Die große Show theaterkritik aktionstheater ensemble Foto Gerhard Breitwieser

Die große Show von Martin Gruber und Aktionstheater Ensemble feierte Uraufführung im Werk-X in Wien.

Wer braucht schon Theaterkritiken? Es gibt eh Werbetexte. Der folgende Text zu Die große Show ist weder das eine noch das andere, obwohl es mehr das eine als das andere ist.

#Gedichte sind Balsam auf Unerfüllbares im Leben

Höre auf dein Herz
Höre auf deine Leber
Höre in die Stille
Und bring Licht ins Dunkel

Was sind historische Themen, die euch auf Zeitfäden interessieren würden?

Das wünsche ich mir auch einmal. Das möchte ich auch einmal haben. Einmal so ein bisschen im Mittelpunkt stehen. Susanne Brandt feiert einen runden Geburtstag und will die große Show. 60 Jahre, was es da alles zu erinnern gibt. Eigene Versäumnisse. Weltprobleme. Ihre geliebte Freundin ist die Laudatorin. Niemand könnte das besser als Michaela Bilgeri, und das nicht nur, weil, während sie spricht, sie ihre Brüste begreift. Sie begreift noch viel mehr und singt sogar mittelhochdeutsch das mehr als 2000 Strophen umfassende Nibelungenlied. Der erste Teil berichtet von Werbung, Vermählung und Ermordung, der zweite Teil von Rache und Untergang. Österreichische Themen. Durchaus.

die große show theaterkritik susanne brandt und michaela bilgeri

Wer zur Seite tritt, für den ist auch ein Comeback möglich

Meine Damen und Herren, treten Sie einen Schritt beiseite, in die Wagnis des Lichts im Dunkel. Ich habe keine Lust wieder von vorne anzufangen. Hatten wir diese Diskussion nicht schon mal? Fragt sich nur, ob du es auch weißt. Ich weiß es nicht. Und jetzt? Bitte einen Zaubertrick, Raphael Macho, mach uns die große Show, damit sich Michaela Bilgeri umziehen kann. Und, Susanne Brandt, erzähl mir von den guten Zeiten, oder, wie Onkel Lou [Reed; Anm.] mal sang: Gimme some good time.

Tell me a story about yourself the sounds like a lie but is absolutely true

Meine Damen und Herren, sehen Sie doch nur, wie sich Michaela Bilgeri das Kleid strafft. Das hat schon etwas Rotweiniges. Das hat schon etwas Sinnliches, wenn sie einen Schritt zur Seite geht, um dem Mann im Schatten Platz zu geben. Meine Damen und Herren, das Aktionstheater Ensemble bringt die besten Theaterstücke, die möglicherweise keine Theaterstücke sind, es gilt die Unschuldsvermutung, in Ö zum Vorschein, auf die große Show Bühne, auf die nackte. Meine Damen und Herren, nicht zu vergessen, 60 Jahre lang bereits hieven wir das Licht aus dem Dunkel, das muss gefeiert werden, und wenn es nur mit einem Gypsy-Tanz ist. Hört, hört, der Sektkorken will nicht knallen, aber die Geige schluchzt auch ohne zu knallen, und der Zauberkünstler Raphael ist die Freude pur. Lebendige Emotionen, vollkommen ausdruckslos.

die große show theaterkritik ensemble

A room without books is like a body without a soul

Liebe ist, wenn man einem Nazi Blut spendet, deklamiert Festredner Elias Hirschl. Liebe ist, meine Damen und Herren, wenn man dennoch lacht, obwohl, 60 Jahre ist schon hart. Michaela Bilgeri weiß das, während sie sich erneut umzieht. Das schönste Kleid! 60 Jahre, you know, it’s called bad luck. Das muss gefeiert werden. Die große Show, meine Damen und Herren: Humanismus! Erderwärmung! Korruption! Plastikmüll! Das Geschenkpapier kommt ins Altpapier, und das Mascherl, das kommt in den Restmüll. Hört doch mal gut zu. Hört doch einfach mal hin. Wenn es mir gut geht, geht’s uns allen gut. Und wir könnten ja auch was spenden. Ein Huhn. Besser noch eine Ziege. Am besten einen Esel. Das gibt Kraft für die ganze Familie. Viel Milch. Geht’s dem Theater gut, geht’s uns auch gut.

Be the first to not do what nobody has ever thought of not doing before

Meine Damen und Herren, 60 Jahre! Susanne Brandt will nach ihrer fulminanten Karriere es noch einmal so richtig krachen lassen. Sie blickt mutig in die neuen Zeiten. Geht’s ihr gut, geht’s anderen wahrscheinlich auch gut. Uns ist in alten maeren / wunders viel geseit. Fiktion als wahre Geschichte. Das Dunkel, das hier über der Geschichte liegt, will als Tatsache hingenommen sein. Und dennoch: Historisch fixierbar sind einige Ereignisse der Handlung in Die große Show. Bei näherer Betrachtung tauchen einerseits zahlreiche Widersprüche und Ungereimtheiten auf, andererseits fördert es ein bedrückend negatives Gesellschaftsbild zutage. Okay, so ähnlich schrieb auch das Kindler Lexikon über Das Nibelungenlied, aber, hey, was um 1200 gegolten hat, ist mitunter immer noch zeitgemäß.

Oblique Strategy of the Day: Use an old idea

Heiner Müller entlarvte in Germania Tod in Berlin die Nibelungentreue als gesamtdeutschen Verblendungsakt, das Aktionstheater Ensemble entlarvt in Die große Show den österreichischen Nationalcharakter und politische Erzählweisen als österreichische Realität. Chancen auf Änderung? Chancenlos. Deshalb singt Benjamin Vanyek am Schluss ein herzergreifendes Chanson von Jacques Brel. Ich hab' noch nie geseh'n, dass ihnen wer was gibt / Sie hassen uns bei Tag und werden nicht geliebt / Sie warten auf die Nacht, die immer neu beginnt / Und tauchen in den Rausch, die chancenlos sind. Wer Die große Show sieht, geht’s danach gut.//

Text: Manfred Horak
Zwischenüberschriften: Twitternachrichten aus der Timeline
Fotos: Gerhard Breitwieser

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die große show theaterkritik michaela bilgeri und susanne brandtKurz-Info:
Kritik zur Uraufführung am 11.1.2022 im Werk-X, Wien.
Die große Show
Von Martin Gruber und aktionstheater ensemble
Konzept, Inszenierung: Martin Gruber
Text: Martin Gruber und Ensemble
Dramaturgie: Martin Ojster
Musik: Kristian Musser
Video: Resa Lut, Maxans
Technik: Florentina Kubizek, Tom Bechter
Regieassistenz: Pia Nives Welser
Mit: Michaela Bilgeri, Susanne Brandt und Raphael Macho sowie Elias Hirschl, Benjamin Vanyek, Jean-Philip Viol, Martin Hemmer, Pete Simpson, Kristian Musser und Fridolin

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