Passend zur Freshen Up Tour 2018/2019 handelt Teil 5 unserer McCartney-Reihe von seinen Live-Alben.

Die Gelegenheit Paul McCartney live zu sehen, war lange Zeit eine Seltenheit - vor allem in den 1980er Jahren, nach seiner Verhaftung in Japan, dem damit verbundenen Abbruch der Tour und Auflösung der Wings, sowie der Ermordung von John Lennon (siehe Teil 1).

Who are those three guys with Paul McCartney?

Dabei war das Jahrzehnt davor ein einziger Höhenflug hinsichtlich Publikumsgunst und Popularität. Das ging so weit, dass das erste offiziell veröffentlichte Live-Album von Paul McCartney - das Dreifach-Album "Wings over America" (1976) das erste Dreifach-Album in der Musikgeschichte war, das Nummer 1 in den US-Charts wurde. Wiederveröffentlicht im Rahmen der Paul McCartney Archive Collection (2013) erhielt das ursprüngliche Vinyl-Triple-Set (2 CDs) noch jede Menge Bonusmaterialien auf 3 CDs und 1 DVD. Die Erstveröffentlichung gilt völlig zurecht als Klassiker, was Live-Alben anbelangt und zudem hörte man hier auch erstmals Songs von The Beatles, live interpretiert von einem der Original-Songschmiede höchstpersönlich. Man darf dabei natürlich nicht vergessen, wie populär Paul McCartney & Wings in den 1970er Jahren war. McCartney dominierte die Pop-Charts spätestens 1973 bis Ende der 1970er Jahre quasi nach Belieben, was so weit ging, dass ein britischer Journalist ein altes Foto von The Beatles einer Schar Teenagern zeigte und darauf die Frage erhielt: "Who are those three guys with Paul McCartney?"

Der Erste machte es auch am Besten

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Erst 14 Jahre später gab es erneut ein Live-Album, nämlich "Tripping the Live Fantastic". Ebenfalls ein Dreifach-Album auf Vinyl, war es nicht ganz so erfolgreich wie "Wings over America", aber dafür gab es eine interessante und kurzweilige Mischung aus dem überreichen Repertoire von The Beatles, Wings und seinen Solo-Alben. Für die erste Live-Tour seit 1979 (die ihn damals auch nach Wien brachte), gab es eine dementsprechend hohe Nachfrage seitens des Publikums, das letztendlich nicht enttäuscht wurde. Im Gegenteil. Im Vorfeld zum Live-Album gab es mit "Flowers in the Dirt" zudem ein mehr als passables Studio-Album (u.a. mit Elvis Costello als Co-Autor einiger Songs). Nur ein Jahr darauf erschien dann erneut ein Live-Album, aber ein noch viel besseres und noch viel interessanteres, das gleichzeitig eine neue Ära in Sachen Live-Alben einläutete. "Unplugged (The Official Bootleg)" aus dem Jahr 1991 war der Auftakt für die in den 1990er Jahren recht dominanten Live-Alben-Reihe MTV Unplugged. Paul McCartney war also der Erste - wieder einmal - und es gibt tatsächlich kaum ein anderes MTV Unplugged Album, das an diese Klasse und Qualität rankommt, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass die Mikrofonierung direkt bei den Akustik-Instrumenten angebracht war (man sieht es am Album-Cover) und somit war es ein zu 100 Prozent echtes Unplugged Konzert im Gegensatz zu den meisten Nachfolge-Alben in dieser Reihe. Bestechend war aber auch die Set-List, einer Mischung aus alten Rock'n'Roll-Hadern, einem Soul-Klassiker von Bill Withers ("Ain't No Sunshine"), ein Folk-Song von Jesse Fuller ("San Francisco Bay Blues"), ein Bluegrass-Walzer von Bill Monroe ("Blue Moon of Kentucky") und einer Mischung aus der eigenen Schatztruhe. Diese drei Veröffentlichungen sind denn auch quasi jene Live-Alben, die man kürzest möglich mit Must-have umschreiben kann.

Ein Zebrastreifen mit Retuschierung

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Zwei weitere Jahre später, also 1993, bewies Paul McCartney endgültig, dass die Paul-is-dead-Verschwörungstheorie von 1969 reiner Humbug ist, denn für sein Live-Album "Paul is Live" sieht man ihn erneut über den berühmten Zebrastreifen der Abbey Road gehen und räumt auf diesem Album-Cover mit allen Mythen humorvoll auf. So wie diese Paul-is-dead-Meldung ein Fake war, war nämlich auch das Cover-Design ein Fake. Hergenommen wurde ein Original-Foto von den Foto-Sessions zum "Abbey Road" Album. Digital entfernt wurden dabei die drei anderen Beatles. Aus dem Nummernschild (LMW281F, falsch gelesen als LMW28IF) des VW Käfers, die (klarerweise völlig abstruse und falsche) Aussage, dass Linda McCartney weint und dass Paul 28 Jahre wäre, sollte er noch leben, wurde das Nummernschild 51IS, was soviel bedeutet, dass Paul im Alter von 51 Jahren noch am Leben ist. Des weiteren trägt er Schuhe, und er hält den Hund, den man mit ihm gemeinsam ins Bild rein retuschiert hat, in der linken Hand. Und schließlich ist auch sein linker Fuß vorne und nicht der rechte wie beim Beatles-Album-Cover. Aber, bitte, wer kauft schon ein Album wegen eines Album-Covers, noch dazu nur in CD-Größe? Genau. So wurde "Paul is Live" das mit Abstand am schlechtesten verkaufte Live-Album von Paul McCartney, da es musikalisch keine neuen Erkenntnisse im Vergleich zum "Tripping the Live Fantastic" Dreifach-Album ergab. Dieser kommerzielle Misserfolg (bei McCartney bedeutet das UK Platz 34 und US Platz 78) brachte mit sich, dass er für das nächste Live-Album neun Jahre verstreichen ließ. Das gab es dann dafür wieder im Doppel-Pack, einmal für den US-Markt und einmal für alle anderen. "Back In The World" bzw. "Back In The US" hießen denn auch die Live-Alben folgerichtig, die gar nicht mal so unterschiedlich waren, wie man auf den ersten Blick vermuten bzw. vielmehr erhoffen konnte, aber sei’s drum.

