Am 13. September jeden Jahres erstrahlt Lucca im Schein von tausenden Kerzen.
Eine der ältesten und zugleich eine der liebeswertesten Städte der Toskana ist Lucca. Die Stadt hat eine mehr als wechselhafte Geschichte, gegründet wurde Lucca wahrscheinlich von den Etruskern oder von ligurischen Kelten und ihr Name führt sich auf das Wort Luk zurück, was soviel wie Sumpf heißt.
Lucca war einst auch in seiner glorreichen Vergangenheit sowohl für die Goten als auch für die Langobarden die Hauptstadt der Toscana, war einige Zeit der wichtigste Handelsknoten und die mächtigste Stadt ehe das naheliegende Florenz Lucca den Rang ablief.
Heute präsentiert sich Lucca, von wenigen Bausünden der jüngeren Vergangenheit abgesehen, als imposantes, beeindruckendes Ensemble. Die Altstadt, das Herzen Luccas, ist umgeben von einem Wahrzeichen der Stadt, "La Mura", der Mauer. Über mehr als 4 Kilometer bildet die gewaltige Mauer, an manchen Stellen ist sie mehr als 15 Meter breit, den Ring, der die Stadt einfasst.Gestrahlt hat diese Stadt immer - und sie tut es heute noch. Vor allem am 13. September jeden Jahres, da erstrahlt Lucca im Schein von tausenden Kerzen. Wie ein magischer Schleier legt sich das sanfte Licht der Kerzen, die jede Kirche, den Dom, jedes Fenster der zum Großteil uralten Häuser, schmückend über die Stadt. Tagelang arbeiten die Lucceser an diesem, sich Jahr für Jahr wiederholendem Schauspiel. Giancarlo Neroni, der Besitzer der kleinen Trattoria am Piazzo Amfiteatro, manchmal wird er auch Piazzo Mercato genannt, zu finden an einem elliptischen Platz in unmittelbarer Nähe des Palazzo Guinigi, beide im übrigen lohnen sich sehr besichtigt zu werden, stellt soeben die letzten Kerzen in die an der Wand befestigten Behälter. "Auch heuer wird wieder ganz Lucca und Umgebung auf den Beinen sein bei der großen Prozession des Santa Croce. Niemand wird fehlen!", erzählt er überschwänglich.
Die Legende
Der Ursprung der Prozession führt weit zurück in die Vergangenheit und liegt in einer Legende begründet. Die Legende erzählt von einem Kreuz, das Nicodemus aus einer libanesischen Zeder geschlagen hat und die Engel hätten dabei angeblich seine Hand geführt. Auf vielen Umwegen kam das Kreuz dann an den Strand von Luni, nahe Lucca. Dort wurde das Kreuz auf einen von jungen, ungezähmten Rindern gezogenen Wagen verladen, um die Auswahl des zukünftigen Standortes der göttlichen Vorsehung zu überlassen. Die Tiere brachten das Kreuz nach Lucca. Der Legende nach geschah dies im 8. Jahrhundert.
"Während der Festlichkeiten wird das Heilige Kreuz immer geschmückt. Wir statten es mit einer Tunika aus Samt mit Goldstickerei, einer Krone und einem Halskragen aus purem Gold, besetzt mit Diamanten, aus", begeistert sich der Wirt.
Inzwischen ist die Dämmerung hereingebrochen, die abertausend Kerzen werden entzündet und auf den Plätzen und entlang den Straßen sammeln sich Zuschauer. Obwohl man im Herzen der Toskana ist, mitten im lebhaften Italien, ist von der sprichwörtlich überschäumenden Lebenslust der Italiener nicht viel zu verspüren. Ruhig, fast mystisch mutet die Atmosphäre in Lucca an zu dieser Zeit, knapp vor Beginn der Prozession. Der Schein der unzähligen Kerzen scheint den Lärm zu überdecken, kein lautes Wort ist zu hören, nur ein leises Murmeln wogt durch die Straßen und Gassen der Stadt. Es ist so etwas wie sakraler Ernst vermischt mit stiller Fröhlichkeit.
Die Prozession
Und dann setzt sich die Prozession in Bewegung: Vorab die kirchlichen Würdenträger in ihren prächtigen Ornaten. Reliquien werden mitgetragen, die
Menschen bekreuzigen sich, wenn die Reliquien an ihnen vorübergetragen werden. Dahinter die Honoratioren der Stadt; Bürgermeister, Gemeinderäte, wichtige und angesehene Persönlichkeiten, die aus dem gesellschaftlichen Lebens Luccas nicht wegzudenken sind inklusive Politiker sämtlicher Parteifarben. Selbst die Vertreter der Kommunistischen Partei haben es sich nicht nehmen lassen dabei zu sein. Und dann folgen die Abordnungen der umliegenden Gemeinden und der diversen Berufsgruppen, in Galauniform die Polizei, die Feuerwehr, Krankenschwestern, Nonnen und Mönche diverser Orden. Dazwischen immer wieder Musikkapellen, Vertreter und Repräsentanten der Vereine. Vom Hasenzüchterverein bis zum Briefmarkensammelverein. Nichts und niemand fehlt bei dem Großereignis.
Ich frage mich wer wohl all die Menschen sind, die an den Straßenrändern und auf den Plätzen stehen und nicht an der Prozession teilnehmen. Lucceser können es nicht sein, die sind alle eingereiht in den langen Zug. Vermutlich Touristen, Freunde, Verwandte, Bekannte aus anderen Teilen Italiens.
Dann erreicht die Spitze der Prozession einen weitläufigen Platz im Zentrum Luccas auf dem Hunderte Besucher stehen. Plötzlich beginnt es leicht zu regnen, ein eigenartiges Pfeifen und Rauschen erfüllt die Luft. Seltsam auch, hier auf diesem Platz ist kaum ein italienisches Wort zu hören, deutsch, englisch, französisch, sogar japanisch, aber kein italienisch. Hier also stehen die Touristen und erwarten den Vorbeimarsch der Prozession.
Die meisten blicken nach oben, in den wolkenlosen, sternenübersäten Himmel. Das hohe Pfeifen wird lauter, das Rauschen nimmt zu, der Regen wird stärker. Die ersten Menschen flüchten unter das schützende Blätterdach der gewaltigen Bäume, die im Zentrum des Platzes stehen. Hier sehen sie gegen das Kerzenlicht, das den gegenüberliegenden Palazzo in zartes Licht taucht, die Ursache für das Pfeifen und Rauschen.
Tausende Fledermäuse, aufgeschreckt durch die Prozession, flattern nervös über den Platz. Ihre schnellen Flügelschläge verursachen das Rauschen, sie stoßen die hohen Töne aus, um sich zu orientieren und es wird jedem klar, der Regen dürfte auch nicht aus Wasser bestehen. Vielleicht hat sich unter den Italienern herumgesprochen, dass hier die Fledermäuse von Lucca ihren Schlafplatz haben.
Lange nachdem die Prozession vorüber ist, verlöschen die letzten Kerzen. Erst dann beruhigen sich die Fledermäuse von Lucca und schlafen wieder ein. (akro)