heimat_teaserDrei neue exzellente Tonträger dreier Exzellenzen gibt es zu vermelden. Hubert Achleitner aka Hubert von Goisern bringt mit "Ausland" und "Warten auf Timbuktu" ein CD-DVD-Doppelpack raus, Markus Binder und Hans Peter Falkner aka Attwenger veröffentlichen mit "dog" ein weiteres ungewöhnliches Klangbildlyrik, und von Hans-Jürgen Buchner aka Haindling erschien eine Doppel-DVD namens "Haindling - live".

"Ein hervorragendes Beispiel für ein regionales - und zunehmend nationales  - 'kulturelles Erbe' gibt das 'Musikland Österreich'", schreibt Musikwissenschafter Gernot Gruber in seinem Essay "Flüchtige Musik als globales und regionales 'kulturelles Erbe'" aus dem 2005 im StudienVerlag erschienenen Buch Kulturerbe als soziokulturelle Praxis, herausgegeben von Moritz Csáky und Monika Sommer. Musik, meinte er weiter, sei als "Gedächtnisort" hierzulande ein dominantes Element der kulturellen Identität. In diesem Buch ist auch viel von Kultur als emotional gefärbtes Äquivalent der rational-nüchternen sprachlichen Repräsentationen ökonomischer und politischer Integrationsprozesse die Rede und natürlich von der Suche nach allen möglichen Identifikationen und deren Möglichkeiten.

Endlos groovende Musikwarteschleife

attwenger_dogUm Identität(en) und Heimat(en) handeln auch vorliegende Neuveröffentlichungen von Haindling, Hubert von Goisern und Attwenger. Letztere bieten auf ihrem sechsten Album mit dem im englischen wie im Dialekt anwendbaren Titel dog obskure Sinnlichkeiten und verquere Denkmuster inklusive bestimmte bis verstimmte Protesthaltungen. "östareicha san brunzer/waun dhosn voi is/betns a vater unser". Der österreichische Generalkonsul in New York, Dr. Michael Breisky, schrieb übrigens in Der Kompass im Kopf: Menschliches Maß und Politik im 21. Jahrhundert (2004; Otto Müller Verlag) im Grunde das Gleiche, nur formulierte er es anders, umständlicher: "Wenn 'Heimat' häufig auch von anderer Seite her auf Skepsis stößt, dann wegen der damit verbundenen Assoziation des 'dumpfen Provinzialismus'". Man erinnere sich, wie er schreibt, sowohl an die verlogenen Klischees der Heimat-Romane und -Filme als auch an das Kirchturmdenken mit seiner Kleinlichkeit des fehlenden Horizonts, sowie an die fehlende Rückzugsmöglichkeit in die Anonymität, was erst den typischen Gesinnungsterror dörflicher Gemeinschaften ermöglicht. Wie hieß das gleich nochmals bei Attwenger? "östareicha san gmiadlich/wauma schaut/owa voi aggressiv bis/knopp unta di haut", und, auch: "östareicha san sudarantn/rehd amoi mit deine onkl und dantn". Musikalisch begibt sich Attwenger dabei in eine Art endlos-groovende Musikwarteschleife. Vielleicht tritt ja mal was Neues hervor, vielleicht aber auch nicht. Wurscht so lange es attwengert. Attwenger holt dich aus der Provinz raus. Die Welt bleibt dennoch ein Kaff.

Wo beginnt das Ausland?

