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Auch wenn sie als "Album Release Tour" bezeichnet wird: die Auswahl der Songs, die von Holly Cole und ihrer Band live musiziert werden, sind nicht nur Songs von der neuen CD Holly Cole. Es ist ein dramaturgisch sehr gut aufgebauter Abend, der die Geschichte einer Sängerin erzählt, die gerne die Einladung zum Blues ausspricht, daher den Song "On the sunny side of the Street" so mag, um sich letztendlich trotzdem als "Last lamb lost in the woods" zu fühlen.



Hüttenzauber und Großstadt-Cabaret

Das Freudenhaus in Bregenz liegt gleich am See, zwischen dem renommierten Kunsthaus und der Seebühne für die Festspiele. Es schafft eine eigene Atmosphäre zwischen Hüttenzauber und Großstadt-Cabaret. Die gedimmten Kronleuchter an der purpurroten mit Samt verhängten Decke glimmen nur schwach, gehen aber noch nicht aus. Die bunten Glasfenster in den dünnen Holzwänden lassen gefärbtes Tageslicht in den Saal, und sorgen kombiniert mit der sich drehenden Disco-Kugel für Stimmung an den dicht gedrängten Bar-Tischen. Die Erwartung auf das Geschehen auf der rot ausgeleuchteten schwarzen Bühne steigt. Der jung-dynamische Mit-Vierziger im Bregenzer Publikum kann es nach 3 Minuten verdunkelter Stimmung schon nicht mehr aushalten und fängt laut an zu klatschen. Nichts passiert. Da, Musik! Beginnt das Konzert hinter der Bühne? Nein, man hört durch die dünnen Wände den draußen vorbeiziehenden Spielmannszug. Mit seinen lautstark militärischen Marschrhythmen und seinen mutigen Fanfaren. Anlass: Die Eröffnung der Gymnaestrada, ein Fest für junge Turner aus der ganzen Welt, sprich, lauter kleine extrem kräftige Männer und hoch trainierte kerzengerade Mädchen treffen sich, um miteinander wett zu streiten, wer besser trainiert ist, höher hüpft, öfter dreht, bessere Nerven hat. Das Publikum kennt das Bild da draußen, und hat sich doch ganz bewusst für die leisen Töne und zerbrechlichen Sounds von Holly Cole entschieden. Während der Spielmannszug nur noch in der Ferne zu hören ist, werden die privaten Gespräche um so lauter. Die warme Abendsonne scheint jetzt steil durch die Glasfenster - der Saal bekommt kurz eine unbeschreibliche, natürliche Beleuchtung, trotz abgedunkelter Lichtstimmung – die Band erscheint: Piano, Schlagzeug, Kontrabass und drei Blasinstrumentalisten – lauter erfahrene Musiker am 8. Juli 2007, an ihrem zweiten Tag auf Europatournee, die sie tags darauf auch (erneut) zum Jazzfest Wien führte.

Beschwingte Intensität und gespannte Ruhe

Das Trio beginnt zu spielen. Sanft - beschwingt, aber immer zärtlich. Die Gespräche verstummen nicht. Endlich, die Sängerin erscheint. Applaus. Die Gespräche verstummen nicht. Holly Cole singt, sanft, leise, zerbrechlich - immer noch keine Ruhe. Die Bläser zaubern feine dreistimmige Akzente in das Lied, und siehe da: das wirkt. Erstauntes Gelächter, und die Gespräche brechen ab, der Alltag verabschiedet sich. Das war übrigens auch der Hauptverdienst dieses hochsensiblen durcharrangierten Konzertabends. Das Leben da draußen trat für 1 ½ Stunden in den Hintergrund, selbst wenn öfters in den gut gesetzten Generalpausen der Zug vorbeiquietschte oder grölende Turnerinnen in die Innenstadt zogen. Diese Intensität, diese beschwingte und doch gespannte Ruhe im Publikum ab diesem Zeitpunkt war umso erstaunlicher, da von niemandem auf der Bühne eine große Show gemacht wurde. Auch wenn die Musiker immer wieder zwischendurch die Gelegenheit bekamen zu zeigen, wie ziseliert und einfallsreich sie sein können.

