Paradies auf Erden Michael Wutky Vesuv

 Vor mehr als 200 Jahren löste ein Buch eine Italiensehnsucht aus, die bis heute anhält und generell den Süden zur Idylle verklärte.

Das Paradies auf Erden

Goethes Italienische Reise ist der Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung über das Reisen als Weg zur Selbsterkenntnis und die Landschaft in der Kunst. Die Sehnsucht nach dem Süden reicht freilich noch viel weiter zurück, bis weit in die Antike. Stand in der Antike der Osten für Licht, Erlösung, Geheimnis und Barbarei, der Norden für Dunkelheit und Kälte, und der Westen für Leere, Jenseits und Verheißung, so war der Süden die Himmelsrichtung, die ins Unbekannte führte. Wer sich nach Norden und Osten bewegte, passierte bewohntes Gelände, wer mit dem Schiff nach Westen fuhr, erreichte als Endpunkt der Welt die "Säulen des Herkules“. Was jedoch erwartete den Neugierigen im Süden? Möglicherweise war es die Suche nach Erkenntnis der Welt, auf jeden Fall die Neugier auf das Unbekannte, das sich heute oft wie ein Klischee liest: Klares, türkisfarbenes Wasser, weißer Sandstrand, hohe, sich im Wind wiegende, sattgrüne Kokospalmen, ewiger Sonnenschein und "sorglose, schöne Menschen“. Seitdem vor knapp 250 Jahren "La Nouvelle Cythére“ (Tahiti) in den Weiten des fernen Pazifiks "entdeckt“ wurde, hat für viele das Paradies auf Erden nur einen Namen - die Südsee mit Inseln, die auf den Namen Aitutaki, Vanuatu, Paulau, Raiatea, Fidschi, etc. hören. So weit ist Johann Wolfgang von Goethe freilich nicht gekommen, seine Italien-Reise führte ihn vom Gardasee bis Sizilien, u.a. nach Venedig, Verona, Rom, Neapel, Messina. In Verona lernte er in der Arena erstmals ein antikes Großbauwerk kennen und war von dem antiken Theater, in dem heute Opern aufgeführt werden, beeindruckt. In Vincenza wiederum studierte er die Bauten Palladios, die sich an die klassische Antike anlehnten. Wichtigstes Ziel seiner Reise war aber Rom, das seit der Antike als das Zentrum der Welt verstanden wurde. Dort wurde Goethe rasch in den Kreis der in Italien lebenden deutschsprachigen Künstler aufgenommen. Geprägt wurde das Italienbild vor allem von niederländischen Künstlern im 17. Jahrhundert, wie z.B. Michael Wutkys imposantes Gemälde über den Ausbruch des Vesuvs, den er so darstellte wie ihn Goethe schilderte.

Phantasie und Utopie eines alternativen Lebens

Goethe schrieb ein unpolitisches Buch. Er schrieb nicht über die trostlose Situation in dem politisch zersplitterten Land, vielmehr beschrieb er die endlosen Strände und das vielversprechende "dolce far niente“, Olivenhaine, saftige Orangen, ewige Sonnenstunden und delikate Weine - gewissermaßen also über die Sehnsucht nach der Sorglosigkeit. "Auch ich in Arkadien!“ lautete das Motto von Goethes Italien-Reise. Aus dem Mythos Arkadien wurde in der Frühen Neuzeit die Vorstellung gewonnen, es sei Leben jenseits gesellschaftlicher Zwänge möglich. Für Goethe war Italien das reale Arkadien - und nicht nur für ihn: "Nach Süden, nach Süden!“ jubelt das Lied zur Eröffnung des "Reise-Albums“ von Fanny Hensel (geb. Mendelssohn) und ihrem Mann, dem Maler Wilhelm Hensel, zur Erinnerung an ihre Italienreise um 1840. "Weit durch die Lüfte klingen / Hört man den Reisechor / Nach Süden, nach Süden / In den ewigen Blumenflor“. Italien, das war in jener Zeit für die europäische Reisegeschichte das am weitesten entfernte und zugleich fremdeste Land. Bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war Neapel zugleich der südlichste Punkt der ganzen Reise; wer sich bis zu den Tempeln von Paestum am Golf von Salerno vorwagte, tat dies schon im Gefühl, unsicheren Boden zu betreten. Erst ab den 1770er Jahren erschloss sich ein noch fernerer Süden: Sizilien. Jenseits davon war es keine Reise mehr, sondern Entdeckung und Suche nach der "Terra Australis“.

Paradies auf Erden Südsee

Hommage an ein Land, das es niemals gab

Der Süden als Phantasie und Utopie eines anderen, alternativen Lebens. Und so entdeckten Seefahrer und Gelehrte in den 1760er Jahren im Süden des Stillen Ozeans - der Südsee also - eine Lebensweise, die im Gegensatz zum europäischen Norden konträrer nicht sein konnte. Tahiti wurde als das "letzte, große Paradies auf Erden“ genannt. Die Ankömmlinge aus Europa trafen auf eine von den herrlichsten Fruchtbäumen bestandene, sanfte Küstenlandschaft, die später die Phantasie der Europäer nachhaltig beflügelte. Es verbreitete sich nämlich das Gerücht, in der Südsee wachse das Brot auf den Bäumen und müsse dort nur gepflückt werden - eine populärutopische Vorstellung, die aus dem Erzählkomplex vom "Schlaraffenland“ stammt. Und auch heute noch gilt die Sehnsucht der Südsee. 4,5 Millionen Suchergebnisse in gängigen Suchmaschinen für "Südsee“ als Reiseziel dokumentieren dies. Es ist das Traumziel für zivilisationsmüde Europäer, ähnlich wie jener Matrose aus der Mannschaft von James Cook, der den Sprung ins Paradies des Südens gewagt hatte und es dort hoffentlich auch fand. Nach Ablegen des Schiffes warf er sich ins Meer und schwamm ans Land zurück, weil er auf der glücklichen Insel bleiben und nicht wieder nach Europa zurückkehren wollte. Dieser im Bericht von Georg Forster (1778 / 1784) nicht namentlich genannte englische Matrose war wohl der erste Zivilisationsflüchtling. Wo beginnt aber nun der Süden tatsächlich? Die eigentliche Grenzscheide zwischen dem Süden und dem Norden verläuft nach dem Germanisten Friedrich Heinrich von der Hagen (1780-1856) an jener "Vegetationsgrenze in der Gegend zwischen Terracina und Fondi, zwei Tagereisen südlich von Rom. Hier beginnt eigentlich erst Italien und der wahre Süden.“ //

Text: Manfred Horak

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