goisern_hubert_von_auslandWie sehr die große, weite Welt ein Kaff ist zeigt die superb von Peter Pfund gefilmte Reisedokumentation auf Hubert von Goiserns Ausland / Warten auf Timbuktu. Und auch hier ist die Begrifflichkeit "Heimat" ein Thema, alleine schon bei der Ansage des Moderators beim "Festival au Desert" in Timbuktu: "Hubert von Goisern verbindet die traditionelle Musik seiner Heimat mit der Moderne. Seine Liebe zur afrikanischen Musik und zu Afrika lässt ihn eine Brücke zwischen Kulturen schlagen." Heimat sei für ihn auch das, erzählte mir der Vielgereiste Musiker kürzlich, wo man schon einmal war: "Der Titel meiner neuen CD-DVD ist sicherlich auch eine Provokation, denn wo beginnt das Ausland? Wenn man streng ist, beginnt für einen Goiserer bereits in Ischl das Ausland." Der CD-Teil bietet mit einer Ausnahme hinlänglich bekannte Volkslieder in frischen, zündenden Live-Versionen, so wie die neue Attwenger neue Eigenkompositionen ins Licht rückt, die aber durchaus auch auf älteren Attwenger-Alben Platz finden hätten können. Herausragend auf "Ausland" ist das fast 8-minütige "Goassbeitlbauern", sowie "Iawaramoi" und "Stadltür". Das Album besticht mit mächtigen Grooves und einem satten Sound, der mal glatt, mal verkehrt, daher kommt. Auf der DVD finden sich ebenfalls etliche Überraschungen, sei es das Duett mit dem Balafonspieler Kelediki aus Mali, sei es die furiose Rap-Version von "Koa Hiatamadl" mit Bil Akakora aus Burkina Faso. Spielt Attwenger bewusst mit Wörtern, die sowohl im oberösterreichischen Slang wie auch im englischen eine Bedeutung finden, so stieß Hubert von Goisern beim Wüstenkonzert in Essakane eher zufällig auf die bilinguale Bedeutung von der Dialektredewendung "Jo mei", was in Timbuktu, übersetzt ins arabische, so viel wie "Inschallah" heißt - zurück übersetzt ins Deutsche bedeutet dies wiederum "Wenn Gott will", als Ausdruck der Schicksalsergebenheit und des Einverständnisses mit dem, was Allah schickt. Apropos Gott: In dem von der Michael Neugebauer Edition herausgegebenen liebevoll gestalteten "Familienbuch mit CD" erscheint fürs Weihnachtsgeschäft die reich bebilderte Erzählung über den alle-Jahre-wieder-Klassiker Stille Nacht Heilige Nacht. Hubert von Goisern interpretiert dabei die unverzichtbare schnörkellose Urfassung des Liedes.

Volksmusiktöne in neuen Umlaufbahnen

haindling_dvd_coverEin unverzichtbares doppeltes Vergnügen bereitet im übrigen auch Haindling - live. Die 1982 gegründete bayrische Band um Hans-Jürgen Buchner war für viele der Wegbereiter, um die traditionellen Volksmusiktöne in neue Umlaufbahnen zu lenken. Auf der Doppel-Live-DVD ist so gut wie alles vertreten was man von Haindling hören möchte, von seinen meisterlichen Reduktionsformeln "Du Depp" und "Spinn i" bis hin zu den berühmten Haindlingtherapien, den Weltjazzmusiken "Schafslied", "Kramer Annamierl" und "Höhlenmalerei" plus seinen L'amour-Hatschern "Lang scho nimma g'sehn" und "I hob vergessen" - diese Prise Entzückung feiert übrigens auf Attwengers "dog" mit dem fürstlichen "komm" eine irritationsfreie Wiederauferstehung. Die 20-Jahres-Reise von Haindling endet auf der DVD mit einem Konzert aus dem Jahr 2002 im "Circus Krone" als Versuch einer pompösen Erhaltung des Ursprünglichen, und einem ausführlichen Portrait. Haindling schuf von Beginn an ein globales Menschenbild im lokalen, mit individuellen Qualitäten und dem Aufruf zur Liebe, in der die "Heimat" nicht mehr stimmt, weil sich die "Außenwelt" weiterentwickelt hat. (Manfred Horak)

CD/DVD-Tipps:
Hubert von Goisern – Ausland (2005; Blankomusik/Sony BMG; CD-DVD)
Attwenger – dog (2005; Trikont/Hoanzl; CD)
Haindling – Haindling live (2005; Sony BMG; Doppel-DVD)

Buch und CD:
Werner Thuswaldner/Robert Ingpen/Hubert von Goisern - Stille Nacht Heilige Nacht (2005; minedition; Buch + CD)