Comic-Bilder wohin man hört und sieht

Die gemeinsame Verabredung schien zu sein: lasst uns träumen, suchen - lassen wir uns wieder und wieder fallen, auch wenn bzw. genau weil wir wissen, wie es sich am Boden der Realität anfühlt. Die Band lebt einen gemeinsamen Traum einer großen Broadway-Glamourgeschichte vom hässlichen Entlein, das doch eigentlich ein Schwan ist - wie man auf den Plakaten mit ihrem Porträt unschwer erkennen kann. Vom Aschenputtel, das endlich vom Prinzen gefunden und erlöst werden will. Nur diese Show wird nicht gezeigt. Sie wird nur erzeugt, indem alle durch feine Soundwelten dahin schliddern und mitfühlen, was die Sängerin denkt und singt. Das alles entlang eines glasklar gespannten Netzwerks, in dem die kleine, dicke, intellektuell bebrillte Oberspinne, Holly Cole, sich hin und her bewegt und die Fäden zieht. Zwischen Wassergläsern und Mikrophonständer, zwischen dem Platz neben dem Pianisten und der Bläsersektion. Ich fühle mich befugt solche Comic-Bilder zu benutzen, weil Holly Cole in ihrer Performance alle Hinweise darauf gibt, sehr genau zu wissen, was sie tut. Mag es noch so unbeholfen und fahrig wirken. Sie steht zu ihrer kindlichen Phantasie von Liebe und Romantik, und gleichzeitig zu ihrer intelligenten Sicht auf ihre Verlierer-Position. Sie entspricht dem Typus einer Figur aus einem nordamerikanischen Kinofilm – kleine dickliche Intellektuelle ohne Chancen, weil zu verträumt, zu intelligent bzw. einfach nicht "fit" bzw. passend genug. Obwohl sie so eine Schönheit ist.

Nur nicht schreien. Und wenn, dann nur nach innen

Sie will das Risiko ihres zarten Ansatzes egal in welcher Situation nicht aufgeben - mag der Ton kommen oder nicht. Nur nicht schreien. Und wenn, dann nur nach innen, wo ihr das ganze Volumen ihrer Erfahrungen zur Verfügung steht. Nach außen wird höchstens kindlich gekrächzt oder gesäuselt. Immer wieder geht sie in die Hocke auf die Augenhöhe des Publikums. Den bereit gestellten Barhocker hat sie sich selbst mit Wassergläsern besetzt. Sie hüpft und dreht am Saum ihres Bienenwabenmuster-Sakkos - wie man es auf dem Kinderspielplatz eben so tut. Sie erhält sich eine sture Sichtweise auf ein gefälligst glückliches Leben, geprägt von Zärtlichkeit und wahrer Liebe, auch wenn sie die tiefe Einsamkeit schon so oft kennen lernen durfte. Die den Abend bestimmenden Arrangements sind angenehm uneitel und leben von ihrem Genuss am Klang, an der Präzision, am Akzent für die Aussage. Schön zu sehen, die persönliche Freude der gesamten Band, wenn ein schwieriger Song so richtig gut gelungen ist. Weil er stimmig war, nicht nur brillant.

Die Musiker im Einzelnen

Aaron Davis - Piano – auf den Spuren der klassischen Bögen sucht er neue harmonische Zusammenhänge. Sie werden ausgeweitet, wiederholt, abgeschmeckt, gereizt, emotionalisiert, wiederholt und gelassen. Wie es mit den Spannungen im Leben halt so ist. George Koller - Kontrabass – ein phantastischer Techniker in allen Gebieten. Davide DiRenzo – Schlagzeug – sehr präzise verzichtet er selbst bei seinem Solo auf die lauten Knalleffekte und bleibt untergründig hintergründig. John Johnson - Alt- und Tenorsaxophon, Flöte, Klarinette, Bass-Klarinette – ein exzellenter Techniker, dem seine Schnelligkeit nicht so wichtig ist, wie Stimmungen zu erzeugen. Sören Fischer – Posaune – melodiös, und mit einem wunderschönen introvertierten Klang. Perry White  - Saxophone – mit einem mitunter sehr schönen dreckigen Ton. Das von Holly Cole selbst geschriebene Lied "Larger than Life" erinnert an die Broadway-Phase von Kurt Weill - wie so manche ihrer Cover-Bearbeitungen: lange erzählerische Intros, die dann in eine leicht melancholische und doch eingängige Songstruktur münden. Nichts Neues, aber wirkungsvoll, weil jetzt gelebt und hier empfunden. Wie es sonst eher in der Klassik üblich ist.

Songs about modern lovers

Wie die Sängerin bei ihrer letzten Zugabe allein mit Aaron Davis erzählt, begann die gemeinsame Zusammenarbeit der Beiden mit diesem Lied über "the last lamb lost in the wood, searching for the one who carrys the key. The one who watches over me." In Aaron Davis und auch sehr bald in George Koller hat sie ganz klar zwei Musiker gefunden, die sie begleiten, beschützen und liebevoll einbetten. "Just be here, if you want me to be near you", ist ein Zitat aus einem ihrer ersten "Songs about modern lovers", wie sie es formulierte. Und sie hat es geschafft. Das Publikum war wirklich da, und sie konnte mit ihren Musikern allen ziemlich nahe sein. Danke, Holly Cole, für deinen Mut dich auch mal kleiner zu machen, als du bist. Danke, den feinen Musikern, dass ihr sie so gut dabei zu unterstützen wisst. (Stephanie Lang)

Link-Tipp:
CD-Kritik "Holly Cole"
Seelax Festival
HP von Holly Cole