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nochmal-leben-schelsKaum etwas bewegt uns so sehr wie die Begegnung mit dem Tod und kaum ein Gedanke ist aufwühlender als der des Sterbens. Die Endlichkeit des Menschen ist von Natur gegeben und dennoch großes Tabuthema unserer Gesellschaft. Eine Möglichkeit der Annäherung bietet die Ausstellung "Noch mal leben". Zu sehen im stadtmuseumgraz bis 28. Februar 2010.



 

 

Der Fotograf Walter Schels und die Journalistin Beate Lakotta begleiteten todkranke Menschen in ihren letzten Tagen und Wochen. Die Ausstellung dokumentiert den letzten Lebensabschnitt der Sterbenden, erzählt von ihren Vorstellungen, Hoffnungen und Ängsten. Jeder der Teilnehmer war damit einverstanden sich kurz vor und unmittelbar nach seinem Tod porträtieren zu lassen.

Offene, intensive, schonungslose und zugleich schöne Blicke

Gedacht war das Vorhaben eigentlich als ganz persönliche Auseinandersetzung mit dem Sterben an sich, das sowohl für Beate Lakotta als auch für Walter Schels sehr negativ besetzt war. Beate Lakotta ist Redakteurin im Wissenschaftsressort vom  SPIEGEL und  schon aus beruflichen Gründen oft  mit nochmal-leben-schmitz02den Themen Sterben und Krankheit konfrontiert. Walter Schels ist freischaffender Fotograf. Als Kriegskind, geboren 1936, sind seine ersten Begegnungen mit dem Tod brutal und erschreckend. Es bleibt eine tiefsitzende Angst vor dem Sterben und vor allem auch vor toten Menschen. Das aus ihrer intensiven Beschäftigung später ein Buch, ein Hörbuch und eine Wanderausstellung entstehen, wird ihnen erst nach Beginn des Projektes klar. Im Vordergrund standen zunächst die Gespräche mit den Betroffenen. 34 Menschen haben sie insgesamt begleitet, von denen 26 in der Ausstellung zu sehen sind. Zu allen haben Beate Lakotta und Walter Schels eine persönliche Beziehung aufgebaut und das sieht man in den Fotografien. Zu sehen sind je 1x1m große, schwarz-weiße Doppelportraits, jeweils eines vor dem Tod und eines kurz danach aufgenommen. Vor allem die Bilder der Lebenden verdeutlichen das große Vertrauen der Menschen in ihr Gegenüber, denn es sind sehr offene, intensive, schonungslose und zugleich schöne Blicke die Walter Schels geschenkt bekam.

Über die frühere Popularität der Leichenfotografie

Die Bilder der Toten knüpfen eigentlich an eine heute längst in Vergessenheit geratene Tradition an. Bereits im 19. Jahrhundert sind die sogenannten post
nochmal-leben-schmitz01mortem Fotografien sehr populär. Verstorbene Familienmitglieder wurden alleine oder auch im Kreise ihrer Verwandten porträtiert. Die Fotografien wurden keineswegs verheimlicht oder versteckt, sondern in Wohn- und Schlafräumen aufgehängt, auf den Kaminsims gestellt oder in Alben eingeklebt. Die Auftraggeber kamen aus verschiedensten gesellschaftlichen Schichten, es handelte sich - im Gegensatz zu gemalten Leichenporträts - um eine sehr kostengünstige Möglichkeit des Erinnerns. Für die Fotografen selbst war die post mortem Fotografie ein sehr lukratives Geschäft, viele warben damit ihre Klienten möglichst lebensecht abzulichten. Der in Wien lebende Albin Mutterer war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer der profiliertesten Spezialisten auf dem Gebiet der Leichenfotografie.

Der letzte, ewige Schlaf

Jay Ruby unterscheidet in seiner Studie "Secure the Shadow. Death and Photography in America" aus dem Jahr 1995 verschieden Typen des Totenbildes. Eine Art der Darstellung war die Toten als Noch-Lebende zu portraitieren. Man fotografierte die Leichen in ihrer Alltags- oder auch Sonntagskleidung mit geöffneten Augen und sitzend. Oftmals wurden die Arbeiten nachträglich koloriert bzw. geschlossene Augen übermalt. Bei weitem häufiger findet sich allerdings der Typus des letzten bzw. ewigen Schlafes. Die Fotografien zeigen den Verstorbenen als Schlafenden in seinem Bett oder auf einem Sofa liegend mit geschlossenen Augen. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts schließlich begann man damit Verstorbene als dezidiert Tote in ihren Särgen zu fotografieren. Grund dafür ist zunächst eine Änderung in der Bestattungstradition. Das Waschen, Einkleiden und Aufbahren der Verstorbenen wurde zunehmend von Bestattungsinstituten übernommen. Auch der Transport von Leichen in Fotografenstudios wurde aus hygienischen Gründen verboten (in Wien bereits 1891) und somit die ursprüngliche Praxis der Totenfotografie unterbunden. Nicht mehr der letzte Anblick des Toten sollte dargestellt werden, sondern eben die Verabschiedung des Verstorbenen: die Bestattung an sich. Nun werden auch die Angehörigen und ihr Leid auf den Fotografien sichtbar, sie zeigen den Sarg aus einiger Entfernung umgeben von der Trauergemeinde. Damit endet diese besondere Form der Totenfotografie bereits vor Mitte des 20. Jahrhunderts.

Das Thema Sterben aus heutiger Sicht

Die Ausstellung "Noch mal leben" bietet nun eine Möglichkeit der Auseinandersetzung mit dem Thema Sterben aus heutiger Sicht. Beate Lakotta und Walter Schels haben sich im Rahmen ihres Projektes nahezu kongenial ergänzt. Die Texte sind einfühlsam, die Fotografien unglaublich intensiv. Der Besuch im stadtmuseumgraz kann vieles sein - beruhigend, aufwühlend, schockierend oder auch heilsam. Auf jeden Fall ist er aber äußerst empfehlenswert. (Text: Marie-Therese Hochwartner; Fotos: Heiner Schmitz © stadtmuseumgraz/Walter Schels)


Kurz-Infos:

Noch mal leben - Eine Ausstellung über das Sterben
Bewertung: @@@@@
Stadtmuseum Graz
Sackstraße 18, 8010 Graz
Bis 28. Februar 2010
Öffnungszeiten: DI-SO 10-18 UHR

nochmal-leben-coverBuch-Tipp:
Beate Lakotta, Walter Schels - Noch mal leben vor dem Tod
Wenn Menschen sterben
Verlag: DVA
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 224 Seiten,
71 s/w Abbildungen
ISBN: 978-3-421-05837-9

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Hörbuch zur Ausstellung:
Matthias Brandt & Beate Lakotta lesen "Noch mal leben vor dem Tod"
36-seitiges Foto-Booklet mit einem Vorwort von Beate Lakotta
Format: 2 CDs Digipak
Spieldauer:  2 Std. 35 Min.
ISBN:  3-936186-98-7

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