doeblin-spielraumDer Roman "Berlin Alexanderplatz" von Alfred Döblin, erschienen 1929, erzählt die Geschichte vom Franz Biberkopf und gilt als einer der bedeutendsten deutschen Großstadtromane. 

Häusergewirr und Menschentrubel, Zeitungs- und Reklamegeschrei, Hurenwinkel und Kaschemmenphilosophie, Zuhälter mit eigenen Moralvorstellungen: Alfred Döblin entwarf mit "Berlin Alexanderplatz" einen Großstadtroman, der das Milieu und die Sprache sehr genau wiedergab und so für einen (im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts) neuen Naturalismus, was expressive Sprachgestaltung anbelangt, sorgte. Assoziative Bilder sind dabei die große Stärke des umfangreichen Romans und mit assoziativen Bildern wartet auch die Inszenierung von Gerhard Werdeker im Theater Spielraum auf, und zwar mit Sequenzen aus dem Film "Berlin, Sinfonie der Großstadt" von Walther Ruttmann (1927). Das Schauspielensemble hat harte Arbeit in diesen 155 Minuten, denn, von den wenigen Filmausschnitten und einer flexibel verwendbaren länglichen roten Bank abgesehen, bleibt der Bretterboden den sechs Schauspielern vorbehalten. Volle Konzentration also auf die wunderbar agierenden Darsteller Tristan Jorde (als Franz Biberkopf), Claudia Marold (als Minna, Lina, Witwe, Cilly, Eva), Sibylle Gogg (als Mieze, Tod), Matthias Messner (als Einer, Gottlieb Meck, Herbert, Engel 1, Polizist 1), Robert Stuc (als Zweier, Lüders, Karl, Pums, Arzt, Matter, Engel 2, Polizist 2) und Peter Pausz (als Dreier, Reinhold)

Der kleine Mann ist gutwillig, aber schwach

Franz Biberkopf, ehemaliger Transportarbeiter und soeben aus dem Zuchthaus entlassen, beschließt anständig zu sein. Ein ehrliches Leben will er führen, also nimmt er auch ehrliche Gelegenheitsarbeiten an, steht am Berliner Alexanderplatz als Straßenhändler und Zeitungsverkäufer und verbringt seine Abende in Lokalen, in denen auch Zuhälter ihre Abende verbringen. Biberkopf flüchtet vor seiner eigenen Vergangenheit und scheitert dabei, als er Freundschaft mit dem skrupellosen Verbrecher Reinhold schließt. Er lässt sich von seinem neuen Freund im Tauschhandel mit Frauen versorgen, wird in Verbrechen hineingezogen und verliert einen Arm, weil Reinhold ihn unter ein Auto stößt. "Verflucht ist der Mensch, der sich auf Menschen verlässt", ist gewisser Weise das Leitmotiv von "Berlin Alexanderplatz". Biberkopf gelangt schließlich zu der Überzeugung, dass das Anständigbleiben in dieser Welt nicht lohne, sucht und findet in Folge eine Braut und wird ihr Zuhälter. Reinhold raubt jedoch Biberkopfs Mieze, vergewaltigt und erwürgt sie. Nächster Aufenthalt von Biberkopf: Irrenanstalt. Matthias Messner, Robert Stuc und Peter Pausz als Einer, Zweier, Dreier kommentieren homophon das Geschehen, belehren, warnen, erklären, zitieren Werbesprüche und Statisitiken und überhöhen so die ganze expressionistisch-naturalistisch-mystische Vielstimmigkeit. Die Drei leisteten dabei ganze Arbeit, immer präzise, quasi in time. Ein enorm wichtiges und klug gewähltes Stilmittel, um die Geschichte voranzutreiben. Überhaupt: Das Ensemble ist bestens aufeinander abgestimmt und brilliert als Kollektiv. Darüber hinaus sind auch die Einzelleistungen in ihrer Vielseitigkeit bemerkenswert, allen voran Tristan Jorde, der im Berliner Jargon daherschnäuzelt und mit seinen vielen Gesichtsausdrücken auch dann Bände spricht wenn er nicht spricht. So funktioniert auch diese Bühnenfassung bestens [übrigens von Stephan Döblin, dem jüngsten Sohn des Autors, genehmigt, was nicht selbstverständlich ist; Anm.], indem die verschiedenen Handlungsstränge mit dauerndem Wechsel der sprachlichen Mittel und den Filmausschnitten Hand in Hand gehen. Dieses Stilprinzip der Montage bzw. Collage übernahm Werdeker direkt von Döblin und funktioniert heute vermutlich besser denn je, denn Döblin war mit "Berlin Alexanderplatz" seiner Zeit weit voraus - und gleichzeitig vorausblickend, die Apokalypse war ja bereits im Anrollen, wenn auch die Folgen bei Erstveröffentlichung noch nicht absehbar waren. Döblin schilderte nicht nur die Großstadt als Pandämonium, sondern auch bereits 1929 das Schreckensszenario der Nazis, die später sein Buch verbrannten, und vor allem den Menschentypus Mitläufer. Die Hektik vor dem Untergang, in denen die schrecklichen Engel unsichtbar durch die Straßen schreiten, auf denen sich Menschenmassen im Totentanz wiegen. "Wach sein. Dem Menschen ist gegeben die Vernunft, die Ochsen bilden stattdessen eine Zunft." Sollte man gesehen haben. (Text: Manfred Horak; Fotos: Barbara Pálffy)

Kurz-Infos:
Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf von Alfred Döblin
Kritik zur Aufführung am 6. Mai 2010 im Theater Spielraum
Bewertung: @@@@@
Mit
Sibylle Gogg, Tristan Jorde, Claudia Marold, Matthias Messner, Peter Pausz, Robert Stuc
Romandramatisierung und Inszenierung:
Gerhard Werdeker
Raum: Harald Ruppert/Gerhard Werdeker
Kostüm: superated costume design

  • berlin-alexanderplatz01
  • berlin-alexanderplatz02
  • berlin-alexanderplatz03
  • berlin-alexanderplatz04
  • berlin-alexanderplatz05
  • berlin-alexanderplatz06