Hiromi Uehara live in Wien mit ihrer grandiosen "Silver Lining Suite" ist ein Konzertabend, den man keinesfalls versäumen sollte.

Die Zeit hält alles zusammen, ist dein ständiger Reisebegleiter. Sie bringt dich in den Raum und ist Bewegung beim Denken. Die japanische Jazz-Pianistin Hiromi Uehara ist bekannt für ihre Eigenkompositionen, die generell generell zwischen exaltierter Verspieltheit und zeitgemäßem Fusion schweben. Das Thema Zeit ist dabei so etwas wie ein roter Faden, ein Gesamtkonzept und Grundgedanke der Pianistin und Keyboarderin, die zwischen 2003 und 2008 mit ihrer Band Sonicbloom fünf beachtliche Alben in Folge - "Mind", "Brain", "Spiral", "Time Control" und "Beyond Standard" - veröffentlichte. Sehr beweglich sind darauf die zugrunde liegenden Stücke, kreisartige Verschachtelungen gehen einher mit Spielwitz und philosophisch abstraktem Humor. Hiromis pulsierende Kompositionen stehen sicherlich in der Tradition der frühen Weather Report, Mahavishnu Orchestra und Return To Forever bis hin zu King Crimson, überschreiten dabei aber stilsicher die Brücke in die Gegenwart. Ein Grund dafür ist, dass sich Hiromi ihre Inspirationen weniger aus Meisterwerken der Jazz-Rock-Geschichte holt, sondern sich vielmehr an die Natur orientiert. Bäume. Ozeane. Sonne. Diese fünf Alben sind Powerplay pur mit rasanten Breaks, Alben voller Kanten und Ecken und dennoch eine ziemlich runde G’schicht’.

Hiromi Uehara live in Wien

Und es war nur eine Frage der - ja, ja - Zeit, dass sie auch mit ihren musikalischen Vorbildern zusammentrifft, um eine Generationen übergreifende Musik einzuspielen. So geschehen mit dem mittlerweile leider verstorbenen Chick Corea auf dem sinnlich-verspielten Album "Duet" (2008) und gleich danach zwei Alben mit dem Stanley Clarke Trio, zu hören u.a. auf dem großartigen Album "Jazz in the Garden" (2009). Mit E-Bassisten Anthony Jackson und Schlagzeuger Simon Phillips, der u.a. bei Toto, Asia, Jeff Beck und Peter Gabriel die Felle bearbeitete, gründete Hiromi "The Trio Project". Daraus hervor gingen von 2011 bis 2016 die Alben "Voice", "Move", "Alive" und "Spark", die allesamt das bekannt hohe musikalische Niveau der Japanerin halten konnten. 2017 veröffentlichte sie schließlich mit dem kolumbianischen Jazz-Harfenisten Edmar Castañeda ein weiteres Duo-Album, aufgezeichnet beim Live-Auftritt in Montreal (Kanada), das vor allem mit ihrer vierteiligen Suite "The Elements" aufhorchen lässt und verzaubert. Das feinfühlige Spiel mit der Stille und mit den Elementen "Air", "Earth", "Water", "Fire" klingt mit dem Wissensstand von heute (2022) einerseits wie ein Vorbote zu den stillen Tagen des ersten Lockdown und andererseits wie eine Ode an den Planeten. In dieser Stille ruht auch ihr bislang letztes Album, "Silver Lining Suite", eingespielt im Lockdown mit Piano und Streichquartett. War Hiromi bis zu Pandemiebeginn quasi ununterbrochen auf Welttournee - Hiromi Uehara live in Wien war ebenso Tourort - so änderte sich das bekanntermaßen von einem Tag zum anderen. Der weltweit eingestellte Konzertbetrieb ist für eine Musikerin, die von der Live-Energie lebt und aus diesen Live-Erlebnissen ihre Kreativität schöpft, in mehrfacher Hinsicht bitter, und diese erste Zeit des Nichtstun fiel ihr dementsprechend schwer, wie mir Hiromi im Interview erzählte.

Sich selbst aus der Dunkelheit befreien

Das Leben neu ordnen, neu sortieren, und daraus neue Perspektiven schaffen, das war nicht ganz so einfach für sie. Um Musiker*innen aus ihrem Umfeld Mut zu machen, nicht zuletzt auch sich selbst, wurden neue musikalische Wege und Möglilchkeiten zum gemeinsamen Musizieren gesucht - und letztlich auch gefunden. Ein Resultat davon ist das herausragende Album "Silver Lining Suite". Die Titel der einzelnen Stücke sprechen für sich - sei es "Isolation", sei es "The Unknown" oder sei es "Drifters". Sie reflektiert mit ihrem Piano über die Unsicherheit dieser Zeit und widerspiegelt Traurigkeit und Melancholie ebenso wie Optimismus für bessere Tage, die hoffentlich "Someday" wieder kommen werden. Ein großes, sympathisches Album, aus dem sich Hiromi zudem selbst aus der Dunkelheit befreien konnte mit Musik, die Mut macht und Hoffnung in sich birgt. Natürlich sei sie sehr froh, wie sie im Interview erzählte, dass sie ihre Musik wieder live vor Publikum spielen kann, denn die Konzertbühnen dieser Welt sind ihr eigentliches Zuhause. So daher auch das Wiener Konzerthaus. Dort quartiert sie sich mit "The Piano Quintet" am 30.6.2022 ein. Hiromi Uehara live in Wien ist ein Konzertabend, den man keinesfalls versäumen sollte. //

 Text: Manfred Horak
Foto: Robert Drózd / GNU Free Documentation License

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