40 Jahre Live Aid in London und Philadelphia

Vor 40 Jahren, am 13. Juli 1985, wurde versucht die Hungersnot in Äthiopien mit dem friedlichen Mittel der Musik und zwei Großkonzerten in London und Philadelphia Einhalt zu gebieten. Ein Rückblick auf 40 Jahre Live Aid.

40 Jahre Live Aid

Sir Bob Geldof, Bandleader von The Boomtown Rats und Komponist großartiger Songs wie "I don't like Mondays", jenes mit der deutlichen Textzeile "and the lesson today is how to die", zog aus seinem Weltschmerz, Tränen und Wut die Konsequenz und rettete mit Live Aid Leben – und mit ihm eine Schar an Musiker:innen und Bands, die zu diesem Zeitpunkt zum Großteil weltweite Prominenz genossen. Im Londoner Wembley Stadion startete Live Aid um Punkt 12 Uhr mit einer Fanfare, bevor die größte Rockshow loslegte und die Gitarre Stromzufuhr erhielt. Status Quo begeisterte zu Beginn mit "Rocking All Over The World". Ein geeigneteres Lied zu Beginn gibt es vermutlich eh nicht, denn mit der Satellitenübetragung dieses Konzertereignisses in jeden TV-Haushalt der Erde ist dieser Song zugleich Wahrheit und Wirklichkeit. Es war der Auftakt für die kommenden 16 Stunden, die uns allen zu begeistern und zum Nachdenken bringen sollte.

All You Need is Love

Egal, wer auf der Bühne stand, alle erhielten eine maximale Spielzeit von 17 Minuten. So wurde es einerseits nie langweilig und andererseits konnte so die enorme Präsenz an kreativer Vielfalt und nicht zuletzt Haltung gezeigt werden. Live Aid als politisches Statement gegen die Ungerechtigkeit hungernder Menschen gegenüber. Nach Status Quo erklomm Paul Weller und Mick Talbot mit ihrer Formation The Style Council die Bühne und gleich danach spielte The Boomtown Rats mit Bob Geldof, der meinte, "This is the best day of my life" und später abgelöst von Adam Ant, der wiederum meinte, "The World is watching, let’s feed it!". Der 13. Juli 1985 war ein verdammt heißer Tag und vor 40 Jahren heiß angesagt waren auch die Bands Ultravox rund um Midge Ure (dem Co-Writer von "Do they know it's Christmas?"), der damals zwei Riesenhits hatte – "Dancing with tears in my eyes" und "Vienna". Gary Kemp und das Spandau Ballet folgten, bevor Elvis Costello solo mit E-Gitarre die Bühne betrat und vor 70.000 Menschen im Wembley Stadion "All You Need is Love" zum Besten gab. Zwischendurch gab es immer wieder Einspielungen, zunächst aus Japan mit ihrem Beitrag "Loudness" und Österreich mit "Warum?".

Why Can’t We Live Together?

Zwischeinzeitlich eröffnete das Spektakel auch in den USA, konkret im JFK Stadion von Philadelphia vor 90.000 Menschen. Den offiziellen Auftakt machte Joan Baez, die auch bereits in Woodstock zu hören war und demgemäß leicht verklärend sagte, dass dies "unser" Woodstock sei. Die Dichte an Prominenz ließ nicht nach, eher im Gegenteil, irgendwie schien sich alles im Laufe des Konzerttages zu verdichten. Die nächsten an der Reihe waren Nik Kershaw, The Hooters, Four Tops, Billy Ocean, sowie eine Zuspielung von B.B. King, live vom North Sea Jazz Festival. Während im Wembley Stadion Sade die Bühne betrat und u.a. "Why Can’t We Live Together?" sang, stand in Philadelphia Ozzy Osbourne und Black Sabbath auf der Bühne. Es ist mittlerweile 15 Uhr in Europa (10 Uhr in Philadelphia), als Sting und Phil Collins ein gemeinsames Set spielen. Phil Collins wird später mit einer Concorde in die USA fliegen, um an diesem denkwürdigen Tag zweimal live zu spielen. "Why am I playing at both Wembley and Philadelphia?", wiederholte Phil Collins damals eine Frage und antwortete: "Because I’m mad, that’s why." Rick Springfield und REO Speedwagon waren derweilen in Übersee zu hören, Howard Jones wiederum in London nach Sting und Phil Collins.

