othello_festwochen"Gehen wir Oscar-Preisträger schauen" wäre der richtige Titel für die letzte große Festwochenproduktion. Zugegeben, das war auch meine Motivation. Der Oscar-Preisträger Philip Seymour Hoffmann dominiert als erklärter Schurke Jago fast das ganze Stück. Er tut es mehr mit stimmlicher Kraft, denn mit subtiler Stärke, körperlich reduziert auf das Allernotwendigste. Für Begeisterung reicht es nicht, Enttäuschung ist es aber auch keine. Die zentrale Frage dieser lähmenden Aufführung, warum Othello auf Jagos Täuschung aus reiner Rhetorik hereinfällt, bleibt ungelöst.

Überhaupt wird über weite Strecken Text aufgesagt, 4 ½ Stunden Shakespeare ohne Striche. Die erste halbe Stunde überwiegend mit dem Mobiltelefon am Ohr. Achtung! Wir sind im Kommunikationszeitalter angelangt. Danke, das hätten wir auch am schrägen Doppelbett aus 45 Bildschirmen (Bühne: Gregor Holzinger) erkannt. Eine übersichtlichere Darstellung über das who-is-who wäre hilfreich gewesen. Othello (John Ortiz) ist der, der mit Desdemona im Bett liegt. Ein bisschen schwarz ist er auch, aber damit ist er nicht allein in dieser Besetzung. Womit der Außenseiter-Aspekt seiner Rolle dahin ist. Warum er aber trotzdem werktreu als "Mohr" bezeichnet wird und sich Gedanken über seine "mindere" Herkunft macht? Wie so oft lautet die Antwort: Weil es so im Textbuch steht.

Das grüne Monster Eifersucht

othello_20351bDothello_20564er erfolgreiche Feldherr Othello hat nicht nur was mit der schönen, von allen verehrten, Desdemona, sondern auch - in dieser Fassung ganz eindeutig - mit Jagos Frau Emilia. Letzteres weiß Jago nicht so genau, aber in ihm nagt das grüne Monster Eifersucht und er brennt darauf, es Othello heim zu zahlen. Auf einen realen Betrug kommt es nicht an, kennt Jago doch die Schwächen seiner Mitmenschen. Er manipuliert ohne große Anstrengung durch gezielte Andeutungen, durch weglassen von Information und durch offene Verschwörung. Erstaunlich wie bereitwillig ihm alle auf den Leim gehen. In den Doppelszenen dürfen sich Jago und Othello auf das Stück konzentrieren und prompt wird sichtbar, welche Möglichkeiten und welche Qualität in diesen Schauspielern stecken. Desdemona (Jessica Chastain) sieht nicht nur gut aus, sie spielt überzeugend die einzig Unschuldige und fügt sich voll böser Vorahnungen in ihr Schicksal. Hervorgehoben wird hier die Bedeutung von Emilia (Liza Colón-Zayas), Jagos Ehefrau, die zwar über weite Strecken als thumbe Gehilfin zum Einsatz kommt, aber gegen Ende kurz in einer Rede für die Gleichberechtigung aufblühen darf.

Shakespeares Wortwitze verpuffen ohne Lacher

Bianca Montana: Peter Sellars zieht die Figur von Cassios Ehefrau mit dem Statthalter zusammen und bringt damit die Rolle der Frauen im Militär ins Spiel. Keine schlechte Idee, macht aber Cassios (LeRoy McClain) Vergewaltigungsversuch nicht verständlich. Das ist alles kein Spaß und so spielt Saidah Arrika Ekulona mit großem Ernst. Dabei fällt ihr auch der Text des Narren zu. Shakespeares Wortwitze von "liegen und lügen" verpuffen ohne Lacher.

"Was ihr wisst, das wisst ihr"

othello_20200othello_21128Peter Sellars, weit gereister Theatermacher und Vermittler zwischen den Kulturen, verfolgt wieder einmal ehrenwerte politische Absichten und scheitert an der handwerklichen Umsetzung. Die Nervosität ist ihm im anschließenden Publikumsgespräch deutlich anzumerken. Er bedankt sich bei allen, die bis zum Schluss geblieben sind und bei den Festwochen für die guten Arbeitsbedingungen. Seine Gedanken zu "Othello" gehen von unserer Notwendigkeit, auf einen Bösewicht zeigen zu können, bis zur Frage, warum wir Scheininformationen gegen echtes Wissen eintauschen. Hier kommt die Sprache auf die nicht existenten Massenvernichtungswaffen als Auslöser für den Irakkrieg. Warum Peter Sellars das Stück überhaupt inszeniert hat, wo es ihn doch anfänglich nicht interessiert hat? Weil Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison an einem Stück über Desdemona arbeitet. Aha. Im Programmheft kann man lesen, dass zur Rollenerarbeitung auch bei Stanislawski nachgeschlagen wurde. Das zeigt wie ratlos man trotz all dieser Ansätze eigentlich gewesen ist. Zu sehen war es deutlich. (Text: Christine Koblitz; Fotos: Armin Bardel)

Kurz-Infos:
 Othello
 Bewertung: @@
Spielort: Theater Akzent im Rahmen der Wiener Festwochen

INSZENIERUNG / Peter Sellars
BÜHNE / Gregor Holzinger

 Regie Mitarbeit / Robert J. Castro
Dramaturgie / Avery T. Willis
Roderigo / Julian Acosta
Der Doge von Venedig / Lodovico / Gratiano / Gaius Charles
Desdemona / Jessica Chastain
Emilia / Liza Colón-Zayas
Montano / Bianca / Saidah Arrika Ekulona
Jago / Philip Seymour Hoffman
Cassio / LeRoy McClain
Othello / John Ortiz

Produktion:
Wiener Festwochen
KOPRODUKTION Schauspielhaus Bochum
In Zusammenarbeit mit The Public Theater (New York) and LAByrinth Theater Company (New York)