einmal als Realität akzeptieren kann, dann glaube ich, braucht man nicht zu dem Thema arbeiten.

Man muss es einfach aushalten können? Du warst zweimal auch in Gebieten, in die keiner von uns freiwillig gehen würde, nämlich in Tschernobyl für deinen Film Pripyat und in der Gegend um Fukushima und hast dort dokumentiert wie situationsverlassene Welten aussehen. Auf die Idee muss man auch erst einmal kommen und dann ein williges Team finden, das sagt: Okay, wir gehen da jetzt hinein in die Sperrzone. Das ist ja nicht einmal organisatorisch so einfach.

Nikolaus Geyrhalter: Ja, wobei das geht alles. Strahlung kann man messen. Da kann man sich schützen. Wirklich arg, wenn wir schon von argen Dingen reden, war das Drehen in Bosnien nach dem Krieg. Dort haben wir gedreht, wie Massengräber aufgemacht worden sind. Das ist mir auch an die Grenzen gegangen. Irgendwo auf einem Feld kommt ein Bagger und fängt an zu graben, bis der erste Schuh mit Knochen herauskommt und dann weiß man, da ist es. Man stiefelt dann einfach auf Leichen herum, mit Kamera, ohne Kamera. Das war wirklich hart. Bei so einer Exhumierung, wenn alle herumkriechen und versuchen zu klären, ob der Knochen noch da dazu gehören könnte. Das ist mir damals nahe gegangen und seit ich das überstanden habe, ist mir ziemlich alles andere wurscht. Ich bin auch froh, dass ich es damals gemacht habe, weil es jetzt einen Film darüber gibt. Ich möchte ja schon auch Orte ins Kino bringen, die nicht so leicht zugänglich sind, auch wenn das manchmal hart ist. Innerhalb dieses Spektrums sind Kohle- und Kupferminen und große Baustellen relativ harmlos.

Ja, das stimmt. Das ist ja wahrscheinlich auch ein Irrglaube, dass wenn du dort hineingehst, alles verstrahlt ist. Du hast ja auch eine gewisse Jahresration.

Nikolaus Geyrhalter: Genau. Es ist verstrahlt, natürlich, und wenn man dort leben würde, dann würde man diese Grenzwerte, die gesundheitlich als unbedenklich gelten, sehr stark überschreiten. Wenn man sich drei oder vier Tage dort aufhält und schaut, dass man keine heißen Teilchen einatmet oder isst, ist das nicht so tragisch. Man hat ja auch immer einen Geigerzähler, der anfängt zu piepsen, wenn man irgendwo ist, wo es besonders starke Strahlungen gibt und dann geht man halt weg. Wir haben uns natürlich bei diesen Drehs immer vorher und nachher komplett durchmessen lassen, damit das Team vor und nach dem Dreh die Sicherheit hat und sieht, so viel ist dazu gekommen, es ist alles gut. Dafür gibt es Ganzkörperscans. Als wir in Tschernobyl gedreht haben, haben wir die zulässige Jahresstrahlung auch überschritten, aber nicht sehr und einmal im Leben. Wenn man in einem Kernkraftwerk arbeitet, darf man diese Strahlung jedes Jahr haben. Also von daher haben wir auch alle gesagt, dass es vollkommen unbedenklich ist.

In gewisser Weise musst du bereit sein, gewisse Risiken einzugehen, um deine Themen zu finden?

Nikolaus Geyrhalter beim Interview; Foto: Manfred HorakNikolaus Geyrhalter: Man muss was einsetzen, das glaube ich schon.

Es ist ja auch nicht jeder Rundflug mitunter so sicher.

Nikolaus Geyrhalter: Klar, ich steige auch nicht gerne in Hubschrauber, aber man macht es einfach. Das ist eine Grundsatzentscheidung, entweder konsequent durchdrücken oder eben nicht.

Oder eben keinen Film machen.

Nikolaus Geyrhalter: Ja, schon. Oder zumindest keinen Film, wo klar ist, dass so etwas zu erwarten ist.

Arbeitest du nur für ein Projekt und wenn das dann fertig ist, kommt das nächste?

Nikolaus Geyrhalter: Nein, ich mache meistens schon zwei nebeneinander.

Dann gibt es schon ein neues Projekt?

Nikolaus Geyrhalter: Es gibt jetzt ein neues Projekt und ich habe ja den anderen Brennerfilm Die bauliche Maßnahme auch gleichzeitig mit Erde gedreht. Das finde ich aber immer angenehm, dass man sich nicht so in einem Ding verbeißt und ein bisschen die Seiten wechseln kann.

Ist es auch so, wie der Grazer Filmemacher Jakob M. Erwa gemeint hat: Beim Filmemachen braucht man auf jeden Fall oft einen langen Atem?

