Inhalt

Weihnachtsalben zur Hälfte des ersten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert zehren zum Großteil noch immer von den Liedern, die erstmals in den 1930er bis 1950er Jahren veröffentlicht wurden, frei nach dem Motto Alle Jahre wieder die gleichen Weihnachtslieder. Im wesentlichen gilt das auch für 2016, neu verpackt in Hülle und auch in Fülle. Wir haben uns elf diesbezügliche Alben vorgenommen, um herauszufinden, ob sie es dennoch wert sind gehört zu werden. Unter Lauschbeobachtung standen die Damen und Herren Neil Diamond, R. Kelly, Katie Melua, Kylie Minogue, Kacey Musgraves, Laura Pausini und Frankie Valli, die Bands Pentatonix und Trans-Siberian Orchestra, sowie die zwei österreichischen Produktionen mit Sabina Hank und Antje Kohler.


Beginnen wir gleich mal mit dem rockigsten Album dieser Auswahl, mit dem Trans-Siberian Orchestra und dem Album "The Ghosts of Christmas Eve" (UMD / Lava Music / Republic Records). Ein liebliches Klavier und die harte Stromgitarre bieten Weihnachtsfantasien irgendwo zwischen Prog und Bombast, Meat Loaf und Jim Steinman. Der Weihnachtsbaum, riesengroß und grell geschmückt, dazu röhrt die Rock-Stimme. Reichlich abgefahren diese elf Songs bzw. Versionen und definitiv gewöhnungsbedürftig, wenn man in dieser Rocktönung What Child is this?, This Christmas Day oder O Holy Night hört, und wie hier die Rockklischees in Weihnachtsmelodien eintauchen.




Quasi das genaue Gegenteil vom transsibirischen Rockorchester kommt die US-Formation Pentatonix daher. Anstelle lauter Rockgitarren sind es hier fünf Gesangstimmen (eine Frau, vier Männer), die kein weiteres Instrument benötigen, kurzum, Pentatonix ist eine A capella Band. Außergewöhnlich ist bei dieser Band vor allem der Umstand, dass sie bereits zum vierten Mal in Folge ein Weihnachtsalbum veröffentlichen - alle Jahre wieder also gibt es "Pentatonix Christmas" (SMI / RCA Records Label), diesmal wurden zwei der elf Songs sogar selbst geschrieben, nämlich Good To Be Bad und The Christmas Sing-Along, die gleichzeitig neben einer ziemlich sehr guten Version von Leonard Cohens Halleluja die Höhepunkte des alles in allem kurzweiligen Albums sind. Der Rest sind gängige Weihnachtsklassiker, und da stellt sich halt immer wieder von Neuem die Frage, in welchem Gewand solch ein Klassiker - z.B. I’ll Be Home For Christmas - musikalisch dargebracht werden soll, um nicht in Kitsch, Klischee und Punsch ertränkt zu werden bzw. ob eine andere Version von White Christmas mit jener berühmten von Bing Crosby mithalten kann.





Ein durchwachsenes Weihnachtsalbum legt hingegen Laura Pausini mit "Laura Xmas" (WEA International) vor. Dargebracht mit dem großen Orchester von Patrick Williams fährt sie mit der Zuhörerschaft durchs volle Standard-Programm mit gütlich gelungenen Bigband Versionen von Let it Snow! Let it Snow! Let it Snow!, Jingle Bells, Santa Claus is Coming to Town, Jingle Bell Rock und einigen mehr. An White Christmas hat sie sich ebenfalls herangetraut, wobei sie an Bing Crosby dabei ebenso wenig rankommt wie an John Lennon und Yoko Ono in ihrer Version von Happy Xmas (War is over). Viel Licht also, aber auch viel Schatten.








