Die unheimliche Bibliothek Szenenfoto

Die unheimliche Bibliothek von Haruki Murakami steht unter der Regie von Jacqueline Kornmüller und der Musik von Die Strottern am Spielplan vom Odeon Theater.

Die unheimliche Bibliothek Theaterkritik

Wenn ein Bibliothekar einem Bücherausleiher das Gehirn aussaugen möchte, dann kann man sich einen großen Theaterabend erwarten, surreal, möglicherweise sogar kafkaesk, in jedem Fall handlungsstark und visuell anregend, oder, anders, nämlich fragend formuliert: Was kann schiefgehen bei einem Theaterstück nach der Kurzgeschichte Fushigi na Toshokan vom japanischen Starautor Haruki Murakami unter der Regie von Jacqueline Kornmüller, der Musik von Die Strottern und Peter Rom, sowie u.a. mit Performance-Künstlerin, Tänzerin und Model Manaho Shimokawa, umgesetzt im schönen Ambiente des Odeon-Theater?

Hörspiel mit kargen Visualisierungsmomenten

Die unheimliche Bibliothek Foto Martina StapfBeim Betreten des Saals sieht man dem Stücktitel gemäß Bücher. Viele Bücher, aufgereiht wie Genre-Abteilungen in möglicherweise sogar unterschiedlichen Stockwerken. Links vorne befinden sich die drei Musikanten David Müller (Keyboards), Peter Rom (Stromgitarre) und vorne links, auf einem Buchstapel sitzend, Klemens Lendl (Geige). Mitte rechts ein Tisch mit einer Bibliothekarin und hinten an der Wand, zunächst noch unscheinbar, eine Visualisierungsfront, die im Laufe des Abends graustimmige Mondansichten zeigt. Wäre nicht der Schafsmann mit seiner Schafmaske (eine Figur, die bei Haruki Murakami nicht nur in der hier aufgeführten Erzählung Die unheimliche Bibliothek vorkommt, sondern auch in seinen Romanen Wilde Schafsjagd und Tanz mit dem Schafsmann) - wäre also nicht Peter Wolf (kein Schmäh!) hinter der Schafmaske versteckt, gäbe es überhaupt keine erwähnenswerten Kostüme. Und so entpuppte sich der Abend eigentlich als Hörspiel mit kargen Visualisierungsmomenten, die sicherlich als schönes Stimmungsbild anzusehen sind, aber nicht mehr.

Der Text liefert die Bilder

Klemens Lendl (Die Strottern) gibt den Erzähler und liest auswendig vor. Seine Sprechstimme ist sehr angenehm und es ist gut, ihm zuzuhören. Dazu gibt es atmosphärisch verdichtete Live-Sounds von ihm und seinem Strottern-Kumpel David Müller und Jazzgitarrist Peter Rom. Gediegene Soundcollagen, die keine Bilder brauchen. Der Text alleine liefert bereits die Bilder, was ja prinzipiell eine große Stärke von Haruki Murakami ist. Diesbezüglich ist der japanische Autor ein tendenziös generöser Professionist seines Faches. Bilder sind auch nicht notwendig, wenn Klemens Lendl eigene Texte singt, auch dies generell eine Stärke von Die Strottern.

Belesenes Gehirn zum Verspeisen

In Die unheimliche Bibliothek erzählt der "Meister des kalten Märchens", wie ihn Die Zeit nennt, von einem jungen Mann (unauffällig: Nils Arztmann), der sich in einer Bibliothek Bücher zum Thema "Steuereintreibung im Osmanischen Reich" ausleihen möchte. Drei Bücher bekommt er geliehen, allerdings mit einer fatalen Bedingung. Der Bibliothekar (übertrieben schrill: Christian Nickel) führt den Buchausleiher ins tief gelegene Kellerverlies, und hält dort den Jüngling fest. Am Bett und an einer Fußfessel gekettet, soll der junge Mann die drei Bücher auswendig lernen, damit der Bibliothekar das belesene Gehirn verspeisen kann. Passend dazu singt Klemens Lendl Menüs vor. Hirn mit Ei ist zwar nicht dabei, wenn Klemens Lendl diverse Menüabfolgen singt, aber es sind ja auch die Speisen, die er vom mysteriösen Schafsmann (superb: Peter Wolf) vorgesetzt bekommt, der sich um ihn in fast väterlicher Güte kümmert. Die Wahrnehmung (so ist die Erzählung auch angelegt) verschwimmt zwischen Realität und Traum, vor allem in der Erscheinung einer schönen, jungen Frau (graziös: Manaho Shimokawa), die kein Wort spricht. Der Jüngling verliebt sich prompt in die Frau, und ein Fluchtplan wird in einer Neumondnacht schließlich auch entwickelt.

Was fehlt

Dieser Inszenierung - es ist weltweit das erste Mal, dass Die unheimliche Bibliothek fürs Theater adaptiert wurde - fehlt es im klassischen Sinne an Theatralik, an Bewegung und am Mut diese in wunderbare Poesie verpackte Geschichte umzufunktionieren - zu erspielen oder zu ertanzen - kurzum, dem Hörspielcharakter Einhalt zu gebieten. Was nämlich fast schon schmerzhaft fehlt ist hinschauen zu müssen, wie - noch dazu in fantasieloser Alltagskleidung - diese wundersame Geschichte erzählt wird. Es reicht, hinzuhören. Was man hört, ist super. Für ein Theaterstück ist es dennoch deutlich zu wenig. //

Text: Manfred Horak
Fotos: Manfred Horak, Martina Stapf

Weitere Termine:

19., 20., 21., 28., 29. Jänner und 2., 3. Februar 2023
Jeweils 19:30 Uhr

Die unheimliche Bibliothek Theaterkritik zur Welturaufführung am 30.4.2022 im Odeon Theater
Inszenierung
Jacqueline Kornmüller
Musik Die Strottern feat. Peter Rom
Mit Nils Arztmann, Klemens Lendl, David Müller, Christian Nickel, Manaho Shimokawa, Yoshie Maruoka, Peter Rom und Peter Wolf

Gefällt Ihnen der Artikel? Jeder Beitrag zählt!
paypal.me/gylaax
Kulturwoche.at ist ein unabhängiges Online-Magazin, das ohne Förderung von Bund/Stadt/Land bzw. Großsponsoring auskommt.

 

Die unheimliche Bibliothek Gylaax