Ob in Graz, Wien, vor der Kamera oder auf der Bühne - Pia Hierzegger fühlt sich vielerorts zuhause. Beim Interview im Wiener Liechtensteinpark ließ sich die Schauspielerin beim Weltenbummeln begleiten.
Frau Dr. Wehninger kann nicht loslassen. Die Toten seien in der österreichischen Kultur zu wenig integriert. Mit ernstem, energischem Blick schiebt die Pathologin (Pia Hierzegger) den Rollstuhl mit der Leiche des toten Vaters aus dem Margaretenspital. Ihr Kollege Dr. Fuhrmann (Josef Hader) versucht sie aufzuhalten. Sie aber zischt ihn an: "Lassen’s mich in Ruh! Ich geh mit meinem Vater spazieren!“ Die Szene stammt aus David Schalkos mittlerweile zum österreichischen Kultklassiker avancierten Film Aufschneider (2009). Legendär geworden ist auch der Blick der Pia Hierzegger, der in österreichischen Breitegraden wie kein anderer der Phrase "Wenn Blicke töten könnten“ ein Gesicht gibt und zu Pia Hierzeggers bekanntestem Markenzeichen wurde.
Früher meinte Pia Hierzegger, es sei besser Zweckpessimistin zu sein. "Ich dachte, dann kann mich nichts erschüttern. Mittlerweile bin ich Optimistin. Nicht dass ich nicht manchmal Angst hätte, aber es gibt immer Menschen, die einem weiterhelfen.“
Der Wind in Wien
Am Tag des Interviews Anfang Februar 2021 - zwischen Textlernen und Proben - verdunkelt sich die Miene der Schauspielerin nur ein einziges Mal. Im Wiener Liechtensteinpark, den Pia Hierzegger dieser Tage am Weg zur Probe des neuen Stücks Die Recherche-Show im Wiener Volkstheater durchquert, bläst ihr der eisige Wind die braunen Strähnen ins Gesicht. "Ich hasse Wind. Aber das ist in Wien eben so. Gehen wir ein Stück? Mir ist so kalt“, sagt sie fröstelnd. Vor der Kulisse des barocken Gartenpalais Liechtenstein macht die mehrfach ausgezeichnete Schauspielerin, Dramaturgin, Regisseurin und Moderatorin nur noch bildlich gesprochen Halt: an Wegstationen ihrer Karriere, an Wohlfühl- und Sehnsuchtsorten. In 3.158 Schritten geht es von Graz nach Wien und einmal um die Welt.
Eine Rolle in Kamerun
Vom belasteten Begriff Heimat hält Pia Hierzegger nicht viel. "Es klingt schon so abgedroschen, aber für mich ist zu Hause immer gerade dort, wo ich mich wohl fühle und das hat mit Menschen zu tun.“ Ihren festen Wohnsitz hat sie in Graz. Nicht nur berufsbedingt pendelt sie regelmäßig mit dem Zug nach Wien und geht gern auf Reisen. Obwohl es sich im Zug ganz gut arbeiten lasse, wie sie erzählt. "Ich beantworte dann E-Mails, höre Musik oder Podcasts. Oft fällt das Internet aus, dann ist man abgeschnitten und kann schreiben.“ Meist ist Pia Hierzegger von Heim- und Fernweh zugleich geplagt. Wäre da nicht gerade die Krise, säße sie schon im nächsten Zug nach Italien. Fänden da nicht gerade Proben in Wien statt, würde sie am Camp für Moria am Grazer Freiheitsplatz gegen das Elend in den griechischen Flüchtlingslagern demonstrieren. Und ließe es sich zudem noch einrichten, für ein, zwei Tage in Kamerun zu spielen, müsste sie nicht lange überlegen, wäre die Rolle "auch noch so fad". Die 2020 mit dem Österreichischen Filmpreis ausgezeichnete Schauspielerin gibt sich bescheiden. Den Durchbruchsmoment habe sie bis heute nicht erlebt. "Es wäre noch so vieles interessant zu machen, aber wann? Manchmal denk ich mir, so als Romanschriftstellerin am Land, wäre auch nicht schlecht. Aber nach ein paar Wochen würde mir so fad werden mit mir selber.“ Ob sie ein echtes Stadtkind sei? Sie lacht: "Ja, wenn man Graz als Stadt bezeichnen will.“
Grazer Stadtdialekt
Ihre erste Rolle spielte Pia Hierzegger im Kindergartenalter: die Heilige Maria im Krippenspiel. Damals war sie weniger aufgeregt als heute, wie sie sagt: "Ich hatte diesen kindlichen Übermut und dachte, ich kann das gut.“ Das einzige Manko war damals die Aussprache ihrer liebsten Requisite, der Brontsche. Die Kindergärtnerin konnte die schöne, von der Oma geborgte Brosche darum nicht ausreichend würdigen. Heute sei es das deutsche Publikum, das sie nicht immer ganz verstehen könne. Dabei ist Pia Hierzeggers dialektale Färbung gerade in Filmen wie Nacktschnecken (2004) oder Contact High (2009) weit weniger ausgeprägt als die ihres Schauspielkollegen Michael Ostrowskis. "Ich spreche den Grazer Stadtdialekt. Weststeirisch kann ich vielleicht noch am ehesten. Aber Obersteirisch, wie Michael Ostrowski, kann ich überhaupt nicht.“ Viel näher liege ihr der kärntnerische Dialekt des Vaters. "Bin ich längere Zeit in Kärnten, fange ich sogar an, ein bisschen kärntnerisch zu reden“, erzählt sie.
Immer wieder auf ihre minimalistische Mimik angesprochen zu werden, stört Pia Hierzegger nicht: "Es stimmt ja auch zum Teil. Ich hasse aber nichts mehr, als wenn mir Schauspieler und Schauspielerinnen mit ihrem Gesicht erzählen wollen, was sie gerade denken.“
Die Welt im Kleinen
In ihrer künstlerischen Heimat, dem Theater im Bahnhof (kurz: TiB), werden die Inhalte und Texte für Stücke meist erst im Probenprozess erarbeitet. Das sei weitaus herausfordernder, als es die Rolle der Heiligen Maria war, wie Pia Hierzegger mit für sie typisch trockenem Humor erzählt: "Beim Krippenspiel wusste man ja schon ungefähr, worum es geht und wie es ausgeht. Die Texte, die im TiB entstehen, sollen stimmen und auch halbwegs klug sein.“ Für die Dramaturgie der Stücke Die Fleischhauer von Wien (2016) und Polizei Graz (2018) führte Pia Hierzegger viele Interviews mit Wiener Fleischhauern und Fleischhauerinnen und Angestellten der Polizei Graz. In der Stoffentwicklung legt sie sehr viel Wert auf ausführliches Recherchieren: "Mir ist wichtig, dass ich etwas beschreibe, das ich relativ genau beobachtet habe. Und es wäre schön, wenn diese Genauigkeit dann wiederum eine Allgemeingültigkeit bekäme.“ Das TiB versteht sich ihren Statuten nach als zeitgenössisches Volkstheater mit Grazer Dramaturgie, die auch anderswo funktioniere. Gemeint ist damit, die Welt im Kleinen zu erzählen, wie Pia Hierzegger erklärt: "Wir leben in einer globalen Welt, aber wir können Themen am besten über das System in Graz erzählen, weil uns das näher und greifbarer ist. Aber eigentlich findet man gleiche Beziehungen, gleiche Probleme und gleiche Dramaturgie auf der ganzen Welt." //
Interview, Text und Fotos: Jutta Steiner