Das reale Leben hält sich an kein Drehbuch. Der Dokumentarfilm "Die bauliche Maßnahme" von Nikolaus Geyrhalter erzählt davon und vor der Furcht vor Veränderung. Kinostart: 4. 9. 2018.

"Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten." - Aber einen Zaun. Einen Maschendrahtzaun, um genau zu sein. Und da ist die Polizei des Grenzgebiets am Brenner ganz genau. In einer Pressekonferenz sprechen die Beamten von den geplanten "baulichen Maßnahmen", die eine tatsächliche Staatsgrenze zwischen Österreich und Italien markieren soll. "Zum Schutz des Landes", heißt es. Im Juni 1961 ließ Walter Ulbricht, die Lüge seiner Karriere vom Stapel, als der damalige DDR-Parteichef abstritt, dass die Grenzen zwischen Ost- und Westdeutschland dicht gemacht werden sollen. Was die Pläne der innereuropäischen Grenze angeht, sind die Politiker ehrlicher gewesen. Besser macht das die Idee der drahtigen Konfliktlösung trotzdem nicht.

Bester Dokumentarfilm der Diagonale 2018

"Manchmal meint es das filmische Material gut mit einem", sagt Regisseur Nikolaus Geyrhalter über die gelungenen Bilder seines neuen Films "Die bauliche Maßnahme". Im Rahmen der Diagonale 2018 in Graz feierte er am 14.März seine Uraufführung und gewann dort den Preis als bester Dokumentarfilm. Die Totalen Geyrhalters, der als Autodidakt auch Kameramann bei diesem Projekt war, zeigen Dorfidyllen, Kühe, die friedlich auf der Weide grasen und eine leergefegte Grenzstation. Die klassische Ruhe vor dem Sturm. Das Militär ist stationiert, die provisorischen Kontrollposten stehen. Man wartet nur noch auf die von Österreichs Politikern angekündigten Menschenströme. Im Sommer bleiben sie aus. Im Herbst ebenfalls. Bis das Jahr 2017 zu Ende geht und in Geyrhalters Dokumentation die ersten Schneeflocken fallen.

Das reale Leben hält sich an kein Drehbuch

Als die Dreharbeiten 2016 starteten, wollten Geyrhalter und sein Team den Bau eines Grenzzauns dokumentieren. Anders als die berechenbaren Handlungen eines Spielfilms, hält sich das reale Leben aber an kein Drehbuch. Die prognostizierten Flüchtlingsströme blieben aus und bis zum heutigen Tag gibt es keinen Maschendrahtzaun, der Südtirol (Italien) und Österreich trennt. Gespaltet ist die Region trotzdem. In Menschen, die sich für, und Personen, die sich gegen die bauliche Maßnahme aussprechen. Die Bewohner der grenznahen Ortschaften und Dörfer, die um die Zukunft ihrer geliebten Heimat besorgt sind. Gemeinsam haben der Biobauer und die Kassiererin an der Mautstation ihre Furcht vor Veränderung. Bloß, dass der eine sich vor einem gesplitteten Europa durch einen überflüssigen Zaun fürchtet und die andere Angst hat vor den "Gefahren der Zuwanderung" - die der Zaun ja anscheinend verhindern könnte.

Zwischen Tradition und Engstirnigkeit

Die Kamera hält sie fest, die Gedanken und Bedenken. Dabei beweisen die Interviewaufnahmen wieder einmal das Gespür des Wiener Produzenten für die richtigen Fragen zur richtigen Zeit. Er spricht mit Menschen, die sich von einer bewachten Grenze Sicherheit erhoffen und mit denen, die eine innereuropäische Trennung durch Draht verabscheuen. Frei von jeglicher Wertung, versucht "Die bauliche Maßnahme" die Stimmung einer Region einzufangen, die zwischen Tradition und Engstirnigkeit festzustecken scheint. Auch wenn Geyrhalter betont, dass er selbst eine klare Meinung vertritt, zeigt der Film keinen der Protagonisten in einem schlechteren Licht. Die Geschichten brauchen keine narrative Stimme aus dem Off, die das Thema künstlich inszenieren. Die Aussagen sprechen für sich.

Ein grenzenloses Europa

Drei Polizeibeamte in Dienstuniform öffnen die schweren Riegel des weißen Containers, der im Schnee der Tiroler Berglandschaft perfekt getarnt, fast verschwindet. Darin, mehrere hundert Meter aufgerollter Maschendrahtzaun. Bereit zum Einsatz. Abgewickelt wurde der Befehl zur Errichtung des Zauns bis heute nicht. Deshalb kontrollieren die Beamten regelmäßig, ob auch alles in Ordnung ist mit der Meterware, bevor sie die Riegel der schweren Eisentüren wieder vorschieben. Vorbereitet müsse man sein, nach den Schließungen der Balkanroute, hieß es in der österreichischen Regierung. Dass auch Politiker sich irren, zeigt die innereuropäische Maschendrahtzaun-Affäre nur zu gut. Bleibt zu hoffen, dass die Aussichten eines grenzenlosen Europas 2018 rosiger bleiben, als noch zu Walter Ulbrichts Zeiten. //

Text: Kim Höbel
Fotos: NGF Geyrhalterfilm

Film-Infos:
Die bauliche Maßnahme

Bewertung: @@@@@

Premiere: 14.3.2018 bei der Diagonale, Graz

Dokumentarfilm, 90min (Österreich April 2016 bis Ende 2017)


Verleih: Geyrhalter Film


Regie & Drehbuch: Nikolaus Geyrhalter

Kamera: Nikolaus Geyrhalter

Sound-Design: Peter Kutin

Ton: Marc Parisotto
Originalton, Recherche, Regieassistenz: Eva Hausberger