Lennon-McCartney vs. McCartney-Lennon

Mit beiden Alben erreichte Paul McCartney wieder die Top-Ten. Andererseits kam es dabei auch zu Streitereien zwischen Yoko Ono und Paul McCartney. Der Hintergrund ist simpel. Das Autorengespann von The Beatles lautete bekanntermaßen immer Lennon-McCartney. Nun erdreistete sich McCartney, jene Beatles-Songs auf seinen Live-Alben als McCartney-Lennon zu markieren, Songs wie "Hey Jude", "Yesterday" und "Mother Nature's Son". Songs also, die McCartney erwiesenermaßen im Alleingang schrieb, während die restlichen Beatles-Songs auf diesem Live-Album with a merely help from Lennon zustande kamen. Dabei beruht die Namensreihenfolge eigentlich nur auf eine unverbindliche Vereinbarung zwischen John und Paul in den späten 1950er Jahren und generell, dass beide genannt werden, egal wie viel der eine oder der andere zum Song tatsächlich beiträgt. Beim ersten Beatles Album ("Please Please Me") wurden z.B. alle acht Eigenkompositionen als McCartney-Lennon deklariert und erst später wurde in der Band die Entscheidung getroffen, es immer als Lennon-McCartney zu benennen, da es rhythmisch besser klang als andersrum. Aber das eigentlich nur nebenbei. Das ganze Ausmaß rund um The ballad of Paul and Yoko, kann man im großartigen Artikel von Gilbert Garcia nachlesen.

Good Evening New York City

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Dass Paul McCartney im Jahr 2010 einen Grammy in der Kategorie Best Solo Rock Vocal Performance erhielt, mag ja nicht ungewöhnlich klingen, dass er aber mit einem damals bereits über 40 Jahre alten Song, den er, pardon, Lennon-McCartney schrieben, überrascht dann doch vielleicht zumindest ein bisschen. Ausgezeichnet wurde der Barde für seine Live-Performance von "Helter Skelter", die er im Rahmen der Summer Live '09 Tour an drei Nächten vor über 180.000 Konzertbesuchern im New York City's Citi Field (dem früheren Shea Stadium) zum Besten gab. Kameratechnisch und klanglich eindrucksvoll dokumentiert wurde dieses Live-Ereignis auf der Doppel-CD und DVD "Good Evening New York City". Dort - im Shea Stadium - absolvierten The Beatles 1965 das erste Rockkonzert in einem Stadion, und eben dort gab Billy Joel mit Paul McCartney als Gastmusiker 2008 das finale Shea-Konzert vorm Abriss, bevor McCartney wiederum eben an drei Abenden im Juli 2009 das neue Stadion quasi einweihte, diesmal mit Billy Joel als Gastmusiker. "Good Evening New York City" ist im Prinzip ein Best-of, und macht dennoch nicht ganz glücklich. Irgendwas fehlt - sei es eine echte Bläsertruppe, die synthetisch ersetzt wurden - oder ganz einfach die Tatsache, dass Sir Paul gegenüber den vorhergehenden Live-Alben nichts Neues hinzufügt, was nicht eh schon alle kennen. Ihn tatsächlich live zu sehen ist ja nochmals etwas Anderes, aber bei diesem Live-Dokument hat man das Gefühl, als ob etwas fehle. Vermutlich war es ganz einfach die Nähe zum Publikum, die z.B. das Live-Album "Unplugged (The Official Bootleg)" so groß machte und auf "Good Evening New York City" natürlich völlig wegfiel. Aber, ja, die Performance von "Helter Skelter" ist freilich sehr beeindruckend. Der Rest larviert zwischen Mittelmaß und Bodenständigkeit. Mit "Amoeba's Secret" (2007), "Live In Los Angeles" (2010) und "iTunes Live from Capitol Studios" (2012) gibt es noch drei weitere Live-Veröffentlichungen von Sir Paul, wobei die zwei erstgenannten ident sind ("Live In Los Angeles" ist die Extended Version von "Amoeba's Secret"). Beide Alben sind nur über Privatverkäufe erhältlich. Das bis dato jüngste Live-Album wiederum ist nur via iTunes zu beziehen bzw. auf DVD/Blu-ray. Zu hören bekommt man darauf seinen Jazz-Ausflug von "Kisses from the Bottom", u.a. mit Diana Krall am Piano. Eine Besonderheit muss dennoch erwähnt werden, denn Paul McCartney ist ja nicht nur ein Sir, sondern auch ein Experimentierfreudiger Zeitgenosse. Und so kam es, dass er bereits 2014 neben Beck und The Who als einer der ersten Rockmusiker überhaupt, eine Live-Performance im virtuellen Raum gab, kostenfrei via Google-Cardboard und der Free App von Jaunt VR. "Feel as though you're by Sir Paul's side as he plays Live and Let Die - see it in 360-degree, stereoscopic 3D, hear it with ambisonic audio, and immerse yourself in cinematic VR. It's like nothing you have seen, heard, or felt before." Tatsächlich ein VR-Erlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte. //

Teil 1 / Teil 2 / Teil 3 / Teil 4 / Teil 6

Text: Manfred Horak
Foto: Jaunt VR

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