kommune-festwochenIn der Kommune herrscht Konsens. Nachrichtenrezitationen als Kontrast zu vorgetragenen Nachrichten-Automatismen. Ein Stück Medientheorie, opulent aufbereitet bei den Wiener Festwochen 2013.

Nachrichten haben ein bekanntlich kurzes Leben, denn die Informationsflut verlangt nach der ewigen Wiederkehr des Neuen. Wie der Name sagt, ist die Nachricht etwas, "wonach man sich zu richten hat" und, wie es im Leitfaden zur Nachrichtengestaltung des NDR heißt: "Von keiner Nachricht lässt sich sagen, dass sie ganz oder annähernd richtig ist". Der prominente Themenkomplex rund um den alten Trugschluss, dass "die Medien (als) eine vielfältige Illusion" (Boris Groys) auf etwas hinter dem Medialen wie etwa Realität, Wirklichkeit und Wahrheit verweisen, wozu auch der passive Zuseher gehört, für den das allabendliche Nachrichtenritual zum Nervenkitzel und Sedativum wird, ist in der Medientheorie und auch im Theater schon lange kein Novum mehr. In der gut besuchten Halle E des MQ geht der Theaterregisseur Nikolas Stemann - hierzulande hauptsächlich für seine Jelinek-Inszenierungen (wie etwa "Ulrike Maria Stuart", "Die Kontrakte des Kaufmanns") und "Faust I" und "Faust II" Regiearbeiten bei den Salzburger Festspielen 2011 bekannt - in seinem Nachrichtentheater "Kommune der Wahrheit. Wirklichkeitsmaschine" der Frage nach, ob durch die Möglichkeiten der Kunst unser medial vermitteltes Verhältnis zur sozialen und politischen Wirklichkeit (falls es diese überhaupt gibt) auf eine mehr selbstbestimmte und verantwortungsvolle Basis gestellt werden kann. Theater als Wirklichkeitsmaschine, das die Realität in Echtzeit abzubilden versucht oder noch besser, sie sogleich aufschlüsseln will; So lautet der Anspruch dieses "sozialen Experiments", dessen Ergebnisse teils live, teils mit Live-Musik (Thomas Kürstner, Burkhard Niggemeier, Sebastian Vogel), teils per Live-Videoübertragung auf die jeweils andere der beiden gegenüberliegenden Bühnentribünen (Claudia Lehmann, Martin Prinoth, Hanna-Linn Wiegel) oder Einspielung (Claudia Lehmann) präsentiert wurden. Zusätzlich zum Namen Stemann sorgt auch die prominente Unterstützung der Mitwirkenden, wie etwa Carl Hegemann (Dramaturgie), Peter Weibel (Künstler und Medientheoretiker, u.a. derzeit Vorstandsmitglied des Zentrums für Kunst- und Medienkunst Karlsruhe), sowie ORF-Moderator Eugen Freund dafür, dass das Ganze nicht auf niedere Erwartungen trifft.

Der Scheinrealität der Nachrichten ein Gesicht verleihen

Die üppig wuchernde Bühnenfläche (Bühne: Anika Marquardt, Lani Tran-Duc, Nikolas Stemann) gleicht einer Sci-Fi Kommandozentrale für die flimmernde Wirklichkeitsmaschine, wo stumm agierende Agenten wie im Labor in Ganzkörperanzügen (Kostüme: Marysol del Castillo) operieren und die Experimentteilnehmer den Nachrichten-Input per Direktzufuhr ins Bewusstsein erhalten - für die Erfahrung der "Matrix", versteht sich. Den größten Teil des Abends verbringen die experimentierfreudigen Darstellerinnen dann damit, dieser immer echter und dramatischer werdenden Scheinrealität der Nachrichten ein Gesicht zu verleihen. Angesichts des chorisch gesprochenen trockenen und monotonen Nachrichtenschwalls, der aus ihren Robotermündern quillt, ist es nicht verwunderlich und zudem eine schöne Erkenntnis, dass man diesen überfordernden Inhalt ungleich besser erträgt, wenn etwa Darstellerin Franziska Hartmann (man merkt, dass sie gut und gerne singt) sich von der Sprechgruppe absondert und die Meldungen gesanglich virtuos zum Besten gibt. Weitere starke, lebendige Momente hat das Stück als Kontrast zur vorgetragenen Nachrichten-Automatik ebenso, wenn Jörg Pohl (Daniel Lommatzsch, Barbara Nüsse, Sebastian Rudolph und Birte Schnöink sind auch alle feste Ensemblemitglieder am Thalia Theater Hamburg) Nachrichten mit affektiertem statt gewohnt trockenem und ernsten Register überspitzt rezitiert oder wenn die Darsteller die Nachricht der 100.000 Toten in Syrien szenisch durch das Sterben jedes Einzelnen auf der Bühne nachvollziehen wollen. Trotz einiger poetischer wie auch aufschlussreicher und stark vorgetragener Momente geht der Abend allerdings über den Lecture-Charakter nicht wirklich hinaus.

Kommune am Lagerfeuer

Den Videoeinspielungen mit den Erfahrungsberichten der Darstellerinnen zum Experiment ist bis auf einigen grotesk und komisch wirkenden Aspekten wenig abzugewinnen und auch die Schlussdiskussion der Kommune am Lagerfeuer samt illustrer Expertenrunde bleibt trotz der vorgelesenen größtenteils entweder trivialen oder negativ ausgefallenen Urteile des Publikums, bis auf mehrere Seitenhiebe auf den ORF, an der Oberfläche zu glatt und selbstgefällig, wenn es sich selbst ein bisschen zu gern beim Erklären und Aufklären zuhört. (Text: Kathrin Blasbichler; Fotos: Armin Bardel)

kommune-festwochen1Kurz-Infos:
Kommune der Wahrheit. Wirklichkeitsmaschine
Bewertung: @@
Kooperation der Wiener Festwochen mit dem Thalia Theater Hamburg
Kritik zur Aufführung am 4.6.2013 im Museumsquartier Halle E

Mit: Franziska Hartmann, Daniel Lommatzsch, Barbara Nüsse, Jörg Pohl, Sebastian Rudolph, Birte Schnöink
Inszenierung: Nicolas Stemann
Bühne: Anika Marquardt, Lani Tran-Duc, Nicolas Stemann
Kostüme: Marysol del Castillo
Video: Claudia Lehmann
Musiker: Thomas Kürstner, Burkhard Niggemeier, Sebastian Vogel
Sounddesign: Nourdin Ghanem
Dramaturgie: Carl Hegemann
Live-Video-Performance: Claudia Lehmann, Martin Prinoth, Hanna-Linn Wiegel
Licht: Christiane Petschat, Paulus Vogt
Außenkorrespondenten: Eugen Freund (Fakten), Peter Weibel (Ästhetik), Matthias Bröckers (Verschwörung), Gerhard Mack (Physik), Elfriede Jelinek (Poesie) u.a.
Nachrichtenstrom: Karoline Behrens