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Noise-Rap-Soundcollagen & Free Jazz-Anleihen 

Einer der Höhepunkte des ersten Festivalwochenendes war der Auftritt der experimentellen US-Musikerin und Aktivistin Camae Ayewa aka Moor Mother. Nachdem ihr 2016 erschienenes Album "Fetish Bones" von der Musikkritik als eines der wichtigsten progressiven Neuerscheinungen des Jahres und als Rückkehr der politischen, engagierten Schwarzen Musik gefeiert wurde, sind die zornigen Noise-Rap-Soundcollagen mit Free Jazz-Anleihen der Spoken Word Protest-Poetin aus Philadelphia auch diesseits des Atlantiks eindringlich zu vernehmen. Im Gegensatz zur weitaus erfolgreicheren Beyoncé, die den Traum einer privilegierten schwarzen Frau für viele vorlebt, geht es in Moor Mothers "Slaveship-Punk" vor allem um die Schattenseiten der Afro-Diaspora, die noch nachwirken. Sie sieht sich nicht nur als Sprachrohr eines immer noch diskriminierten Teils der Gesellschaft, sondern auch als Vertreterin eines neuen Bewusstseins schwarzer Identität, deren Geschichte nicht erst mit der Sklaverei beginnt, auch Afro-Futurismus genannt. Daher auch der Name, Moor Mother, der auf die Suche nach der prä-modernen schwarzen Identität anspielt, die das Bild von der passiven, angepassten Opferrolle umkehren will und von "self-love" und "explorers" spricht. 

Afro-Diaspora-Codes quer durch raumzeitliche Ereignisse 

War schwarze Erfahrung bei Ligia Lewis noch Ausgangspunkt für mögliche minoritäre Aneignungen sowie Überschreibungen, sampelt Moor Mother Codes quer durch raumzeitliche Ereignisse, welche die Afro-Diaspora betreffen. Auf diese Weise greift sie vermeintlich abgeschlossene Traumata als Folge von Rassismus und Sklaverei wieder auf, überzeugt davon, dass deren emotionale und psychische Folgen noch immer nicht verstanden sind. Auch jüngere gewaltreiche Vorkommnisse bezüglich Polizeigewalt gegenüber Schwarzen bzw. die anhaltende Diskriminierung und Passivität seitens der Politik in den USA in den letzten Jahren werden aufgegriffen.

Konkret weist Ayewa in Interviews immer wieder auf die diskriminierende Behandlung von schwarzen Frauen in US-Gefängnissen hin und auf die tragischen Schicksale, die sich dort abspielen. In einem ihrer Samples kommt beispielsweise Sandra Bland vor, die im Gefängnis in Texas selbstverschuldet erstickt sein soll, drei Tage nachdem sie wegen eines harmlosen Verkehrsdelikts verhaftet worden war. Ungeklärt ist auch der Fall der psychisch kranken Natasha McKenna, der von Ayewa aufgegriffen wird: 2015 starb die 37-jährige Frau in Fairfax, Virginia, an den Folgen eines Taser-Einsatzes der Polizei. Obwohl sie an Händen und Füßen gefesselt und ihr zudem eine Art Maulkorb verpasst wurde um Bisse zu vermeiden, wurde sie 17 Minuten lang mit einem Taser misshandelt. Zwar veröffentlichte ein Sheriff das Video, in dem der Vorfall dokumentiert ist, jedoch wurden jegliche Vorwürfe gegen die beteiligten Polizeibeamten fallen gelassen. 

Unerbittlich rau & apokalyptisch 

Das Spoken Word prasselte nieder wie Gewehrsalven. Der unerbittlich raue und apokalyptische Ton in ihrem Low-Fi-Rap ist in hiesigen Musiklandschaften wohl eher ungewohnt genauso wie die Vehemenz und inhaltliche Komplexität ihrer Performance. Trotz der eher eintönigen Hintergrund-Visuals, agierte Moor Mother interessiert-konfrontativ und gegen Ende hin immer interaktiver. Auch für die Künstlerin muss der Kurztrip nach Krems fernab der amerikanischen 'multi-racial' Realitäten etwas exotisch gewirkt haben. Ein echtes Highlight! // 

Text: Kathrin Blasbichler
Fotos: Vika Kirchenbauer, Mysti and VG Bild Kunst; Dorothea Tuch; David Visnjic / Donaufestival