haessliches_menschleinAus der Türkei werden selten Stücke nach Wien eingeladen. Was an der sprachlichen Barriere liegen kann. Bei dem Sprechtempo sind die Übertitel nur ein Kompromiss. Doch wird auch hier eindrucksvoll gespielt. Szenisch unaufwendig, wie meist bei den kleinen Produktionen des forum festwochen, erzählen in "Hässliches Menschlein (Çirkin İnsan Yavrusu)" drei junge Frauen aus Istanbul aus ihrem Leben.

Gemeinsam haben sie nur die langen Haare, das Alter und die Angst bedroht zu werden. Sie könnten unterschiedlicher kaum sein, die Frau mit dem Kopftuch, die Kurdin und die Lesbe. Spätestens in der Pubertät wird ihnen der Unterschied zum Rest der Gesellschaft bewusst. Alle drei machen ihre Erfahrungen im Zwiespalt zwischen verstecken und selbstbewusstem Auftreten. Es ist ein harter Weg zur Findung der eigenen Identität. Wie beim "hässlichen Entlein". Und so vermischt sich das Märchen von H.C. Andersen mit ihren Biographien.

Kopftuch und Unterwäsche

haessliches_menschlein_5857Die gläubige Muslime hat es scheinbar am leichtesten. Wenn es ihr nicht gefällt haessliches_menschlein_5833von anderen angesehen zu werden, muss sie "nur" ihr Kopftuch ablegen. In vielen Bereichen wie z.B. Schule oder Universität muss sie das sowieso. Die Kopftuchfrauen tragen unter ihren langen Mänteln keine Unterwäsche, munkelt man. Oder wenn, dann ganz teure, die nur ihre Männer sehen dürfen. Und doch scheint die Beziehung zu Männern nicht einfach zu sein. Wenn darauf die Sprache kommt, flüchtet sich die Schauspielerin in eine Metapher - wie öfter an diesem Abend bleibt es bei einer Andeutung.

Früher waren sie wenigstens still

Als Kurdin geboren, zur Türkin erzogen. Wohin gehört die junge Frau mit der um eine Nuance dunkleren Hautfarbe? Zu den Wilden, die das ganze Land spalten? "Früher waren sie wenigstens still. Jetzt fordern sie sogar ihren eigenen Fernsehkanal!" Als sie sich auf der Universität für einen Kurdisch-Sprachkurs anmeldet, werden die Teilnehmer sofort verhört. Mit der Ausrede, dass sie gar nicht kurdisch lernen muss, kommt sie irgendwie davon.

Einfangen, sterilisieren und auf eine einsame Insel schicken

haessliches_menschlein_5905Die Lesbe wird schon auf dem ersten Babyfoto von ihrer Mutter komisch angesehen. Auf dem Schulhof wird sie weder von den Mädchen noch von den Jungs geduldet. Als sie merkt, was mit ihr los ist, legt sie der Mutter ein schnelles Geständnis ab. Die schleppt sie wie eine Kranke zum Arzt. "Gott bewahre einen vor solchen Kindern! Ein gesunder Mensch bekommt doch kein homosexuelles Kind." Man sollte sie alle einfangen, sterilisieren und auf eine einsame Insel schicken. Egal wie sehr sie sich bemüht nicht aufzufallen, gibt es unangenehme Fragen des Vermieters und Gelächter hinter ihrem Rücken in der Arbeit. Wenn zwei die Dritte mit bekannten und absurden Vorurteilen ausrichten, ist das vermutlich nur ein kleiner Teil dessen, womit sie in der Realität umgehen müssen. Im furiosen Finale steigern sich die drei in eine Beschreibung des Rollenbildes der modernen, türkischen Vorzeigefrau: sie macht Karriere und baut ein Nest für die Familie, gleichzeitig schutzbedürftig und stark. Auch das klingt bekannt. Nach europäischem Verständnis wird hier nur an der Oberfläche gekratzt. In der Türkei erregte die 2007 gegründete freie Theatergruppe Oyun Deposu (Stück Depot) mit dem "Hässlichen Menschlein", ihrer ersten Arbeit, viel Aufsehen. Vielleicht ist die Türkei doch nicht so westlich offen, wie sie uns auf politischer Ebene glauben machen will. Auch in Wien muss man nicht erst den Gürtel überqueren um Vorurteilen gegen Herkunft, Glaube oder sexuelle Orientierung zu begegnen. Die letzte Vorstellung ist am 8. Juni 2009 um 22 Uhr zu sehen. (Text: Christine Koblitz; Fotos: Tolga Özgal)

Kurz-Infos:
Hässliches Menschlein (Çirkin İnsan Yavrusu)
Bewertung: @@@1/2
Spielort: Brut Konzerthaus im Rahmen der Wiener Festwochen
Konzept / Oyun Deposu
Inszenierung / Maral Ceranoğlu
Dramaturgie / Ceren Ercan
Kostüme / Tomris Kuzu
VON UND MIT Yelda Baskın, Gülce Uğurlu, Elif Ürse