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erinnerungsbueroDie Wiener Festwochen haben den Schweizer Dramaturgen Mats Staub und sein "Erinnerungsbüro" nach Wien geholt. Jeder Besucher muss selbst entscheiden, in wessen Erinnerung er eintauchen möchte. Die Zeit zwingt zu einer raschen, subjektiven Auswahl der sehr persönlichen, ungefilterten Geschichten. Im Erinnerungsbüro hört jeder etwas anderes.

 

 



Seit 2006 werden im Erinnerungsbüro Geschichten von Enkeln über ihre  Großeltern gesammelt. Altersmäßig gibt es keine Einschränkung, der Jüngste geht noch zur Schule, die Älteste ist selbst schon Großmutter. Befragt wurden für die Wiener Edition 40 Enkel aus Wien, 200 sind es insgesamt. Jeder Besucher bekommt einen iPod und muss selbst entscheiden, in wessen Erinnerung er eintauchen möchte. Ob er lieber etwas über die Vater- oder die Mutterseite hören möchte. Ob auf Deutsch, Schwyzerdütsch oder englisch. Ein Track dauert zwischen 5 und 25 Minuten. 90 Minuten sind für den Aufenthalt im Büro vorgesehen. Als Orientierungshilfe gibt es eine lange Fotogalerie mit alten Portraits und Schnappschüssen aus den Familienalben. Jeder Enkel hat eine Nummer, mit der man sich im Archiv zurechtfindet. Man kann aber auch nach Herkunft auswählen. Vier große Landkarten (Welt, Europa, Österreich und Wien) sind mit Stecknadeln bespickt, die auf die jeweiligen Gespräche verweisen.

Woher komme ich?

Mit der Recherche begonnen hat Mats Staub bei sich selbst. Seine Großeltern haben sich in Tansania kennen gelernt. In der Schweiz hätten Bauernsohn und erinnerungsbuero_04Professorentochter damals kaum zu einander gefunden. Dazu gibt es ein spektakuläres Bild: der Großvater mit einem toten Leoparden über den Schultern. Die Lücken in der Familienchronik sind seit Projektbeginn weniger geworden. Geforscht wird bis ins 19. Jahrhundert. Gefragt wurde nach Herkunft, Lebenslauf, Begegnung der Großeltern. Wie waren sie als sie jung waren? Gar nicht so einfach, etwas über frühe Beziehungen zu erfahren. Bruchstückhaft wird rekonstruiert. Ursula hat nicht nur eine Oma, sondern auch eine Stiefoma. Wie das genau war, als die Stiefoma zu Opa kam, darüber wurde nie geredet. War die Stiefoma schon vor dem Tod der Oma die Geliebte von Opa? Die Tante war erst wenige Monate alt, als die "echte" Oma starb. Ihre Verwandtschaftsverhältnisse erfuhr sie erst mit 18 beim Schulabschluss, als sie die entsprechenden Dokumente verlangt wurden. Wir hören Ursula zu, wie sie sich erinnert, Denkpausen inklusive. Der Großvater dürfte ein jähzorniger und gar nicht so netter Mann gewesen sein, "eigentlich gar nicht so super" wie zu ihr als Enkelin. Als Ergänzung gibt es die mitunter stark abweichende Erzählung von ihrem Onkel Franz.

erinnerungsbuero_08Wohin gehe ich?

Großeltern als Verbündete gegen die Eltern, zum Pferde stehlen. So möchten die Befragten auch von ihren Enkeln einmal beschrieben werden. Fast alle haben ihre Omas und Opas in guter Erinnerung und wollen einmal sein wie sie. Kriegsgeschichten werden sie hoffentlich nicht zu erzählen haben. Zwischen den Lounge-artig aufgestellten Fauteuils stehen vier Fernseher, auf denen die Stimmen Gesichter bekommen und die gleichen Fragen beantworten. Z.B. "Welche Gegenstände hast du von deinen Großeltern?"

Wer bin ich?

Alles eine Frage der Tradierung. Ist genug Zeit vergangen und etwas nur vom Hörensagen erinnerungsbuero_07bekannt, wird so manche Legende zur Tatsache. Anderes verschwindet durch beharrliches kollektives Schweigen. Mats Staub meint, die Wiener hätten mehr Zweifel an der Überlieferung und würden mehr hinterfragen, als die Deutschen. Die Arbeit ist nie abgeschlossen. Um 17 Uhr wird am Schreibtisch für alle sichtbar noch gearbeitet. Jeder Besucher ist eingeladen, seine Erinnerungen auf einer Karteikarte zu hinterlassen und fünf Stecknadeln für die eigene Geschichte zu setzen. Spätestens beim Verlassen des Büros fragt man sich: Wer waren meine Großeltern? (Text: Christine Koblitz; Fotos: Archiv Erinnerungsbüro)

Kurz-Infos:
Erinnerungsbüro, Meine Großeltern
Bewertung: @@@@
Spielort: Ursula Blickle Lounge in der Kunsthalle Wien/MQ im Rahmen der Wiener Festwochen

Idee, Konzept, Leitung / Mats Staub
Ausstattung / Eva-Maria Schwenkel
Dramaturgie / Elisabeth Schack
Mitarbeit / Svetlana Marchenko, Karl Baratta

Weitere Termine:
27. Mai bis 7. Juni 2009
Täglich jeweils um 17 Uhr, 18.45 Uhr und 20.30 Uhr