Die Tage zwischen den Jahren sind vermutlich die beste Zeit im Jahr überhaupt um - gemäß dem Kolumnen-Arbeitstitel - nachzudenken, woran es liegt, dass der Einzelne sich nicht wohl fühlt, obwohl es uns allen so gut geht.

Die vollen Coloniakübel erzählen nicht nur vom Wohlstand unserer Gesellschaft, sondern auch von den kleinen Unterschieden in ihrem Innersten: "Von Christkind und Ralph Lauren" entziffere ich auf Verpackungsresten, die mir bei einem Spaziergang durch Linz aus dem Altpapiercontainer entgegenragen.

Mit jenen Menschen, wo das Christkind vielleicht nur mit KiK zusammenarbeiten kann oder sich auch gleich gar nicht blicken lässt, zeigt man sich aber gerne solidarisch: im Internet. Konkret sind mir zwei digitale Aktionen aus der analogen Zivilgesellschaft aufgefallen: #KeinerbleibtAllein ist eine Initiative, die schon seit über einem Jahr Menschen, die Festtage wie Weihnachten oder Silvester alleine verbringen müssen, aber nicht möchten, über Twitter und Facebook mit jenen zusammenbringt, die am Festtagstisch einen Platz übrig haben. Einen lesenswerten Artikel dazu gibt es in Süddeutsche Zeitung. Eine andere Aktion, die mehr Social ins Web und Welt bringen möchte, ist #EineSorgeWeniger: “Social Fundraising für #unten”. Autsch.

Zur Erinnerung: Unter dem Hashtag #unten wurden jüngst denen "oben" auf Twitter Armutserfahrungen "von unten" berichtet. Zeit nun, von oben ... hinunterzuschauen? Ich trete mir auf die Zehen und habe Rainald Grebe im Kopf, der in seinem Lied "Oben" in bester satirischer Manier höhnisch fragt: "5 Euro Stundenlohn? Was ist das überhaupt, Stundenlohn? Komm sag’s mir! Sag’s mir!" (Seht euch dazu das Video am Ende des Artikels an.)

Einst oben und nun unten ist auch Claas #Relotius, der Spiegel-Reporter, der seine Reportagen ausgeschmückt bis erfunden hat. Ein Schlag für die Medien, die ohnehin um Glaubwürdigkeit und Vertrauen ringen. Warum der Einzelne so lügt, wo alle doch so ehrlich sind? Ich würde gerne die Statistiken sehen, die den Traffic zeigen, den Relotius in seinem Reporter-Leben auf den digitalen Kanälen des Spiegel generiert hat. Welche KPiS galt es zu erreichen? Wer hat sich die Hände gerieben? Ist es wirklich Schuld des Publikums, wie eine in diesen Tagen häufig zitierte These lautet, das nach solchen Geschichten verlangt? - Am 6. April 2017 schrieb eine gewisse Michele Anderson eine Nachricht an den Twitter-Account @DerSPIEGEL: "Ich lebe in Fergus. Wir fragen uns, warum er [Relotius, Anm.] hier Zeit verbrachte, wenn er doch nur Fiktion schreiben wollte. Urkomisch, eine beleidigende Form von Pseudo-Journalismus." Der Spiegel schreibt dazu: "Jeden Tag twittern Dutzende Menschen an diesen Account, anders als eine E-Mail werden diese Nachrichten aber nicht alle von einem Redakteur genau gelesen" und fügt hinzu: "Für den SPIEGEL wäre es gut gewesen, wenn ihre Nachricht damals schon gelesen und ihre Dramatik erkannt worden wäre." Hier der Link zum Spiegel PDF "In eigener Sache".

Woran es liegt, dass der Einzelne nicht gehört wird, obwohl es uns allen so gut geht? Hinschauen, hinhören, das ist vielleicht ein Anfang. Nächste Woche, wir schreiben dann bereits das Jahr 2019, wieder auch hier. Bis dahin einen guten Rutsch, ob nun oben oder unten, und Prosit Neujahr! //

Text und Foto: Anne Aschenbrenner
Das Foto entstand im Bank Austria Kunstforum Wien, das Kunstwerk ist von Eva Schlegel und heißt "Spaces".