Nikolaus Geyrhalter: Ja, den braucht man sicher. Von der Idee bis er fertig ist dauert ein Film mindestens drei, in der Praxis meistens fünf Jahre. Wenn man da Stück für Stück hintereinander eines nach dem anderen macht, dann macht man einfach nicht sehr viele Filme.

Wie lange hat Erde gedauert?

Nikolaus Geyrhalter: So drei Jahre ungefähr. Aber man dreht ja nicht drei Jahre, sondern vielleicht zwei Monate. Ich arbeite auch gerne so, dass ich einfach schon während der Recherchephase Probedrehs mache und schneide und weiter recherchiere. Das ist eine Kommunikation zwischen Recherche, Schneideraum und Dreh, so in diesem Dreieck, weil sich durch jeden Dreh ja wieder etwas verändert.

Gibt es auch angedachte Projekte, die keine Dokumentarfilme sind?

Nikolaus Geyrhalter: Also von mir als Regisseur nicht. Meine Firma macht Dokumentarfilme, aber ich finde die Realität spannender, die echte.

Wir werden keinen Spielfilm von Nikolaus Geyrhalter sehen?

Nikolaus Geyrhalter: Nein, das sehe ich nicht. Das hat schon in der Filmakademie angefangen, da macht man halt Dokus und irgendwann macht man einen Spielfilm. Oft kommt auch die Frage: Wann machen Sie denn endlich ihren ersten Spielfilm? Ich frage Haneke ja auch nicht: Wann machst du denn endlich deine erste Doku? Jetzt wäre es dann einmal soweit.

Aber es hat auch damit zu tun, dass der Stellenwert von Dokumentarfilmen in den letzten Jahrzehnten durch die guten Arbeiten durchaus gestiegen ist, gerade in Österreich.

Nikolaus Geyrhalter: Ja, das wahrscheinlich schon. Aber ich glaube, es gibt schon noch diese landläufige Meinung, dass eine Doku irgendwie leichter zu machen ist. Was ich überhaupt nicht finde. Ich stelle mir das Spielfilme machen viel leichter vor. Ich tu es zwar nicht und ich kann es nicht, aber ich habe das Gefühl, wenn man schon so viel planen kann, dann kann man sich bei der Umsetzung auf das Wesentliche konzentrieren. Das Umgehen mit einer Wirklichkeit, das man beim Dokumentarfilm hat, ist viel komplexer als beim Spielfilm. Da gibt es auch so Vorbilder wie Ulrich Seidl, die Dokus und Spielfilme gemacht haben.

Ulrich Seidl haben sie oft diese Frage gestellt, kann ich mich erinnern.

Nikolaus Geyrhalter: Deswegen ist in Österreich ein bisschen eine Schiene entstanden: Erst machen wir Dokus und dann Spielfilme.

Aber es gibt ja auch Mockumentaries oder Pseudodokus wie Zelig, die Woody Allen eingeführt hat. Würde dich so etwas interessieren?

Nikolaus Geyrhalter: Im Grunde sind meine Filme ja alle sehr ähnlich. Ich glaube nicht, dass sich das sehr ändern wird. Ich möchte auch Filme machen, denen das Publikum vertrauen kann. Das wichtigste ist, dass einfach klar ist, dass es so ist, wie man es sieht. Das ist quasi ein Vertrag mit dem Publikum. Und ich halte es für wichtig, dass dieser Deal eingehalten wird. Wenn man den einmal nicht einhält, dann ist es vorbei. Ich glaube, das Publikum weiß schon immer, dass es, wenn es einen Film von mir anschaut, eine Realitätsbeschreibung mit einem sehr persönlichen Kommentar und einer sehr persönlichen Handschrift bekommt. So würde ich das zusammenfassen, wenn ich Journalist wäre. //

Interview: Philipp Brandstätter, Hanna Fuchs, Nina Isele, Natascha N'eger, Karin Stieglitz-Klug (Workshop-Teilnehmer/innen Filmkritiken schreiben), Matthias Greuling (Celluloid Filmmagazin), Manfred Horak (Kulturwoche.at), Irene Meinitzer (Radio Helsinki)
Transkription: Nina Isele
Fotos: Manfred Horak

Dieses Interview entstand beim Workshop "Filmkritiken schreiben / Modul Interviewführung" im Rahmen der Diagonale 2019 unter der Leitung von Manfred Horak (Kulturwoche.at) in Kooperation mit Diagonale - Festival des österreichischen Films, Kulturwoche.at, Kleine ZeitungDie FurcheCelluloid Filmmagazin und Radio Helsinki. Bei Radio Helsinki entstand mit der Moderatorin Irene Meinitzer auch nachfolgende 60-minütige Live-Sendung.