Eine Handtasche mit einem kleinen Weihnachtsbaum trägt Antje Kohler stets mit sich rum, und so ist auch das schicke Albumcover von ihrem Album "Because it's Christmas" (mechthildmusic) zu erklären. Die in Wien lebende Sängerin zahlreicher Band-Projekte und Formationen wie u.a. der A cappella Band The Alpine Carolers, der Dialektband herztöne und des Gesangensembles Vienna Voicings, sowie als Background-Sängerin bei Andy Lee Lang vertont zwölf weihnachtliche Lieder mit hohem Unterhaltungswert. Begleitet wird Antje von Michael Schnell (Klavier, Rhodes, Orgel), Stefan Thaler (Bass), Maria Petrova (Schlagzeug) und den Gästen Horst Hausleitner (Saxofon) beim Eröffnungssong Merry Christmas, Darling und Megan Crain als Duett-Partnerin beim Stevie Wonder Klassiker Someday at Christmas. Antjes Weihnachtslied-Reise führt zu jazzigen Melancholien und verfeinerten Stimmungsbildern wie I’ve Got My Love To Keep Me Warm von Irving Berlin und It’s Beginning To Look A Lot Like Christmas von Meredith Wilson bis hin zu The Power of Love von Frankie Goes To Hollywood.




Kitsch as Kitsch can bietet die Snow Queen Edition von "Kylie Christmas" (Parlophone Label Group) mit Kylie Minogue. Dass sie sich auf diesem Album auch 2000 Miles von The Pretenders annimmt ist löblich, zeigt dabei aber gleichzeitig auch auf, dass sie mit der gesanglichen Klasse von Chrissie Hynde nicht einmal annähernd mithalten kann. Ihr Christmas Wrapping mit Iggy Pop ist von der musikalischen Umsetzung, den Bläsern und der Ausgelassenheit sicherlich das interessanteste Lied am Album, ob Iggy Pop allerdings tatsächlich mit ihr das Studio von innen gesehen hat darf zumindest angezweifelt werden. Nach Cliff Richard und Helene Fischer, die jeweils Elvis Presley ausgegraben haben, betätigt sich auch Kylie Minogue der Leichenfledderei. Ihr toter Duettpartner ist Frank Sinatra, das Lied Santa Claus is Coming to Town. Ziemlich übel und irgendwie abartig lächerlich.








Francis Stephen Castelluccio veröffentlichte bereits 1953 seine Debüt-Single. Gemeint ist natürlich Frankie Valli, der ab 1960 mit der Band Four Seasons zu großen Chart-Erfolgen kam und 1990 in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde. Die Songs kennt man, sei es Walk Like A Man (Nummer Eins Hit im Jahr 1963), Rag Doll (#1; 1964), Bye, Bye, Baby (Baby, Goodbye) (#12; 1965), oder December, 1963 (Oh, What a Night)  (#1; 1975) und einige mehr. Mit "The 4 Seasons Greetings" gab es bereits 1962 ein ziemlich erfolgreiches Weihnachtsalbum, nun legt Frankie Valli mit "'Tis the Seasons" (Rhino) sein erstes Weihnachtsalbum unter eigenem Namen vor. Sein Falsettgesang hat sich mittlerweile freilich ein paar Töne nach unten verschoben, was nicht weiter stört, die geschmackvolle Stilsicherheit was die Arrangements betrifft ist ebenfalls gegeben und mit Jeff Beck fand er einen kongenialen Duettpartner an der Rockgitarre, wenn leider auch nur für ein Lied (Merry Christmas, Baby). Alles in allem ein sehr unterhaltsames wie kurzweiliges Weihnachtsalbum mit all den bekannten Klassikern und Standards von Frosty, the Snowman und Jingle Bell Rock bis hin zu Blue Christmas und - ja, ja - White Christmas. Nicht die schlechteste Version übrigens. "'Tis the Seasons" ist von der Auswahl her zwar überraschungsarm, von der Umsetzung dafür alles andere als lahm und x-beliebig. Anspiel-Tipps: Let it Snow! Let it Snow! Let it Snow! und Merry Christmas, Baby (feat. Jeff Beck).



