Haute Couture Filmladen

Zwei Frauen aus verschiedenen Klassen, beschrieben als Gegensatzpaar, die unterschiedlicher nicht sein könnten, begegnen sich auf Umwegen und kommen nicht voneinander los. Haute Couture ist ein gutmütiger Film in schönen Kleidern.

Im Blick der Retterin

Die bald pensionierte Directrice Esther (Nathalie Baye) wird in der Metro von der jungen Diebin Jade (Lyna Khoudri) beklaut, von der sie bei dieser ersten Begegnung den Blick nicht lassen kann. Als  diese aus Gewissensbissen die gestohlene Handtasche zurückbringt, erkennt die Haute Couture Schneiderin auf den zweiten Blick etwas Außergewöhnliches in dem Banlieue-Kind. Es ist wohl ein Teil des eigenen Selbst, dass sie in der rebellischen und willensstarken Jade sieht. Denn ohne offensichtlichen Grund ermöglicht sie Jade eine Praktikumsstelle in ihrem Zuhause - dem Atelier des Modehauses Dior. Und somit ist eine höchst unwahrscheinliche Bindung zwischen den zwei Protagonistinnen geschaffen. Eine märchenhafte Angelegenheit. Das trotzige Verhalten des jungen Lehrlings wird toleriert und so realisiert dieser Film eine Illusion der bekannt, brachialen Mode-Branche. Haute Couture möchte vom Überkommen einer sozial-gesellschaftlichen Kluft erzählen, zeigt aber keinen Lösungsweg, der nicht auf fantastischem Glück basiert.

Ein mildes, modernes Märchen

Die Schönheit der Geste könnte so viel Schönes versprechen. Ein Film, der sein Setting in der Pariser Haute Couture ansetzt und die Welt des Modeschaffens authentisch veranschaulichen versucht, wird mit großer Wahrscheinlichkeit nach Konvention Bilder einer klassischen Schönheit hervorbringen. Die Berührungen zarter Hände, die Stoffe umgarnen und über sie mit Ehrfurcht streichen. Diese Romantisierung von der Liebesbeziehung zur Arbeit, zum Handwerk fließt auch in Haute Couture ein. Doch es steht eine metaphorische Art von Geste im Mittelpunkt des neuen Films der Regisseurin Sylvie Ohayon. Es geht nicht um das Spiel mit den Händen, sondern um die Geste der Einladung, der Beachtung und Anerkennung.

Haute Couture Foto Roger DoMinh

Zum Ego einer Samariter-Figur

Bei genauer Betrachtung bleibt es fragwürdig, ob diese Geste der Einladung ein Zeichen für Engagement zur Chancengleichheit darstellt. Das Psychogramm der Figur Esthers weist auf andere, selbstbezogene Ambitionen hin. Die in Bälde Pensionierte blickt auf das stigmatisierte Leben eines Workaholics zurück und wird sich im Angesicht der jungen Jade der Leerstellen bewusst, die ihre Karriere mit sich gebracht hat. Die Barmherzigkeit, eine Unbekannte zu unterstützen, scheint geboren in der Sehnsucht, sich selbst zu verewigen. Der Wunsch, sich mittels einer Nachkommenschaft in den heiligen Hallen des Dior-Imperiums vor dem Vergessen-Werden zu schützen, darf als treibende Kraft dieser bekömmlichen Geschichte nicht übersehen werden. Letzten Endes sollte doch auch immer hinterfragt werden, was eine solche Erzählung uns mitgeben soll. Im Sinne des Character Development und einer heilsamen Lektion für alle, verschieben sich die Motivationen der Protagonistinnen natürlich im Laufe des Films. Doch bleibt trotz des nuancierten und durchaus bemerkenswerten Schauspiels von Nathalie Baye und Lyna Khoudri die spannende Komplexität aus, die ein wertvoller Beitrag zu einem Diskurs über Klassengesellschaften benötigen würde.

Haute Couture eingenäht im Mainstream

Mit französischem Stil folgt die Geschichte ganz dem Plötzlich-Prinzessin-Mythos: entgegen aller Widrigkeiten beweist sich die junge Heldin in der ihr fremden Welt. Dabei wird sie unterstützt von einer gutmütigen Helferin, herausgefordert durch eine Gegenspielerin und berauscht durch eine Liaison mit dem Beau der Werkstätte. Geschmückt wird die Geschichte durch eine Dior-gerechte, pompöse Szenerie, majestätische Kleider und als feine Dekoration ein paar freche Witze. Natürlich darf man die Bemühungen einer Adaption in die Gegenwart anerkennen, die sich in der Adressierung von Mental Health Issues, Alterseinsamkeit und der Prekarisierung von Alleinerzieherinnen festmachen lässt. Doch reicht es nicht Haute Couture, aus dem Mainstream herauszuheben. Was einem Film über Dior gut gestanden hätte. //

Text: Greta Kogler
Fotos: Roger DoMinh

Haute Couture Kinostart 20.05.2022
Verleih: Filmladen

Regie Sylvie Ohayon
Drehbuch Sylvie Ohayon, Sylvie Verheyde
Kamera Georges Lechaptois
Schnitt Mike Fromentin
Produzent Olivier Kahn
Mit Nathalie Baye, Lyna Khoudri, Pascale Arbillot, Claude Perron, Soumaye Bocoum, Adam Bessa, Alexandrina Turcan, Romain Brau, Claudine Vincent, Farida Ouchani

Haute Couture Gylaax