Wie wir Frieden heute neu hören, neu verstehen, neu glauben können und was die Weihnachtsbotschaft damit zu tun hat.
Die Weihnachtsbotschaft
"Friede auf Erden den Menschen guten Willens“ – jener ehrwürdige Gruß, der seit Jahrhunderten im Fest- und Kirchenlied erklingt, birgt nicht nur eine Feiertradition, sondern eine existenzielle Botschaft: Inmitten einer Welt, die sich in Zerrissenheit und Unruhe erlebt, verweist die Weihnachtsbotschaft auf einen Frieden, der tiefer reicht als Stille und Kerzenlicht. Was bedeutet dieser Friede heute – und wie können wir ihn neu hören, neu verstehen, neu glauben?
Frieden – das ist kein Zustand, sondern eine Haltung
Frieden klingt in unseren Tagen wie ein Ideal, das sich abgenutzt hat: Ein Wort, das im politischen Diskurs gern beschworen wird, aber zugleich seine Substanz zu verlieren droht. Frieden ist nicht länger allein die Abwesenheit von Krieg oder Konflikt, sondern ein Zustand, der Vertrauen, Versöhnung und das Eingeständnis unserer Verwundbarkeit einschließt. Er beginnt im Herzen, im Blick auf den Mitmenschen, im Bruch mit der Logik der Gewalt. In diesem Sinn ist die Weihnachtsbotschaft nicht bloße Nostalgie, sondern Hervorrufung einer Stimme, die gehört werden möchte. Frieden – das ist kein Zustand, sondern eine Haltung. Kein fertiges Geschenk, sondern eine tägliche Entscheidung.
Sehnsucht nach einem Ort, an dem das Leben zählt, bevor es geopfert wird
Simone de Beauvoir schrieb in Alle Menschen sind sterblich: "Unsterblichkeit entwertet alles, was geschieht." Ein Roman, der das Sein in der Zeit reflektiert, das Vergängliche und zugleich das Potenzial jedes Lebens. De Beauvoir lässt den Protagonisten über Jahrhunderte leben, und zeigt: Überdauerung allein macht nicht sinnerfüllt. Gerade weil wir vergänglich sind, tragen unsere Handlungen Gewicht. Frieden entsteht dort, wo wir den Augenblick ernst nehmen, wo wir das Andere nicht als Bedrohung, sondern als Möglichkeit begreifen. Auch die Antikriegsliteratur des 20. Jahrhunderts – von Remarque bis Sachs – wusste um die fragile Grenze zwischen Menschlichkeit und Barbarei. In vielen dieser Texte klingt eine Sehnsucht an, die der Weihnachtsbotschaft verwandt ist: die Sehnsucht nach einem Ort, an dem das Leben zählt, bevor es geopfert wird. Weihnachten erinnert an eben diesen Ort – an eine Krippe, die zum Symbol des Widerspruchs gegen Macht und Zerstörung wird.
Spirit von Frieden im Kleinen
Aber auch entlang der Weltliteratur gibt es hervorragende Beispiele, mögen die Weihnachtsgeschichten auch noch so kurz sein. "Sechs silberne Saiten“ von Frank Goosen sei an dieser Stelle im Besonderen erwähnt, dem es auf gerade mal 94 Seiten gelang eine sehr lässige und feinfühlige Weihnachtsbotschaft zu schreiben, die alle Ingredienzien erfüllt, die das schneegrieselige und das irgendwie alles-sei-hoffnungslos in eine Zuversicht bringt, die den Spirit von Frieden im Kleinen über das ganz Große rückt. Ganz wichtig in dieser Geschichte ist auch ein Lied von Johnny Cash, "I Still Miss Someone", denn die Popkultur hat diese Sehnsucht längst aufgegriffen.
Friedensappell in Weihnachtsliedern
Das Lied "Happy Xmas (War Is Over)“ von John Lennon und Yoko Ono ist nicht nur ein Weihnachtslied, sondern auch ein Protestlied mit der Aufforderung: "War is over, if you want it.“ Oder das Duett "Peace on Earth/Little Drummer Boy" von David Bowie und Bing Crosby, das die klassische Weihnachtsmelodie mit dem Friedenswunsch nach "Peace on Earth“ verbindet. "Do You Hear What I Hear?" wiederum ist ein Weihnachtslied, das im Oktober 1962 entstand, mit einem Text von Noël Regney und einer Komposition von Gloria Shayne. Das Ehepaar schrieb es als Friedensappell während der Kubakrise. Das Lied hat sich weltweit zig Millionen Male verkauft und wurde von Hunderten von Künstlern interpretiert. Regney ließ sich zu den Zeilen "Said the night wind to the little lamb, ‘Do you see what I see?’“ und "Pray for peace, people everywhere“ inspirieren, nachdem er in New York sah, wie Babys in Kinderwägen über die Gehsteige geschoben wurden. Shayne erklärte Jahre später in einem Interview, dass keiner von beiden das Lied damals vollständig habe singen können, weil sie von den Emotionen der Kubakrise überwältigt gewesen seien: "Unser kleines Lied hat uns aus der Fassung gebracht. Sie müssen bedenken, dass damals eine reale Kriegsgefahr bestand."
Der Friede ist nicht verloren, solange wir ihn noch besingen
Und als auf dem Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs die feindlichen Soldaten die Waffen niederlegten, ohne offizielle Waffenruhe und gegen den erklärten Willen ihrer Kommandeure, war dies Ungehorsam im Geiste der Brüderlichkeit über die Schützengräben hinweg. Auch hier gibt es zwei Weihnachtslieder aus den frühen 1980er Jahren, die daran erinnern, "Pipes of Peace" von Paul McCartney und "Stop the Cavalry" von Jona Lewie. Über den Traum von Liebe und der Kraft von Frieden singt ganz aktuell auch die österreichische Band The Lemon Club auf dem Album "Every Christmas" im Lied "The Christmas Waltz". Da heißt es u.a.: "Do you remember? / What peace has felt like / What war’s taken from us / The tender and bright". Diese Pop-Weihnachtslieder, oft nur als sentimentale Weihnachtspopmusik wahrgenommen, sind in Wahrheit kleine liturgische Gesten einer säkularen Welt. Sie sagen: Der Friede ist nicht verloren, solange wir ihn noch besingen.
Das eigentliche Weihnachtswunder
Papst Leo XIV. hat in seiner ersten Weihnachtsansprache denselben Gedanken ausgesprochen, dass es keinen Frieden ohne Umkehr des Herzens gibt, und dass es der Friede des Entwaffneten ist, der dem anderen in seiner Verletzlichkeit begegnet. Nicht zufällig heißt daher sein erstes offizielles Buch auch "Frieden!", das mit einer Sammlung erster Botschaften und Ansprachen an unterschiedlichstes Publikum aufwartet. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Weihnachtsbotschaft "Friede auf Erden" eine Dreifaltigkeit von Bedeutung: literarisch-existentiell, pop-kulturell-symbolisch und kirchlich-theologisch. Und wir sind aufgerufen, sie neu zu hören. Nicht als Utopie, sondern als Wegweisung. Vielleicht ist dies das eigentliche Weihnachtswunder: dass in uns, gerade in unserer Endlichkeit und Unsicherheit, der Friede beginnen kann. In uns. Und somit in der Welt. //
Text: Manfred Horak
Illustration: Jeff Jacobs / pixabay
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