Luzifer Filmkritik Greta Kogler

Das Destruktive, das dem Menschen innewohnt, agiert als externe Kraft in Peter Brunners neuem Kinofilm. Eine Luzifer Filmkritik.

Mit leidenschaftlicher Düsterheit erzählt die Geschichte von Johannes und Maria von dem quälenden Leid der menschlichen Existenz in einem menschenfeindlichen Diesseits. Luzifer Filmkritik von Greta Kogler.

Die Hölle ist leer. Die Hölle sind wir.

Der geistig beeinträchtigte Johannes und seine streng gläubige Mutter Maria leben als Einsiedler im Hochgebirge. Sie haben der zivilisierten Maschinerie den Rücken zugekehrt, doch fallen ihr Widerwillen zum Opfer, als die touristische Erschließung im Gebiet ihre naturnahe Heimat zu zerstören droht. Die Natur stellt dabei kein heiliges Idyll dar. Harte Novemberkälte und unerbittliche Nebelschwaden umgeben die Isolierten in ihrem Rückzug. Und so stellen diese kompromisslosen Mächte eine Gewalt dar, die nicht mit dem Destruktiv des Menschen gleichzusetzen sind. So ähnelt die Thematisierung des Dramas der menschlichen Existenz in LUZIFER an Jean-Paul Sartres Geschlossene Gesellschaft. Der Mensch gefangen in seinem Dasein als Gepeinigter und Peiniger seiner selbst.

Gefangen zwischen Gut und Böse

Der Glaube an Gott und die Huldigung an etwas Übermenschlichen, geben Johannes und Maria Halt, doch das Teuflische bedroht sie trotz ihrer Absonderung von der modernisierten Realität. Lärmende Flugobjekte invadieren ihren alpinen Garten Eden wie apokalyptische Reiter und verstören Johannes, dessen Leben auf zwei Bezugspunkten baut. Jener innigen Bindung zu seinem Adler und seiner von teils verstörender Intimität geprägten Beziehung zu seiner Mutter. Einer analytischen Selbstreflexion oder einer Distanzierung vom spirituellen Fanatismus seiner Mutter nicht mächtig ist Johannes Orientierungssystem eingegrenzt durch die Absoluten des Glaubens, Gut und Böse, und durch die Bedingungen der unmittelbaren Natur. Zu dieser empfindet er allerdings eine aus ihm selbst entstandene Spiritualität. Johannes steht außerhalb von einer rationalisierten Welt, weshalb ihm die aufoktroyierten Gesetzmäßigkeiten der Mutter Maria letzten Endes zum Verhängnis werden.

Die feminine Energie als Weg zur Versöhnung mit der Welt

Brunners Werke werden oft getragen von signifikanten Darsteller*innen. Nach To The Night (2018), worin bereits Hollywood-Actor Caleb Landry Jones brillierte, ist es nun der deutsche Shooting Star Franz Rogowski, der als Repräsentant der Unschuld betört inmitten einer omnipräsenten, schuldbelasteten Menschheit. Auch wenn seiner Figur aufgrund der mentalen Einschränkung so vieles Unverständlich sein müsste, so gibt es kein Missverständnis im Umgang mit Natur. In diesem Sinne ist LUZIFER ein philosophischer Film. Es ist das Berühren, das Fühlen, das Sinn schafft. Die feminine Energie ermöglicht erst Einklang und Symbiose. An Rogowskis Seite ist es Susanne Jensen, die beeindruckt. Die deutsche Künstlerin, Pastorin und geoutete Missbrauchsüberlebende erschafft eine Figur, die voller Klarheit und Widerspruch, das Gute sucht. Als volltätowierte, kahlgeschorene Widerstandskämpferin vereint Jensen Demut und Hochmut. In ihrem Antlitz schwingt unverkennbarer Erfahrungswert mit, der unter die Haut geht.

Luzifer Filmkritik Greta Kogler Foto Stadtkino Filmverleih

Von allen guten Geistern verlassen

LUZIFER zeigt die entstellte Welt ausschließlich in der Natur, abseits von Zivilisation. Die destruktive Seinsweise des Menschen wird in Form von visueller Poesie befragt. In gefühlvoller Ästhetik, die an Terrence Malicks sinnliche Beobachtung erinnert, bildet Peter Brunner ein pointiertes Emblem für eine vergessene, ganzheitlichere Lebensweise. Doch LUZIFER ist ein Film der Peinigung. Aus diesem Grund durften auch Bilder der Verstörung in Horror-Movie-Manier nicht fehlen. Brachial, kompromisslos, in your face. Keine Beschönigung der erbarmungslosen Natur, dafür Sinnbilder der destruktiven Natur des Menschen. Diese Gewalt durchdringt auch auf der Soundebene, die Stimmen und Störgeräusche instrumentalisiert, um das Unbehagen in der Kultur der Profitgier zu transportieren. Stilistisch reiht sich dieses düstere Werk Brunners in seine vorhergegangenen Filme wie TO THE NIGHT und JEDER DER FÄLLT HAT FLÜGEL. Die Flammen durften nicht fehlen.

Des Teufels Finger zeigt auf uns

Letzten Endes ist LUZIFER eine Sinnesfrage, ein Kunstwerk. „Ich wollte Menschen zeigen, die sich auf Wesentliches zurückbesinnen. Als Aussteiger aus der digitalen Umweltverschmutzung suchen sie Spiritualität in der Natur“, so Peter Brunner. Der Spiritualität wird als Antidote zur Überrationalisierung und dem damit einhergehenden Absolutheitsanspruches in einer ambivalenten, komplexen und  mystischen Welt eine anregende Rolle verliehen. Eine Aushandlung und Befragung einer toxischen Lebensart, die einen bildgewaltigen Beitrag zu einem hochaktuellen Diskurs darstellt. LUZIFER spricht über uns alle, ist schwer, hat Mehrwert. Das ist Kunst. //

Luzifer Filmkritik von Greta Kogler

Fotos: Stadtkino Filmverleih

Regie, Drehbuch, Schnitt: Peter Brunner
Kamera: Peter Flinckenberg
Produzent: Ulrich Seidl
Ton: Klaus Kellermann
Musik: Tim Hecker

Gefällt Ihnen der Artikel? Jeder Beitrag zählt!
paypal.me/gylaax
Kulturwoche.at ist ein unabhängiges Online-Magazin, das ohne Förderung von Bund/Stadt/Land bzw. Großsponsoring auskommt.

 

Luzifer Filmkritik Gylaax