Sabine Lorenz verkörpert in Homers Odyssee die gealterte Königin Penelope; Foto: Theater KOSMOS Bregenz

In einem reduzierten Bühnenbild zeigen zwei Schauspieler/innen und sechs Selbstdarsteller/innen eine Collage aus homerischer Odyssee und realem Leben.

Regisseur Philip Jenkins dampft in "Odyssee - ein Stück über Heimat" das griechische Epos auf wesentliche Motive ein und bricht die altgriechische Fiktion mit Erzählungen aus wirklichen Lebensreisen.

Odysseus

Hubert Dragaschnig zeigt gekonnt einen schnoddrig-coolen Odysseus, Erfinder des ersten Trojaners, Riesentäuscher, beinahe von Kirke bezirzt, sieben Jahre unfreiwillig Geliebter der Meernymphe Kalypso, irregeführter Irrfahrer. Er weiß, dass sein Überleben vom Erzählen abhängt. Denn wer auf das Erzählen verzichtet, verzichtet auf seine eigene Geschichte(n) und somit auf sich selbst. Als Kriegsheimkehrer muss er sich seinen Platz nach zwanzig Jahren wieder erobern. Nicht Heimat findet er, sondern Fremdheit, Distanz und Fragen.

Penelope

Sabine Lorenz verkörpert die gealterte Königin, gequält von Freiern erzählend, die nicht um sie sondern um Macht buhlen, zugleich den Heimkehrer zurückweisend, der es wagt, sie, die Königin, wie eine Frau anzusehen. Sie weiß wohl, dass ihr Mann all die Jahre nicht Treue hielt wie sie. Vom Patriarchat zurückgedrängt in den engen Raum des eigenen Zimmers, ist ihre große melodramatisch überhöhte Frage an Odysseus, warum er denn zurückgekehrt ist.

Realität

Zwei Migrant/innen und vier Autochthone erzählen Episoden aus ihren Lebensreisen. Sevgi Barlas, in der Türkei geborene mutige Retterin eines Betrunkenen; Annette Dangel, in Südafrika als Tochter europäischer Missionare die Sirenen der Apartheid kennend und die dort noch immer herrschende verlagerte Gewalt; Isabella Wild, Vorklostner Weltreisende, die durch ihre Offenheit schon in den Vatikan und nach New York eingeladen wurde; Nikolai Jochum, kleinster Gemüsebauer Österreichs mit starkem Statement über Gier; Elmar Marent, aus einer Polizistenfamilie stammend immer schon mit öffentlicher Sicherheit befasst; Hartmut Vogl, Altphilologe, fasziniert von den Wegen fremder Worte in die Gegenwartssprache.

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Weben und Trennen

Auch in dieser Bearbeitung des homerischen Stoffs webt Penelope tagtäglich neu am Leichentuch und trennt es nächtens wieder auf. Solcherart ist auch "Odyssee - ein Stück über Heimat" gestaltet. Durchgehender Faden ist das Thema Heimat. Die anlässlich der 100-Jahr-Feier des Bregenzer Stadtteils Vorkloster Eigenproduktion, fokusiert nicht auf den Ort Vorkloster, sondern gibt kurze Einblicke in von dort ausgehenden oder dorthin führenden Lebenswege. Anfänge von Zusammenhängen erweisen sich als Trugschluss, das Gedankengewebe löst sich immer wieder auf. Die strukturgebenden Kettfäden sind Lorenz und Dragaschnig. Sie halten das Publikum in Bann.

Homer im Experiment

Gelungen ist die Übertragung des Stoffs in eine Sprache der Gegenwart, verstärkt mit Zitaten von Marquard und Joyce. Protagonist Odysseus findet in Penelope eine ebenbürtige Antagonistin. Er erlebt eine Heldenreise, sie erkundet innere Welten, da ihr als Frau die äußere verwehrt bleibt. Die Selbstdarsteller/innen agieren kaum, sind mit wenigen Requisiten ausgestattete Sprecher/innen. Sie sind wie Schlaglichter, tauchen auf, verlöschen, sind unterschiedlich prägnant und deutlich. Der Balanceakt professionelles Schauspiel mit Laiendarstellung im Verhältnis 2:6 umzusetzen funktioniert. Es gibt eine von Ausgewogenheit und Zusammenspiel geprägte Ensembleleistung. Das Publikum ist durch die Einbindung der Selbst-Darsteller/innen ein anderes, jüngeres, bunteres. "Odyssee - ein Stück über Heimat" ist damit ein gelungenes Experiment einer Öffnung von Theater. Dazu gehört auch die besondere Vorstellung am 14. Mai 2019 mit freiem Eintritt und zehn Euro auf die Hand nach dem Theaterbesuch im Theater KOSMOS Bregenz. Eintritt kann allerdings nur mit gültiger Reservierung gewährt werden. //

Text: Ruth Kanamüller
Fotos: Theater KOSMOS Bregenz

Kurz-Infos:
Odyssee - ein Stück über Heimat
Nach Motiven von Homer
Premiere: 30. April 2019
weitere Vorstellungen: 3., 4., 12., 14., 17., 18., 19. Mai 2019
jeweils 20 Uhr

Autor und Regie: Philip Jenkins
Darsteller/innen: Annette Dangel, Elmar Marent, Hartmut Vogl, Hubert Dragaschnig, Isabella Wild, Nikolai Jochum, Sabine Lorenz, Sevgi Barlas
Licht: Matthias Zuggal
Ausstattung: Sabine Ebner