OTheaterkritik Ophelias got talent Foto Gordon Welters

Die krönende Inszenierung von Gruppensex mit einem realitätsgetreuen Helikopter war nur einer von multiplen Höhepunkten in Ophelias Got Talent von Florentina Holzinger im Volkstheater Wien.

Ophelias Got Talent - Verzweiflung der Ohnmacht

In Ophelias Got Talent dürfen sich Zuschauer*innen auf einen Ritt durch die Wellen der Geschichte von mythologischen Frauenfiguren einstellen. Im Titel jene Geliebte, die Shakespeare’s Hamlet zurückwies, woraufhin Ophelia jeder misogynen Logik folgend dem Wahnsinn verfällt und sich in einem Fluss ertränkt. Fabelwesen, die sich durch Ohnmacht und Wahnsinn auszeichnen, überleben die Gezeiten bis sie am Strand der Gegenwart angespült werden. Sie werden als popkulturelle Referenz in einer Talentshow zu Wilden und Willensstarken, die neue Lebensformen ausloten. 
Für Holzinger war es schon seit zwei Jahrzehnten der Wunsch, sich mit dem Element Wasser kreativ auszutoben und es zu bearbeiten. In ihrem neuen, bereits gebührend gefeierten Stück navigiert die Performerin durch Narrative der Vorfahren und Erbinnen Ophelias. Der Kompass: Emanzipation und weibliche Selbstermächtigung.

"Die schönste Darstellung einer Frau ist die einer Toten"

Mit Blick auf die Kunstgeschichte und Ikonografie wurde Weiblichkeit sehr oft mit dem Element Wasser in Verbindung gebracht. Ophelias Got Talent reiht sich als weiteres feministisches Manifest in die künstlerische Arbeit Holzingers ein, die sich durch ihre Affinität zum radikalen Grenzüberschritt zu einer gefeierten Ikone der Tanz- und Performancekunst etabliert hat. Ihr Wesen zeigt sich durch eine unprätentiöse Lässigkeit, die ihr eine ungemeine Anziehungskraft verleiht. Sie selbst will nicht ruhig sterben wie Ophelia. "Die ersten Fragen, die wir uns stellten, waren: Warum ist sie nicht einfach geschwommen? Warum hat sie als Tote so glücklich ausgesehen? (…) Die schönste Darstellung der Frau ist die einer Toten.“

ophelias got talent im Volkstheater Wien

Diese von Machtlosigkeit geprägten Biographien werden nun also aufgerollt und neu gedacht. Ruhig und unschuldig bleibt es nicht, denn der Entertainment-Faktor ist ein weiterer Nordstern, nach dem sich das Stück Ophelias Got Talent ausrichtet.

Ob explicit nudity, Selbstverletzung, sensorische Reizüberflutung oder waghalsige Aerials - die Trigger-Warnung scheint auf ein Verlangen nach Schockmomenten einer überstimulierten Gesellschaft zu antworten. Das Publikum kommt im seltensten Fall unvorbereitet. Dabei ist dieses durchaus heterogen. Bei der letzten Inszenierung Holzingers, TANZ 2019, war ein vorzeitiges Verlassen von Zuschauer*innen keine Ausnahme - mittlerweile eilt dem Namen Florentina Holzinger ein Ruf voraus, auf den mit großer Begeisterung reagiert wird und niemand möchte etwas von der Erfahrung missen, so scheint es.

Florentina Holzinger - Queen of "Above and Beyond"

Für sie selbst ist es die Bestrebung, immer Neues zu entdecken und das umzusetzen, das sie selbst noch nicht gesehen hat. Dieses Mal, für Ophelias Got Talent, ging es um den Sprung ins kalte Wasser auf der Bühne. "Technik und Wasser vertragen sich nicht, das Gewicht von Wasser ist immens.“ Diese Herausforderung ist Anreiz, Apnoetauchen zu trainieren und gigantische Wasserbecken bühnenreif zu machen. Jene die glauben, diese Pools seien die Krone des Bühnenbildes, werden von der Orgien-Inszenierung fabelhafter Nymphen mit einem Helikopter nicht unbeeindruckt bleiben. Doch auch die Akrobatik, das Apnoetauchen, die Choreographien inner- und außerhalb des Wassers können einem den Atem verschlagen.

Theaterkritik Ophelias Got Talent Volkstheater Wien Text Greta Kogler

Non-Chalance im Zweitanz zwischen Hoch- und Popkultur

In Manier der Camp-Kunst (CAMP zielt auf Übertreibung und Künstlichkeit kultureller Produkte ab und eine überpointierte Art der Wahrnehmung) wird ein wildes Spiel mit tradierten Vorstellungen von Weiblichkeit, kulturgeschichtlichen Mythen und Fabelwesen getrieben. Meerjungfrauen als Sinnbild der aberkannten Sexualität verenden brutal und entromantisiert außerhalb des Wassers. Die Abenteuergeschichten von Macho-Matrosen werden jetzt lustvoll von halbnackten Frauen getanzt. Die Anspielungen auf Frauenfiguren der Kunstgeschichte, der Romantik insbesondere werden heißblütig bearbeitet bis sie ganz ihrer Lieblichkeit entrissen wurden und in ihrer Blutrünstigkeit entlarvt. Ophelias Got Talent ist eine von Neugier getriebene Erörterung alter Rollenbilder hin zu Spekulationen neuer Lebensformen, deren Metamorphosen von den klimakatastrophalen Umständen katalysiert werden.

Doch ist es Florentina Holzinger selbst, die mit einer scheinbar zwanglosen Zugangsweise zu Kunst und Performance, einen unvergleichlichen Spagat schafft. Neben Stoboskop-Licht, selbstverletzenden Handlungen, Nadeln, Blut und Gewaltdarstellungen darf auch ein sinnliches Harfenspiel Platz finden. Wahre Intimität wird plötzlich durch sehr persönliche Textstellen hergestellt, die die Protagonistinnen selbst betreffen - ein anderer, unverhoffter Schockmoment. "Mir ging es darum, herauszufinden, wie diese alten, romantischen Rollenbilder und Erfahrungen nach wie vor unser Leben prägen. Ich wollte sie in persönlichen Erfahrungsberichten verorten.“ Nach brachialen Wellen von gewaltvollen Darstellungen ebbt die Performance ganz natürlich in einem entrüstend persönlichen Space. Ein Stück wie Meer: gefährlich und vertraut, wild und nah, ein Ganzes in ständiger Bewegung. Voller Leben. Jede Vorstellung sowie die Wiederaufnahme von Ophelias Got Talent im Volkstheater Wien in Kollaboration mit dem Tanzquartier Wien am 21.10.2023 und 24.10.23 versprechen eine berauschende Sensation. //

Text: Greta Kogler
Fotos: Gordon Welters / Volkstheater Wien

Ophelias Got Talent mit
Melody Alia, Saioa Alvarez Ruiz, Inga Busch, Renée Copraij, Sophie Duncan, Paige A. Flash, Florentina Holzinger, Annina Machaz, Xana Novais, Netti Nüganen, Urška Preis, Zora Schemm. Princess Tweedle Needle

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