ganesh1So etwas wie Authentizität gibt es im Theater nicht (mehr). Auch nicht im Back to Back Theatre von Bruce Gladwin, das bei den Wiener Festwochen 2012 am Spielplan steht.

Die Idee und Methode, soziale Randgruppen als DarstellerInnen, wie es im Theater der Erfahrung in den 1980er Jahren zur Mode wurde, auf der Bühne als personifizierter V-Effekt agieren zu lassen, ist ebenso wenig neu wie der Kniff der Theater-im-Theater-Situation oder das Verwechslungsspiel von Rolle und Selbst. Nichts desto trotz beweist das australische Back to Back Theatre von Bruce Gladwin, dass es manchmal auch Kleinigkeiten und Feinheiten sind, die in den bekannten Formeln neue Wege aufmachen. In seinem Stück Ganesh Versus the Third Reich geht er mit einem vielschichtigen und seiner selbst weitaus bewussteren, wie auch behutsameren Ansatz an das Thema Repräsentation, Authentizität und Befangenheit der Körperlichkeit mit seinem Ensemble heran, von dem die meisten Mitglieder Beeinträchtigungen haben, als man es beispielsweise noch von Schlingensiefs Reality-TV-Performance-Show "Freakshow 3000" in Erinnerung hat.

Göttliches Wesen mit Elefantenkopf trifft auf Nazi-Arzt Mengele

In lakonischer, wie ironischer und nicht allzu ernster Manier probt das Ensemble darin für ein Stück, in dem es um den "Raub" der hinduistischen Swastika, heiliges Sonnensymbol, seitens der Nazis geht, die daraus das Symbol für das Deutsche Reich mit etwas anderem Winkel machen. Der Hindu-Gott Ganesh, göttliches Wesen mit Elefantenkopf trifft im Zuge seiner Suche in Nazi-Deutschland auf den "Normalo" Dr. Mengele, der große medizinische Neugier an dessen abnormalem körperlichem Wesen zeigt. Der äußerst zierliche Darsteller Simon Laherty spielt sowohl den Juden als auch den Führer mit aufgeklebten Zweifingerbart und selbstgenähter SS-Uniform und spricht dabei auf Deutsch. Während diese Szenen, weich eingebettet in ein fantasievoll wie märchenhaft gestaltetes Bühnenbild mit beleuchteten Folienvorhängen, mit der Kombination solch schwergewichtiger Zeichen operieren, geht es auf einer zweiten narrativen Ebene, die den Probenprozess und die Arbeit mit der Beeinträchtigung der Darsteller thematisiert, umso nüchterner, ja sogar ziemlich schroff zu.

Nicht vereinbare, wuchtige Bilder kolladieren

Geht es im Teil rund um Ganesh und die Nazis vielleicht wider Erwarten so manch einer/eines weniger darum diesen Mythos der Swastika-Aneignung der Nazis oder historisches Faktenwissen und den Diskurs um kulturelle Bedeutungen der Symbole aufzugreifen, wird augenscheinlich, dass Gladwin in dieser reduzierten wie andächtigen szenischen Anordnung viel eher im Sinn hat, nicht vereinbare, wuchtige Bilder kolladieren zu lassen, die als unverrückbare Schlagworte und Bilder vom Holocaust, Mengele und Hitler ins kollektive Bewusstsein gesickert sind.

Direkt-Kritik am Publikum

Die andere, abwechselnd gezeigte Ebene der Darstellung hingegen fordert die Anwesenden durch das inszenierte Streitgespräch im Ensemble hinsichtlich des Spiels mit der Überlappung von Inszeniertem und Spontanem, Realität und Konstruktion. Sowohl die Kompetenz der beeinträchtigten Darsteller, als auch das damit potenziell verbundene voyeuristische Interesse seitens des Publikums, diese Exoten oder "Freaks", wie es im Stück heißt, zu sehen, werden hier thematisch vorgebracht; mal brachial offensiv als Konflikt innerhalb des Ensembles oder als Direkt-Kritik am Publikum, dann wieder mal parodistisch oder ironisch. Im Switchen der Ebenen und Verursachen von unterschiedlichen Stimmungen von witzig bis irritierend liegt eine Offenheit, Fragen und auch vorhandenen vorgebenen Mustern einen Raum zu geben, aber meist, wenn auch nicht immer mit einem guten Sinn für Maß, vor allem von Distanz der Darsteller zur eigenen Identität und dem Verhältnis von Inszeniertem und Natürlichem. Etwas unschlüssig dagegen wirkt die Figur des Ganesh und dessen Bedeutung für das Stück, dem aber dennoch relativ viel Raum in der Inszenierung gewährt wird.

Unkonventionelle Darstellung

In der heurigen Festwochen-Vorliebe für Theater, das die Wirklichkeit scharf im Visier hat, ist Gladwin von den Methoden her sicher nicht Pionier und der innovativste; dennoch gelingt ihm eine unkonventionelle Darstellung, die sich minimaler Mittel geschickt bedient und dabei akribisch darauf bedacht ist, Unsicherheiten und Beschränkungen gleichsam bedacht wie mit einer guten Portion Chuzpe aus dem soziokulturellen Fundus herauszuschälen, ohne sich mit seiner "Exotik" innerhalb des Theaters beim Publikum anbiedern zu wollen. (Text: Kathrin Blasbichler; Fotos: Jeff Busby, Nurith Wagner-Strauss)

ganesh2Kurz-Infos:
Ganesh Versus the Third Reich
Bewertung: @@@
INSZENIERUNG:
Bruce Gladwin
MIT:
Mark Deans, Simon Laherty, Scott Price, Brian Tilley, David Woods, Georgina Naidu

Weiterer Termin:
27.5.2012, Wiener Festwochen
in der Halle G im MQ