Weihnachtsalben von Neil Diamond sind keine Seltenheit. Seit seinem Weihnachtsalbum-Debüt "The Christmas Album" (1992) legte er drei weitere vor - nach "The Christmas Album II" (1994), "A Cherry Cherry Christmas" (2009) und "Classic Christmas Album" (2013) folgt nun also sein fünftes mit dem Titel "Acoustic Christmas" (UMI/ Capitol Records). Als Produzent fungiert Don Was - das Album ist also (so wie das Blues Album von The Rolling Stones) gewissermaßen Chefsache, wurde Don Was 2011 doch zum Chief Creative Officer des Jazzlabels (!) Blue Note Records bestellt. Wie auch immer. Die Lied-Auswahl von Neil Diamond geht den üblichen Weg mit Klassikern und Standards, bietet aber immerhin auch 2 1/3 eigene Lieder. Ein Drittel davon ist im unterhaltsamen Christmas Medley, dem Rausschmeißer des Albums, untergebracht. #1 Record for Christmas heißt selbstbewusst eine Eigenkomposition, die ungleich interessantere ist jedoch Christmas Prayers. Ein Song mit Potenzial, zukünftig in diversen Cover-Versionen gehört zu werden. Entschlackte Arrangements und einfache weihnachtlich-stimmige Stilmittel machen das Album zu einem kurzweiligen Vergnügen.





Die erfolgreiche Folk-Sängerin Katie Melua hat es jetzt auch - ihr weihnachtliches Winteralbum - oder umgekehrt? "In Winter" (BMG) heißt jedenfalls das Album, eingespielt mit dem Gori Women’s Choir, aber ohne Langzeit-Kompagnon und Mentor Mike Batt. Die weihnachtliche Freude weicht hier eher einer festlichen Stimmung, ist allerdings von der Umsetzung nicht so kühl und distanziert wie es z.B. Annie Lennox auf ihrem Album "A Christmas Cornucopia" (2010) anlegte. Und so wie Lennoxens Album ein Cornucopia (dt. Füllhorn) an Ideen war, ist auch das vorliegende Album von Katie Melua ideenreich und erfüllend. Die Sängerin und Gitarristin legt eine Mischung aus Eigenkompositionen und traditionellen Songs aus der Ukraine und Rumänien vor, und zollt auch Joni Mitchell mit der Cover-Version von The River Respekt. "In Winter" ist eine Musikreise in die Verinnerlichung, hinein in die Heiligkeit stiller Nächte.






Der dreifache Grammy-Gewinner R. Kelly veröffentlicht mit "12 Nights Of Christmas" (RCA Records Label) sein erstes Weihnachtsalbum, und das kann sich mehr als hören lassen. Herzzerreißend wie der Soulsänger Mrs. Santa Claus anschmachtet und wie er generell soulige Grooves und hippe Beats für die kalte Jahreszeit verarbeitet. Der Spirit von Stevie Wonder (Snowman), Smokey Robinson (Flyin’ on my Sleigh) und Marvin Gaye (Christmas Lovin’) zieht sich wie Lametta quer überm Weihnachtsbaum durchs ganze Album. "12 Nights Of Christmas" ist ein echter Gewinn für das Genre Weihnachtsalbum. R. Kelly gelang es Kitsch und unnötigen Schmalz außen vor zu lassen und sich kraft seiner Gesangstimme auf Anmut und Schönheit, auf Joy, Love and a Soulful Christmas zu konzentrieren. Grandios.







