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ratzinger-plakatWien-Betrachtungen eines Germanen, Teil 1.
FAZ statt Minarett: Ist ein katholischer Deutscher die Potenz des Bösen, sind Deutsche gefährlicher als Muslime und gibt es zu viele Deutsche in Österreich? Von Peter Baumgarten.




Ja, ja, ja, man kann es eh schon nicht mehr hören: Wir Deutsche bilden die größte Migrantengruppe Österreichs. Längst sind nicht mehr nur Skihütten vom morbus germanicus befallen, NC-Flüchtlinge okkupieren sämtliche Universitätsstädte der Republik, in denen jeder sich zum Psychologen oder Mediziner ausbilden lassen kann. Der Zustand erinnert ein wenig an die legendäre Türkenbelagerung. Wahlweise an die Annektierung von 1938. Alles geht nur subtiler vonstatten, der Eroberung erfolgt nicht von oben oder außen, sondern von innen. Österreich wird allmählich durchsetzt vom Piefke-Pilz.

Wir sind wirklich eine Plage, ein Parasit, ein Virus

"Wir sind gekommen um zu bleiben" heißt ein jüngst erschienenes Büchlein, indem Deutsche ihre Geschichte erzählen, die hier eigentlich nur kurz Station machen, dann aber doch nicht mehr weg wollten. Der paradoxe Titel, schließlich hatten die wenigsten die Absicht zu verweilen, kann gut Motto der "neuen Ausländer" sein. Hier ist es schön, hier ist Kultur, hier weiß man zu leben und Geld gibt's auch zu verdienen. Glaubt man dem Kandidaten für das Bürgermeisteramt in Wien, der sich gerne als blauäugiger Messias konstruiert, ist das ganze Land tatsächlich ein Mekka für Sozialschmarotzer. Wer damit gemeint sein könnte? Der nachgeholte Anhang türkischer Gastarbeiter. Wer damit gemeint ist? Die Deutschen. Klauen den Einheimischen die gut dotierten Arbeitsplätze, machen ihnen im universitären Titelrennen die Plätze streitig - und zahlen nicht einmal Startgebühr. Das Schlimme: Diese Anschuldigungen sind ausnahmsweise fundiert. Wir sind wirklich eine Plage, ein Parasit, ein Virus. Über das allmächtige Mittel Fernsehen zwingen wir auch allmählich die letzte Bastion des österreichischen Immunsystems in die Knie: Die eigene Sprache. Ich als süddeutscher Schönwetter-Katholik fühle mich absurderweise wie eine restaurative Kraft, wenn ich "Grüß Gott" benutze. Man hält mich im österreichischen Freundeskreis für einen christlichen Fundi und potenziell rückständig. Da wittere ich falsch verstandene Aufklärung, norddeutsch-protestantische Manipulation - was red ich! - preußisch-ruchlose Kulturunterminierung. Ohne Dogmatik: Sind sinnentleerte religiöse Sprachrudimente weniger schützenswert als ein Flakturm? Droht meinem Refugium Österreich das Mallorca-Schicksal? Die teutonischen Jumbojets sind bereits gelandet.

Wie eine Tankstelle ohne Sprit

Wenn die Abwanderung aus meiner Heimat so weiter geht, werden sich deutsche Volksparteien ihr Selbstbewusstsein bald im Ausland holen und in der Kaiserstadt eine Dependance aufmachen müssen. Keine Wahlerfolge mehr in Hamburg, Hessen oder Sachsen, nein, in Wien. Die Wähler sind halt emigriert in die Offshore-Biosphäre, ins Qualitätsexil, da muss man mitziehen. Problem nur, wohin mit den ganzen Österreichern? Deportation in die Nikotin-Oasenfreie Kaffeehaus-Wüste zwischen Rhein und Oder? Natürlich nicht. Österreich ohne Österreicher wäre wie eine Tankstelle ohne Sprit. Es gäbe keinen Grund hinzugehen. Außerdem braucht jeder Egel seinen Wirt. Wäre übrigens auch was für ein Wiener Wahlplakat: "Nur fremdes Blut schmeckt wirklich gut!" (pb)

peter-mussler
Peter Baumgarten ist einer der Quotengermanen bei Kulturwoche.at, eben hier Praktikant, und als ordentlicher Student der Germanistik an der Universität Wien inskribiert.