Die Diagonale 2018 brachte Ruth Kaaserers Dokumentation "Gwendolyn" nach Graz. Die mitreißende Darstellung einer 65-jährigen Gewichtheberin, die trotz ihrer Krebserkrankung hartnäckig ihre Ziele verfolgt.  

Wer auf der Suche nach einer klassischen Sportdokumentation ist, ist hier falsch. Wer hingegen gerne ins Leben einer inspirierenden Frau eintauchen möchte, ist genau richtig. Die Protagonistin Gwendolyn Leick ist gebürtige Österreicherin, die bereits in den 1970er Jahren nach England emigrierte. Mit 52 Jahren beschloss sie ihrem Leben eine neue Komponente hinzuzufügen: Das Gewichtheben. Seither hat sie mit Hilfe ihres Trainers Patrick Atteridge unzählige Siege bei nationalen und internationalen Bewerben verzeichnen können. Auch als Gwendolyn vor einigen Jahren Krebs diagnostiziert bekam, gab sie den Wettkampf nicht auf. Trotz zahlreicher Operationen und körperlicher Schwierigkeiten stemmt sie weiterhin Gewichte. "Gwendolyn" ist die Geschichte einer Frau, die die Möglichkeiten des Lebens voll auskostet und sich von nichts Kleinkriegen lässt.

Dem Leben folgen

Ruth Kaaserer schafft es mit ihrem Film nicht der Krankheit, sondern dem Leben zu folgen. Nicht Gwendolyns Leiden, sondern die Dinge, die ihr Leben bereichern, stehen im Mittelpunkt der Dokumentation. Auf Interviews wird dabei vollständig verzichtet. Der Zuseher kann stattdessen an verschiedenen Episoden aus Gwendolyns Leben teilhaben. Die Kamera folgt ihr ins Gym, zu Wettbewerben, aber auch zu Gesprächen mit dem Ehemann und dem Sohn. Dabei sorgt vor allem Gwendolyns trockener Humor immer wieder für unterhaltsame Momente. Aber auch die sanfte Seite ihrer Protagonistin fängt Kaaserer perfekt ein. So begleitet der Film der Protagonistin zu einem gemütlichen Abend mit ihrem Mann auf die Couch, oder zum Spaziergang über den Bauernhof mit ihrem Enkelsohn.

Eine Frau, viele Geschichten

Mit Gwendolyn Leick hat die Dokumentation eine starke Hauptfigur, die vor allem durch ihre vielen Gesichter überzeugt. Neben der Gewichtheberin, der Mutter und liebevollen Großmutter, gibt es da auch noch die wissbegierige Anthropologin, die mit 65 Jahren beschlossen hat, neben dem Wettkampftraining ein Buch zu verfassen. In ruhigen Bildern erzählt die Dokumentation die verschiedenen Geschichten aus Gwendolyns Leben. Dabei schafft der Film es gefühlvoll Erfolge und Rückschläge des Lebens darzustellen, ohne dabei überdramatisieren zu müssen. "Gwendolyn" ist das Portrait einer einzigartigen Frau, die nicht nur durch das Stemmen schwerer Gewichte beeindruckt. Ein ruhiger Film, der durch Emotion und Witz ins Herz geht. //

Text: Teresa Guggenberger
Fotos: Serafin Spitzer
Diese Filmkritik entstand beim Workshop "Filmkritiken schreiben" im Rahmen der Diagonale 2018 unter der Leitung von Manfred Horak (Kulturwoche.at) in Kooperation mit Diagonale - Festival des österreichischen Films, Kleine Zeitung und Radio Helsinki. Bei Radio Helsinki entstand mit der Moderatorin Irene Meinitzer auch nachfolgende 60-minütige Live-Sendung.


Film-Info:
Gwendolyn
Bewertung: @@@@@
Dokumentarfilm, AT 2017, 85 min, OmdU
Regie und Buch: Ruth Kaaserer
Darsteller/innen: Gwendolyn Leick, Charlemagne Kanon, Patrick Atteridge, Joseph Leick
Kamera: Serafin Spitzer
Schnitt: Joana Scrinzi
Originalton und Sounddesign: Tong Zhang