One World (Not Three)

Musik ist die universelle Sprache der Liebe. Sie kann Hoffnung wecken, Hoffnung zeugen, Hoffnung geben, mitunter auch Wünsche erfüllen. An diesem Tag schien vieles möglich zu sein, und so war es auch möglich so unterschiedliche Künstler:innen und Bands wie Bryan Ferry, Judas Priest oder Crosby, Stills and Nash in 17-Minuten-Abständen live zu hören. Das Publikum dankte es, das konnte man sehr gut beim Auftritt von Paul Young und Alison Moyet sehen als Bob Geldof zu ihnen auf die Bühne kam und Live-Bilder des sich zuwinkenden Publikums in London und Philadelphia zeigte. "One World (Not Three)" hieß damals schließlich auch ein bekanntes Lied von Sting bzw. The Police. Der Tag, wie bereits erwähnt, war ein heißer Tag, hüben wie drüben und so kamen Wasserduschen fürs Live-Publikum immer wieder zum Einsatz. Der Schauspieler Jack Nicholson betrat um 12 Uhr in Philadelphia die Bühne (in London war es 17 Uhr), um zunächst Bryan Adams anzukündigen und dann (für London) U2. Der Auftritt von U2 gilt als einer der prägendsten an diesem Tag. Bono sprang während des Auftritts von der Bühne, schnappte sich eine junge Frau, um mit ihr zu tanzen. Die Parallelität der Gleichzeitigkeit: Beach Boys hier, Dire Straits feat. Sting dort und zum Drüberstreuen hörte man auch noch George Thorogood and The Destroyers feat. Bo Diddley und Albert Collins.

Is this the world we created?

Die Comedians Mel Smith und Griff Rhys Jones, beide verkleidet als Polizisten, betraten im Wembley Stadion die Bühne, um die nächste Band anzukündigen, "Her Majesty – Queen!" Dieser Kurzauftritt gilt für viele als der beste von Queen oder zumindest als die beste Performance bei Live Aid. Ein möglicher Grund dafür ist, dass sich Queen, im Gegensatz zu vielen anderen, eine Woche lang täglich in einem Studio auf diesen Live-Auftritt vorbereitet haben. Immer wieder kann man auch die Frage lesen, wer eigentlich nach Queen auf der Bühne stand. "Die Armen", lautet dabei immer wieder ein Befund, ohne eine Antwort zu erhalten. Tatsächlich waren es David Bowie und Mick Jagger mit einer Videoeinspielung ihres Duetts "Dancing in the street". Viele in London (und anderswo) machten es ihnen nach, öffneten die Fenster, gingen auf die Straße – und tanzten. Der nächste Live-Act nach Queen war dann der im kaltblauen Anzug gekleidete David Bowie. Ganz so arm war also diese Abfolge nicht, Queen hin oder her. Bowie sagte an dieser Stelle, gerichtet an die ganze Welt: "Let’s do it again next year. Let’s do it again every year." Aus irgendeinem Grund hielt sich aber niemand daran. Währenddessen lieferte Simple Minds in Philadelphia ihre 17-Minuten-Show ab, inklusive ihrem Riesenhit "Don’t You (Forget About Me)".

"Jede verkaufte Band-Aid-Platte brachte 29 Proteinkekse. Einer dieser Proteinkekse hält ein Kind für einen Tag am Leben."

40 Jahre Live Aid DVD BoxWir erinnern uns daher wieder an den Grund von Live Aid. Am Anfang stand der Song "Do they know it's Christmas?" von Band Aid, komponiert von Midge Ure (Ultravox) und Bob Geldof (The Boomtown Rats): "Jede verkaufte Band-Aid-Platte brachte 29 Proteinkekse. Einer dieser Proteinkekse hält ein Kind für einen Tag am Leben." David Bowie war es auch, der daran verstärkt erinnerte als er nach seinem Auftritt ein Video über die Hungerkatastrophe zeigte. Stille und Beklemmung kehrte ein, aber auch sehr viele Spendengelder. Die Live-Show ging schließlich mit The Pretenders rund um Chrissie Hynde in Philadelphia weiter, sowie mit The Who in London, die sich extra für diesen einen Auftritt wiedervereinigten. Namedropping ohne Ende, es folgten Santana, Elton John feat. Kiki Dee und George Michael, Ashford & Simpson und Teddy Pendergrass. Danach betrat Bette Midler die Bühne, um den neuen Shooting-Star anzukündigen – Madonna.

