kleine-zimmer-001Freud und Foucault lassen grüßen: Blaubart ist auch im 21. Jahrhundert noch gefürchtet, auch wenn sein blutiges Geheimnis nur als kulturell bedingtes Phantom in der Psyche existiert. Das postmoderne Subjekt bleibt sich selbst auch in der emanzipierten Gesellschaft trotz pluraler Lebensentwürfe fremd. Zu sehen in Carole Fréchette's Stück "Das kleine Zimmer am Ende der Treppe" im KosmosTheater.

"Breite deine Flügel aus, Liebste. Nimm dir so viel Raum wie du willst", verkündet der verliebte Henri im Pathos seiner Ehefrau Grace, die jedes bis auf eines der 28 Zimmer in seinem luxuriösen Schloss betreten darf. Wie auch im Gruselmärchen "La barte bleue" von Charles Perrault 1697 wird das verbotene Zimmer zur Bewährungsprobe für Grace und die Neugier es aufzusuchen ist zu reizvoll. In Carole Fréchette's Theaterstück sind es vor allem die familiären und sexuellen Rollen, die auf den Verdacht verdrängter Identitäten und die Ausübung von Macht hin genauer inspiziert werden. Das Vertraute gerät beim näheren Prüfen ins Schwanken und die beteiligten Akteure in Grace's Umfeld entpuppen sich als multiple und scheinheilige Persönlichkeiten, die selbst Nahestehenden ihr wahres Ich nicht offenbaren.

Familie und Sexualität als Orte der Macht

kleine-zimmer-003Die scheinheilig altruistische Mutter sieht in Grace's Heiratsglück ihren eigenen insgeheimen Traum vom sozialen Aufstieg realisiert. Aus der ungleichen Liebe zu ihren Töchtern Grace und Anne entwickelt sich eine Hass-Liebe-Beziehung. Familie als Mini-Gesellschaft, in der sich Machtverhältnisse und klare Rollenzuschreibungen manifestieren, die ein Leben lang prägen. Ausdrucksstark ist das Bild und Spiel des 'Blaubarts' Henri in der Inszenierung, dessen zwitterhafte Maskerade auf ein schizophrenes Gender-Wesen anspielt. Stereotype Bilder heterosexuellen Paarverhaltens werden vor allem auf der Ebene der expliziten Sado-Maso-Verweise verhandelt.

Abenteuerfahrt mit emanzipatorischem Potenzial

Das freudsche Unheimliche lauert hinter der rosa Idylle, wie das schleichend sich wandelnde Bühnenbild und das pointiert eingesetzte Spiel mit Licht und Schatten co-erzählen. Es sticht vor allem der Tanz als dramaturgisches Mittel hervor, da er eine starke (Gegen)-Position zum Gesprochenen einnimmt und die Worte der Akteure mal untermalt, mal konterkariert und deren inneren Zerrissenheit Ausdruck verleiht. Die elektronische Musik, eigens für dieses Stück von Electric Indigo und Pia Palme produziert, verstärkt den Spannungsbogen, der bis zur Entdeckung des Zimmers immer intensiver wird. Grace trifft schließlich auf das furchteinflößende Unbekannte, das für sie überraschenderweise zur Abenteuerfahrt mit emanzipatorischem Potenzial wird. Da die Behandlung des Blaubartstoffs hier keine besonders innovative ist, tut sich die Inszenierung schwer. Trotz eifriger Versuche mit der Bandbreite an ästhetischen Mitteln in der Inszenierung für Abwechslung zu sorgen, operieren diese nur als Handlanger der zu eindeutig geratenen Bedeutungsgenerierung. (Text: Kathrin Blasbichler; Fotos: Bettina Frenzel)

kleine-zimmer-002Kurz-Infos:
Das kleine Zimmer am Ende der Treppe von Carole Fréchette
Deutsch von Heinz Schwarzinger
Bewertung: @@@1/2
 Kritik zur Aufführung am 19.10.2011 im Kosmos Theater

Regie: Barbara Klein
Choreografie: Paola Bianchi
Komposition/Musik: Electric Indigo & Pia Palme
Ausstattung: Gudrun Lenk-Wane

 Dramaturgie: Silke Felber
Lichtdesign: Helen Farnik
Es spielen: Peter Bocek, Melanie Gemeiner, Julia Kneussel, Anna Morawetz, Susanne Rader

Deutschsprachige Erstaufführung
Eigenproduktion KosmosTheater/Wien