karl-kraus_die-schalekIn Wien sind Gerüchte verbreitet, das einem Marstheater zugedachte Drama von Karl Kraus feierte unter Georg Schmiedleitner (Regie) und Florian Hirsch (Dramaturgie) am 5.9.2014 eine 4-stündige Premiere im Burgtheater Wien. "Was sagen Sie zu den Gerüchten?" - "Ich bin besorgt."

Nach irdischem Zeitmaß etwa zehn Abende würde es umfassen, schrieb Karl Kraus im Vorwort von "Die letzten Tage der Menschheit", und "es mag zu befürchten sein, daß noch eine Zukunft, die den Lenden einer so wüsten Gegenwart entsprossen ist, trotz größerer Distanz der größeren Kraft des Begreifens entbehre." Immer, wenn eine Aufführung in einer neuen Inszenierung ansteht, stellt sich die Frage, was denn alles so ausgelassen wird, welche Szenen diesmal als weniger wichtig erachtet werden und ob es gelänge die Tragödie in eine - einem Erdetheater geeignete - Form zu bringen. Zur Erinnerung: Die ungekürzte Fassung beinhaltet 220 Szenen, in denen mehr als 500 Figuren auftreten. Fünf Akte lassen die Ereignisse je eines Kriegsjahres in bunter szenischer Folge Revue passieren.

Entfesselte Unvernunft

karl-kraus_der-noerglerKarl Kraus selbst beschäftigte sich ebenfalls mit einer gekürzten Bühnenfassung, zur Aufführung gelang jedoch lediglich der Epilog am 4.2.1923 an der Neuen Wiener Bühne. Die Uraufführung fand schließlich am 14.6.1964 am Wiener Burgtheater statt, und zwar in einer von H. Fischer und L. Lindtberg eingerichteten Kurzfassung, die aber im Gegensatz zur zweiten Inszenierung des Dramas, die H. Hollmann 1974 in Basel anlässlich des 100. Geburtstages von Kraus unternahm, bei der Kritik durchfiel. Seither gab es unzählige Versuche einer Annäherung - eine der bis dato interessantesten Kurzfassungen gelang Regisseur und Theaterleiter Gerhard Werdeker so um 1990 herum im Theater Spielraum (damals noch in 1030, Rechte Bahngasse 18), der die Sprachintensität der Tragödie gekonnt ins Zentrum zu stellen wusste. Zu sehen und zu hören bekommt man in "Die letzten Tage der Menschheit" ein Mosaik von Wirklichkeitsausschnitten rund um das Geschehen des Ersten Weltkriegs, deren verbindendes Element die entfesselte Unvernunft ist. Karl Kraus führt uns dabei (unter anderem) in die Straßen Wiens und Berlins, in Kanzleien und Kasernen, in Hinterhöfe und großbürgerliche Wohnungen, in Vergnügungslokale und Redaktionen, in Truppenunterkünfte, Lazarette, Wallfahrtskirchen und an die Front.

Graue Szenen im grellen Licht

karl-kraus_ensembleRegisseur Georg Schmiedleitner und Dramaturg Florian Hirsch setzen in der aktuellen Burg-Inszenierung der epochalen Tragödie auf Effekte. Graue Szenen in grelles Licht getaucht. Die Blasmusik-Kapelle der Post und Telekom Musik Wien mit dem Kapellmeister Christian Schranz, die durch die Zuschauerränge marschieren. Silhouetten-Wand und Drehbühne, die nur allzu häufig von den sprachlichen Feinheiten ablenkt, während in einer Szene der Optimist und der Nörgler (das Alter Ego von Karl Kraus) von Loge zu Loge quer durch den Raum reden. Apropos nörgeln: Gregor Bloéb als Optimist und Dietmar König als Nörgler blieben weit hinter den Erwartungen zurück und verwechselten offenbar in manchen Szenen die Gespräche mit einer Doppel-Conference im Stile Farkas-Waldbrunn. Dörte Lyssewski legte hingegen ihre Rolle als die österreichische Journalistin Alice Therese Emma Schalek (1874-1956; Karl Kraus nannte sie nur "Die Schalek") - sie war die einzige Kriegsberichterstatterin des k.u.k. Kriegspressequartiers während des Ersten Weltkriegs - sehr gelungen an und konnte wichtige Akzente für die Inszenierung setzen.

Mir bleibt doch nichts erspart

karl-kraus_orthDie Höhepunkte in diesen vier Stunden waren jedoch stets die Auftritte von Elisabeth Orth (sieben Rollen; u.a. als Lehrer Zehetbauer) und Peter Matić (9 Rollen; u.a. als Richter Zagorski). Grandios z.B. die 31. Szene (IV. Akt), in der Matić als schlafender (und zwischendrin erwachender und erneut einschlafender) Kaiser Franz Joseph das Lied "Mir bleibt doch nichts erspart" singt. Eine derartige Fulminanz - auch was die szenische Umsetzung betrifft - wünschte man sich öfter, nur bekam man solcher Art leider viel zu selten. Fehl am Platz (wenn auch nicht inhaltlich) war zudem die Performance von Bob Dylans wütendem Protestsong "Masters of War", als ob es notwendig ist, jemanden beweisen zu müssen, dass "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus an Aktualität nichts eingebüßt hat. Im Burgtheater gab es nach vier Stunden Spielzeit dennoch einen dankbaren Applaus. Einen Applaus, der vermuten lässt, dass sich die Dankbarkeit des Publikums nicht auf das erreichte Ende des Stücks bezog. Die ungleich rasantere und gelungenere Umsetzung dieser apokalyptischen Total-Satire ist übrigens im Wiener Volkstheater (hier die Kritik) unter der Regie von Thomas Schulte-Michels zu sehen. (Text: Manfred Horak; Fotos: Georg Soulek)

karl-kraus_franz-josephKurz-Infos:
Die letzten Tage der Menschheit
von Karl Kraus
Bewertung: @@@
Kritik zur Premiere am 5.9.2014
Burgtheater Wien
Koproduktion mit den Salzburger Festspielen

Regie: Georg Schmiedleitner
Bühne: Volker Hintermeier
Kostüme: Tina Kloempken
Licht: Peter Bandl, Volker Hintermeier
Komposition: Tommy Hojsa, Matthias Jakisic
Dramaturgie: Florian Hirsch
Mit Bernd Birkhahn, Gregor Bloéb, Sven Dolinski, Stefanie Dvorak, Alexandra Henkel, Dietmar König, Christoph Krutzler, Dörte Lyssewski, Peter Matić, Petra Morzé, Elisabeth Orth, Thomas Reisinger, Laurence Rupp

Musiker Lenny Dickson, Tommy Hojsa, Matthias Jakisic