"A Very Kacey Christmas" bringt mit vier neuen, selbst geschriebenen Songs und acht Coverversionen den amerikanischen Pop der 1940er, '50er und '60er-Jahre zurück“, heißt es im Info-Text zum Album von Kacey Musgraves, jener Country-Sängerin, die seit 2013 in den USA zum Star aufstieg und mittlerweile bereits zwei Grammys einheimste. Mit dabei ist auch ein Duett mit dem befreundeten Willie Nelson, das fabulöse A Willie Nice Christmas, eines von mehreren Highlights des Albums. Jetzt, persönlich: Ich kann den Song Feliz Navidad eigentlich nicht ausstehen, Kacey Musgraves schafft es diesen Song in eine (zumindest halbwegs) erträgliche TexMex Version umzuwandeln. Generell punktet das Album mit völlig umgekrempelten Arrangements der alten Weihnachtshadern und kann damit auch Weihnachtsliedauskenner überraschen. "Es war uns sehr wichtig, völlig neue Arrangements auszuarbeiten, die zu mir passen“, so Kacey, und, näher erläuternd: "Es ist schon einschüchternd, einen Song zu covern, den man von Bing Crosby oder Ella Fitzgerald kennt. Das sind unglaubliche, legendäre Sänger, die man nicht imitieren kann. Ich habe meine Versionen mit jeweils 50, 60 Takes geschliffen, weil ich sie wirklich richtig für mich wollte." Der Riesenaufwand, die harte Arbeit, hat sich gelohnt. "A Very Kacey Christmas" (UMI/ Mercury Nashville) ist richtig gut geworden und bietet alles, was ein großes Weihnachtsalbum bieten sollte. Eine Mischung aus Klassikern und neuen Songs, aus Nostalgie und Sentimentalität, Melancholie und Wehmut, Freude und Wunder.


Genau diese Mischung bietet auch Sabina Hank, mehr noch, denn wenn es ein Weihnachtsalbum gibt, das man sich für Weihnachten 2016 zulegen sollte, dann ist es "Blue Notes on Christmas" (Meander Records) von Sabina Hank. Ihr Album vereint Standards (Jingle Bells) und Eigenes (My Favorite Things), 1980er Jahre (Last Christmas) und auch Stille Nacht, Heilige Nacht. Aber egal was Sabina anfasst, sie bringt uns damit neue, wertvolle Geschenke. Alleine, dass sie es schafft aus Last Christmas von Wham! ein tatsächlich (wieder) hörbares Lied zu machen, grenzt fast schon an ein Weihnachtswunder - okay, das mit dem Wunder ist natürlich stark übertrieben, denn sie ist einfach eine großartige Jazzsängerin und Pianistin mit Gefühl für ordentliche Arrangements. "In meinen Arrangements ist aber auch der Blues ein wichtiges Element - als Quelle von Authentizität und Individualität, als rhythmischer Ausdruck von Ursprünglichkeit und Leidenschaft - um diesem für mich fast nicht mehr erträglichen, eindimensionalen, musikalischen Kitsch - und Klischeewahnsinn etwas entgegen zu halten", so Sabina Hank. Diese Kitschentsagung und diese Leidenschaft entzündet sich auch in Weihnachtsliedern wie Leise rieselt der Schnee oder Es wird scho glei dumpa. Was sich so dermaßen gut hören lassen kann, hat freilich mit der Besetzung zu tun. Neben Sabina Hank (vocals, piano, composition, arrangements) spielen mit ihr zur Joy of the World Christian Wendt und Andy Mayerl (beide Bass), Christian Lettner (drums), Herb Berger (chromatic harp), Martin Scales und Peter O’Mara (beide guitar). Eine prominente Unterstützung erhält Hank zudem vom Grammy-Gewinner Bob Mintzer am Saxofon, mit dem Sabina bereits 2004 das Album "Music in a Mirror" eingespielt hat - und der nach Hören der ersten Live Recordings mit den Worten "Yeah, Sabina, great arrangements, great band - I’m in", ́ erneut seine Zusage gab. "Es sind vor allem die musikalischen Begegnungen mit solchen herausragenden Ausnahmekünstlern, die deutlich machen, wie wichtig es ist, seinen eigenen Weg zu gehen und seinen eigenen Sound zu finden", meint Sabina Hank und dem kann man eigentlich nur bedingungslos zustimmen. In diesem Sinne Love, Peace and Happiness. //

Text und Foto: Manfred Horak