Metafilme, die die Filmproduktion inszenieren, haben eine lange Tradition in der Filmgeschichte. Schon in der frühen Stummfilmära haben Filmemacher wie Charlie Chaplin die Kamera vor die Linse geholt. Shirin Neshat hat in “Looking for Oum Kulthum“, der bei der Diagonale 2018 in Österreich erstaufgeführt wurde, ebenfalls einen Film im Film eingebaut und somit Teile der Handlung in Form einer mise en abyme auf einer zweiten Ebene widergespiegelt. Die Protagonistin Mitra ist wie Shirin Neshat eine iranische Regisseurin, die sich auf die filmische Suche nach dem Mythos der ägyptischen Sängerin Oum Kulthum begibt. Schon die erste Szene legt dieses Anliegen in einer traumähnlichen Sequenz dar, in der sie auf die reife Sängerin trifft und deren jungem Ich in ihre Jugend folgt. Sie muss sich in der Realisierung ihres Vorhabens jedoch zahlreichen Hindernissen stellen, wie der Tatsache, dass sie eine weibliche Filmregisseurin ist und nicht die Originalsprache von Oum Kulthums Liedertexten spricht. Dadurch wird sie mehrfacher Kritik von unterschiedlichen Seiten ausgesetzt und sie selbst ringt ähnlich wie ihre Protagonistin mit dem Konflikt zwischen Familie und Beruf.

Die Vierte Pyramide Ägyptens

Die drei Erzählebenen - die Filmproduktion, Mitras geistige Vorstellungen und der Film im Film - hat Shirin Neshat jeweils mit unterschiedlichen Farben ausgestattet; während die Traumsequenz aus Mitras Imagination über die junge Sängerin durch eine schwache Sättigung gekennzeichnet ist, sind die Filmkulissen und -figuren in farbenfroher, der Zeit nachempfundener Pracht gekleidet. Der Übergang zwischen den Ebenen ist manchmal nahtlos und man kann als Zuschauer vollkommen in die filmische Welt eintauchen, bis die nächste Einstellung mit illusionsstörenden Verfahren wie dem Ausruf "Cut!", dem Zeigen der Filmklappe oder der Filmkamera aufwartet und die Illusionsbildung von Neuem beginnen muss. Shirin Neshat gelingt es mit diesem ungewöhnlichen Werk den Konventionen eines Biopics zu entgehen und eine Legende des arabischen Raums auch menschlich erscheinen zu lassen, ohne ihr ihren Zauber zu nehmen. Die eindringliche Musik wurde eigens für den Film neu eingespielt. Ihre Lieder ziehen das Publikum noch weiter in ihren Bann und produzieren die außergewöhnliche Atmosphäre, die die "Vierte Pyramide Ägyptens" - wie die Sängerin auch genannt wurde - bei ihren verehrten Auftritten stets geschaffen hat. //

Text: Nina Elisabeth Isele
Fotos: Filmladen Filmverleih
Diese Filmkritik entstand beim Workshop "Filmkritiken schreiben" im Rahmen der Diagonale 2018 unter der Leitung von Manfred Horak (Kulturwoche.at) in Kooperation mit Diagonale - Festival des österreichischen Films, Kleine Zeitung und Radio Helsinki. Bei Radio Helsinki entstand mit der Moderatorin Irene Meinitzer auch nachfolgende 60-minütige Live-Sendung.



Film-Infos:
Looking for Oum Kulthum
Bewertung: @@@@@
Spielfilm, DE/AT/IT/LB/QT 2017, 94 min, OmdU 
Regie: Shoja Azari und Shirin Neshat
Buch: Shoja Azari, Shirin Neshat und Ahmad Diba
Darsteller/innen: Neda Rahmanian, Yasmin Raeis, Mehdi Moinzadeh, Kais Nashif
Kamera: Martin Gschlacht
Schnitt: Nadia Ben Rachid
Originalton: Claus Benischke-Lang
Musik: Amine Bouhafa
Sounddesign: Noemi Hampel
Szenenbild: Erwin Prib
Kostüm: Mariano Tufano