mit den Schlagworten:

lydia-mischkulnig_haymonLydia Mischkulnig schreibt neun Heimsuchungen und macht damit nicht die Welt besser, aber sich selbst und damit alles. Das ist amüsant, böse ohne gemein zu sein, und auch sehr schön. Die Schönheit aber wird brüchig so wie überhaupt alles in seiner Fragilität vorgeführt. Abschied, Mutterrolle, Literaturbetrieb, jede erzählte Wirklichkeit hat ihre Sprünge, weil sie auf ganz bestimmten Übereinkünften beruht. Eine Heimsuchung ist, wenn diese wanken. Dann sieht man wieder schärfer. Gegen die Abgestumpftheit.


Der Band "Macht euch keine Sorgen" versammelt also neun Geschichten, die laut Titel Heimsuchungen sind. Keine der Geschichten trägt diesen Titel und keine erklärt ihn explizit. Das gefällt. Man kennt allzu viele Erzählbände, die eine aus ihrer Mitte als Namensgeberin verwenden, ohne erkennbares Konzept. Das Konzept wird bei Mischkulnig vorangestellt als ein Shakespeare-Zitat und trotzdem muss man es erst begreifen, Geschichte um Geschichte. Die sind ganz unterschiedlich. Es gibt eine auktoriale Erzählerin, die von einer vollbeschäftigten alleinerziehenden Mutter erzählt, eine in der Erzählinstanz personifizierte Firma, mehrere Ich-Erzählerinnen, eine davon ist zur Frankfurter Buchmesse geladen, die heißt Mischkulnig und ihr Roman "Umarmungen". Verbindungen finden sich allerorten. Die alleinerziehende Mutter liest Musils "Mann ohne Eigenschaften"; eine der gelungensten Geschichten erzählt von einem Paar, Ulrich und Agathe, denen der schöne Abschied verpatzt wird, weil niemand sagt "Türen schließen". Gelungene Abschiede sind davon abhängig, dass Züge keine Verspätung haben. Das ist witzig, ist ein wenig lächerlich und trotzdem beschleicht einen ein unangenehmes Gefühl, weil man diese Abschiede kennt. Jetzt fürchtet man den nächsten und die Unzuverlässigkeit der Verkehrsmittel.

Ähnlich wie mit dem Buchtitel und dem Zitat zu Beginn ist es mit den einzelnen Geschichten. Vor der Lektüre sind ihre Titel nichtssagend, danach, wenn man zurückblättert, plötzlich erhellend. Auch das gefällt, weil es den Geschichten trotzdem nichts von ihrer Mehrdeutigkeit nimmt. Durch dieses übergreifende Konzept sind die Geschichten so schlüssig verbunden, dass man trotz ihrer Disparatheit am Schluss das Gefühl hat, ein Ganzes, Zusammenhängendes gelesen zu haben. Was auch an den Themen liegt, die sich durchziehen. Der Tod ist präsent, vom geschächteten Lamm im Traum der alleinerziehenden Mutter über die in die Reinigung gebrachte Jacke für das viewing der verstorbenen Mutter, und natürlich in der Erzählung von der alten Dame, deren Ableben die Ich-Erzählerin im Krankenhauszimmer als ein Schnarren miterlebt. Der Tod ist gewalttätig, er ist erschreckend. Sollte man meinen. Nein, "der leise, schöne Tod verdirbt meine Gelassenheit."

Das "Frauenthema", das man ja gar nicht so nennen will, zieht sich durch, wird ganz selbstverständlich miterzählt, gipfelt in der Erzählung der Firma, wo es stellenweise richtig übel wird. "Ich habe nichts dagegen, dass der Frauenkörper der Kinder entledigt ist, dass sich die Frau entfraut, dass sie sich selbst erledigt, denn jetzt endlich heißt es für sie, den gleichen Rechten und Pflichten zu unterliegen." Letztendlich geht es in "Die Firma" aber nicht nur um den weiblichen Körper, sondern um die Leiblichkeit schlechthin, um die Leibeigenschaft, in der jeder Angestellte von der Firma unterjocht wird, die durch ihre Körperlosigkeit unschlagbar im Vorteil ist.

Die Autorin verbindet (beinahe immer) mühelos "große" Themen, sogenannte ewige, mit sogenannten modernen Erscheinungen, die in der Literatur oft platt oder anbiedernd wirken. Tun sie bei Lydia Mischkulnig nicht. Das Möbelhaus in blau-gelb, Tom Cruise, 9/11, das alles fügt sich ein, sorgt manchmal für ein Schmunzeln, verstellt nie den Blick auf das Thema. Dabei geht es immer auch um das Schreiben selbst, das eigentliche Konzept, ein erstaunlich positives. Die Schriftstellerin "ein Ort, um Einfälle dem Zufall des Hasses entgegenzusetzen, den man nicht ausbaden soll – und diese Einsicht wird die Welt auch nicht besser machen, außer mich und damit alles." (Laura Freudenthaler)

lydia-mischkulnig-keine-sorBuch-Tipp:
Lydia Mischkulnig - Macht euch keine Sorgen. Neun Heimsuchungen
Bewertung: @@@@1/2
Verlag: Haymon (2009)