Let it be

Mittlerweile ist es Nacht in London (21:30 Uhr) und später Nachmittag in Philadelphia (16:30 Uhr). Ans Piano, auf dem zuvor Elton John spielte, begab sich nun Paul McCartney und spielte sein "Let it be". Für viele im Publikum war es das erste Mal, dass sie einen ex-Beatles ein Lied von The Beatles live spielen hörten. Mir ging es damals nicht anders und es war ein sehr bewegender Moment, umso mehr, als während des Liedes Bob Geldof, Pete Townshend (The Who), David Bowie und Alison Moyet als Chorsänger:innen auftauchten. Es war dies der letzte Live-Auftritt im Wembley Stadion vor dem großen Finale als alle Musiker:innen, die zuvor live spielten nochmals auf die Bühne kamen, um "Do they know, it’s Christmas?" zu performen, lauthals proklamierend jene Textzeile, die für dieses Live-Spektakel im Vordergrund stand: "Feed the World".

Against All Odds

Das Wembley Stadion tauchte sodann nach und nach in die Dunkelheit der Nacht ein. In Philadelphia war es aber gerade mal später Nachmittag, sechs weitere Stunden mit Live-Musik standen noch bevor. Die Starriege auch hier mehr als beeindruckend: Tom Petty & The Heartbreakers, The Cars, Kenny Loggins, Neil Young, Power Station, Thompson Twins, Phil Collins. Er hatte es also geschafft, ist mit dem Überflieger angekommen und spielte ein zweites Mal seinen Riesen-Hit "Against All Odds" und meinte lapidar "but I did it better here. I'm better in the evenings than the afternoon". Und so wie sich The Who für Live Aid wiedervereinigten, so gab es auch für Led Zeppelin eine Wiedervereinigung, allerdings mit Phil Collins hinterm Schlagzeug bei "Stairway To Heaven". Weitere Live-Performances folgten von Eric Clapton, Duran Duran, Patti LaBelle, Hall & Oates feat. Eddie Kendricks und Dave Ruffin von The Temptations.

We are the World

Die letzten zwei Live-Auftritte gehörten allerdings in gewisser Weise den Rolling Stones, wenn auch inniglich getrennt. Zunächst enterte Mick Jagger die Bühne, der mit Tina Turner im Duett sang. Der Höhepunkt vor dem Höhepunkt, oder so ähnlich. Jack Nicholson kehrte ebenfalls auf die Bühne zurück und kündigte "one of America's great voices of freedom" an, Bob Dylan. Mit zwei Gitarristen an seiner Seite betrat er die Bühne, und diese zwei Gitarristen waren niemand geringerer als Keith Richards und Ronnie Wood von den Rolling Stones. Hinter ihnen ein riesiger Vorhang. Dahinter probten alle an dem Tag in Philadelphia aufgetretenen Musiker:innen bereits das Finale für "We are the World", was den Auftritt von Dylan, Richards und Wood zu einem suboptimalen Erlebnis machte, da sie sich selbst nicht hören konnten. Kaum war ihr Set beendet, öffnete sich der Vorhang und Lionel Ritchie, der Co-Writer von "We are the World", beginnt die Eröffnungszeile des Liedes zu singen. Mit ihm u.a. Sheena Easton, Cher und Harry Belafonte, sowie die 90.000 Menschen im Publikum. 22:15 Uhr, JFK Stadion in Philadelphia. Sperrstunde.

40 Jahre Live Aid auf DVD

Es blieb beim Einzelereignis, dokumentiert auf einer 4-DVD-Box. "Diese Hungersnot ist einer der größten Schandflecke unserer Zeit, und ich denke, es ist eine Anklage an uns und spricht für unsere jämmerliche Moral, dass eine Plastikscheibe von sieben Zoll mit einem Loch in der Mitte heute den Wert eines Menschenlebens hat", so Bob Geldof später einmal. Und so sieht man auf einer der vier DVDs von "Live Aid" diesbezüglich Geldof mit der unseligen Thatcher diskutieren, wie er es schaffte erfolgreich Überzeugungsarbeit zu leisten, dass letztendlich sogar die UN für die Sicherheit der Transporte sorgte und vor allem auch, dass dieses Projekt weiterhin besteht und Gutes sät, denn "Live Aid" setzte von Beginn an auch auf langfristige Hilfe. Kurioserweise wurde Geldof gerade deshalb kritisiert, auch wenn er nicht müde wurde zu betonen, dass es vielleicht langweilig sei, einem Baum zwanzig Jahre lang zu beobachten wie er wächst und einem Kind zuzusehen, wie es zwanzig Jahre braucht erwachsen zu werden, aber zwanzig Jahre muss man einmal werden (geschweige denn 40) in einem Land, in dem Kinder oft nicht das sechste Lebensmonat überleben. //

Text: Manfred Horak

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