Es ist Jahr für Jahr ein Festival der großen Gefühle und hohen Erwartungen.
Weiterhin weder Schwäche noch Ermüdungserscheinungen zeigt das von Friedl Preisl entworfene Konzept des Internationalen Akkordeonfestivals, das heuer zum bereits sechsten Mal in Wien stattfand. Eher das Gegenteil ist der Fall, und das hat sicherlich damit zu tun, dass sich Jahr für Jahr Überraschungen ergeben. So wird das Publikum zum Entdecker und obwohl das Akkordeonfestival eine Gesamtauslastung von knapp 100 Prozent vorweisen kann bleibt die Entdeckung weiterhin so etwas ähnliches wie ein Geheimtipp, denn Friedl Preisl ist stets bemüht - so groß die Nachfrage nach den meisten Konzerten auch ist - den intimen Rahmen des Festivals nicht zu zerstören.
Das Festival lebt von den großen Gefühlen und hat gleichzeitig von Jahr zu Jahr eine noch größere Erwartungshaltung zu erfüllen. Bisher klappte die Umsetzung in einer verblüffenden Art und Weise, die sich manch andere Festivalorganisatoren bloß wünschen können. Der ungeheure Erfolg liegt sicherlich an der Mischkulanz des Dargebotenen, weniger bis kaum bekannte Akteurinnen und Akteure sind im Festivalprogramm genauso zu finden wie international hochrangige Akkordeonstars. Ein weltweit anerkannter Akkordeonist eröffnet jährlich das Akkordeonfestival - er ist auch die Initialzündung für Friedl Preisl gewesen ein Akkordeonfestival durchzuführen: Otto Lechner. Heuer spielte er im Kollektiv von Divina Ziehharmonika, was eine Art musikalische Weltreise im Rauschzustand war. Das Publikum dankte es ihm mit Standing Ovations und eigentlich, so hat es den Anschein, ist es dem versierten Akkordeonfestivalpublikum ziemlich egal was Otto Lechner spielt, Hauptsache er spielt. Ein gutes Beispiel dafür war sein spontaner Einstieg beim letzten Konzert bei Chili Cheeps feat. Claudia K. und Willi Resetarits im überfüllten Wiener Metropol. Bleiben wir gleich beim Abschlusskonzert, das nämlich zwar bemüht aber doch ein wenig belanglos mit einer österreichischen Cajun-Partie begann, sich aber mit der Hauptband des Abends, den erwähnten Chili Cheeps um Akkordeonspieler Harry Pierron und der Ausnahmegitarristin Miki Liebermann doch zu einem außergewöhnlichen Konzert mauserte. Das Repertoire bestand hauptsächlich aus Zydeco-Liedern und Unterstützung erhielt das Quartett von zwei unterschiedlich agierenden Stimmen, nämlich von Claudia K. und Willi Resetarits. Da man letzteren ja eh bestens kennt - sogar aus Rundfunk und Fernsehen - er war ja eine Zeitlang außerdem der Arbeitgeber von Pierron und Liebermann - wenden wir uns der Sängerin zu, die bisher nicht über den Insiderstatus gekommen ist. Claudia K. hat eine Soulstimme die berührt und - man kennt ja sicherlich diese Floskel - einem sogar aus dem Telefonbuch vorsingen kann, egal also was, Hauptsache, sie singt.
Wie breit das musikalische Spektrum beim Akkordeonfestival ist, zeitigten auch Konzerte wie jenes von der amerikanischen Sängerin, Komponistin und Akkordeonistin Rachelle Garniez, die heuer im Kosmos Theater ein Solokonzert gab. Garniez gastierte im Rahmen des Festivals bereits einmal in Wien, damals mit Band, nur konnte sie damals nicht so sehr die Erwartungen erfüllen, die ihren Studioveröffentlichungen vorausgingen. Ganz anders heuer. Für mich war sie nämlich die positive Überraschung schlechthin, da sie genau den Nerv traf, den ihre Texte, zumeist zynische Beobachtungen, verlangen. Sie machte aus dem Solokonzert eine Tour de Force mit hohen Kieksern die im nächsten Augenblick zum tiefsten Bass verbrummten und in ihr Akkordeonspiel eine hypernervöse Avantgarde legte, die man so schon lange nicht mehr hörte und in den frühen 1980er Jahren von Laurie Anderson gewohnt war. Garniezens Konzert war ein spätes Märchen und ein verfrühter Frühling, eine Dramolette, Humoreske und Punk in einem. Anarchie und Zartbesaitetes. Leiwand.
Euphorie pur herrschte beim Konzert von Motion Trio. Das Publikum sog die akkordeonistischen Gefühle und Zustände der drei Polen wie nur was ein, inhalierte deren Kunst mit drei rein akustisch gespielten Akkordeons abstrakte kosmische Reisen zu vollführen. Das Trio klingt mal nach Kraftwerk, nach Brian Eno, zerrt Computerspielklänge aus den Instrumenten und ist freilich - im Gegensatz zu Chili Cheeps oder Rachelle Garniez eine Band die selten aus dem Bauch heraus agiert. Muss man gehört haben, denn nicht zufällig singt Bobby McFerrin immer wieder mit dem Motion Trio, so heuer noch beim Jazzfestival Montreux. (Manfred Horak)