Bis 24. November 2018 lautet im Kunstraum Niederoesterreich in Wien das Motto #fuckreality.

In den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts hatte Martin Kusch eine Idee: Während eines Wettbewerbs im Turmspringen kam ihm der Gedanke für ein Kunstprojekt - die Welt aus der Perspektive eines Turmspringers erleben. Doch die Technik war noch nicht so weit. Heute ist sie es. Das Ergebnis heißt "Diver". So der Name der interaktiven Installation, die es den Benützern ermöglicht mit Hilfe eines so genannten Virtual-Reality-Head-Mounted-Displays (ein direkt vor den Augen getragener Bildschirm, der es erlaubt die reale Welt so weit wie möglich auszublenden) in den Körper eines athletischen Turmspringers zu schlüpfen - zumindest so weit es die Technik auch heute erlaubt. Denn von den verheißungsvollen Imaginationen mancher Science Fiction Autoren und Hollywood-Blockbusters hat das Erlebnis wenig. Doch es zeigt wohin der Weg führt. Noch nie waren die Möglichkeiten in virtuelle Welten einzutauchen so vielfältig und allgegenwärtig.

Die virtuelle und die reale Welt verschmelzen zusehends

Auch wenn es uns nicht immer bewusst ist, so sind wir in unserem Alltag umgeben von virtuellen Welten. Der Blick auf diverse Social-Media-Seiten, der Gang ins Kino und das Versinken ins Computerspiel. Die virtuelle und die reale Welt verschmelzen zusehends. Im Einrichtungsstudio kann man sein zukünftiges Badezimmer virtuell betreten, im Internet mit Avataren shoppen. Im Kunstraum Niederoesterreich steht man plötzlich einer Gruppe von seltsamen Wesen gegenüber. Sei es Dank der Augmented-Reality-Installation "Parallel Musing" von Tina Muliar, bei der sich beim Blick durch das Tablet der Ausstellungsraum mit neuen Besuchern füllt, oder bei Johannes Huceks Mixed-Reality-Installation im Fulldome. Eine 360-Grad-Projektionsfläche, die im Zuge eines Forschungsprojekts an der Universität für Angewandte Kunst entstand.

Veränderungen der Wahrnehmung unseres Wirklichkeitsverständnisses

Für Ruth Schnell, Leiterin der Abteilung "Digitale Kunst" an der Universität für Angewandte Kunst, die die Schau bestehend aus Arbeiten von Studenten, Absolventen und Lehrenden der Angewandten, gemeinsam mit Martin Kusch und Alexandra Schantl kuratierte, ist es wichtig im Zuge der Ausbildung eine Zusammenarbeit von Künstler_innen, Techniker-innen und Theoretiker_innen zu ermöglichen.
"Diesen diversen , ineinandergreifenden 'Genres' gemein ist das Interesse an einer Erschließung neuer Handlungsfelder in einer Auseinandersetzung mit medientechnologisch bedingten Veränderungen unserer Wahrnehmung und unseres Wirklichkeitsverständnisses", so Schnell, die in der Ausstellung selbst mit einer Augmented-Reality-Arbeit vertreten ist.
"COMBATScience Augmented" entstand bereits 2008 für das Volkstheater und behandelt die Lebensgeschichte des für die Gasattacken im Ersten Weltkrieg verantwortlichen Chemikers Fritz Haber und dessen Frau, die Chemikerin und Pazifistin Clara Immerwahr. Für die Ausstellung im Kunstraum wurde die Installation - bei der die Besucher mit den Fragen von moderner Kriegsführung und die Rolle der Wissenschaft dazu konfrontiert werden - um den zeitgenössischen Aspekt eines Googles-Projektes mit dem amerikanischen Verteidigungsministerium, das nach Mitarbeiterprotesten eingestellt wurde, erweitert.

Ölunfall im Ostchinesischen Meer

Ein unliebsames Thema behandelt auch Franz Schubert. Der "Spezialist für 3D-Animation in der Klasse", so Schnell, rekonstruierte anhand weniger zugänglicher Bilder den katastrophalen Unfall des Tankers Sanchi. Das mit einem hochgiftigen Ölkondensat beladene Frachtschiff war im Jänner 2018 im Ostchinesischen Meer gesunken, nachdem es ausgebrannt war. Bilder und Informationen über das Unglück wurden geheim gehalten und sind so gut wie nicht zu bekommen, was bei vielen kritischen Geistern eine Reihe von Verschwörungstheorien auslöste, wie Schubert erläutert. In der Ausstellung erhalten die Besucher doch noch einen Einblick, in das - man glaubt es kaum - abgeschwächte Szenario des Schreckens. Ein nützlicher Einsatz von Technik. Was wir mit den neuen Möglichkeiten anfangen wird sich weisen. Gut, dass das Feld auch von Künstlern beackert wird. //

Text: Sandra Schäfer

Fotos und Video: Manfred Horak

#fuckreality

Bis 24. November 2018

Kunstraum Niederoesterreich

Herrengasse 13
, 1010 Wien

Öffnungszeiten: Di bis Fr 11 bis 19 Uhr, Sa 11 bis 15 Uhr

Eintritt frei!

Öffentliche Führung
9. November 2018, 17 Uhr

Programm bei der VIENNA ART WEEK 

22. November 2018

18 Uhr, Kurator_innenführung mit Alexandra Schantl und Ruth Schnell

19:30 Uhr, The Swarming Gallery von kondition pluriel (Martin Kusch/Marie-Claude Poulin)