Der russische Filmemacher Viktor Kossakovsky hat mit der Dokumentation "Aquarela" ein wahres Meisterwerk geschaffen.

Er nimmt uns auf eine Reise in verschiedene Orte auf der ganzen Welt mit, in denen das Element Wasser das Leben der Menschen immens beeinflusst. Am Baikalsee lernen wir die Unberechenbarkeit des Wassers im Festzustand kennen, die aufgrund der Erderwärmung stets noch stärker wird. In direkter Verbindung dazu stehen die in Grönland beobachteten Abbrüche von Eisbergsegmenten, die im Wechsel mit dem Meer verdrängen bzw. verdrängt werden. Auf der Atlantiküberquerung von Portugal aus werden wir Zeugen eines Jahrhundertsturms, der das Boot nicht wie geplant nach Grönland, sondern nach Kanada bringt. Dabei hat der Regisseur den Fokus auf die meterhohen Wellen gelegt, die sogar im Kinosaal eine leichte Seekrankheit auslösen können. Und in den USA hat sich das Filmteam mitten in einen gewaltigen Sturm gewagt, um die Naturkraft des Windes anhand der durchpeitschten Palmen zu zeigen.

Glucksende Bilder

All diese imposanten Einstellungen hat Kossakovsky mit 96 Bildern pro Sekunde aufgenommen, anstatt der üblichen 24 (im Vergleich: "Der Hobbit" von Peter Jackson wurde mit 48 Bildern/Sekunde aufgenommen; Anm.). Damit konnte er die verschiedenen Ausformungen des Wassers in all ihren Unterschieden und ihrer Schönheit aufzeichnen. Doch nicht nur die visuelle Komponente steht im Vordergrund, sondern auch der Ton trägt einen erheblichen Beitrag zum Spannungsaufbau bei. Mit den natürlichen Tonaufnahmen des Knacksens und Krachens des Eises, den Geräuschen der Luftblasen unter Wasser unterhalb der Eisdecke und dem Brechen der Wellen wird der Zuschauer in den Bann gezogen. Man vergisst dabei seine Umgebung und taucht in die Nässe und Gefahr ein. Einzig der teilweise unterlegte Cello Metal von der finnischen Band Apocalyptica vermag einen wieder ins Hier und Jetzt zu holen. Sie dient quasi als Rettungsanker, auch für die Nicht-Fans dieses Musikgenres.


Unendliche Suspense

Die (Plan-)Sequenzen sind teilweise so lang, dass man sich zwischendurch wünscht von der immensen Spannung erlöst zu werden. Denn die Wellen auf hoher See erinnern an Schlüsselszenen kurz vor dem vermeintlichen Untergang des Bootes in diversen Filmen wie "The Perfect Storm" oder "Adrift". Doch Kossakovsky reizt den Rahmen für die Dauer einer Einstellung aus und steigert damit die Suspense. Da hinzu kommen noch die rasende Geschwindigkeit von fallendem Wasser bzw. schnellen Schwenks der Kamera, die eine Art Achterbahnfahrt simulieren.

Die Natur hat ihre eigenen Gesetze, die der Mensch befolgen sollte

"Aquarela" ist ein unglaubliches Bild- & Tonerlebnis, das sich als Ode an die Gewalt und die Schönheit des Wassers versteht. Kossakovsky wollte damit auch auf die Idiotie des Menschen aufmerksam machen, der immer noch glaubt über die Natur herrschen zu können. Doch die Natur hat ihre eigenen Gesetze, die der Mensch befolgen sollte und nicht umgekehrt. Somit überzeugt "Aquarela" nicht nur auf ästhetischer Ebene, sondern spornt das Publikum auch zur Reflexion über die Beziehung zwischen Natur und Mensch an und stellt deshalb das Highlight meines Besuchs der Viennale 2018 dar. //

Text: © Nina Elisabeth Isele
Fotos: © Viennale

Film-Tipp:

Aquarela
Bewertung: @@@@@@
Dauer: 89min. (2018)
Land: GB/D/DK/USA
Die Filmkritik entstand im Rahmen der österreichischen Erstaufführung bei der Viennale 2018

Regie: Viktor Kossakovsky
Drehbuch: Viktor Kossakovsky, Aimara Reques
Kamera: Viktor Kossakovsky, Ben Bernhard
Schnitt: Viktor Kossakovsky, Molly Malene Stensgaard, Ainara Vera
Musik: Eicca Toppinen (Apocalyptica)
Produktion: Aconite, Ma.Ja.De Film, Danish Documentary Production, Louverture Films, Anorak Film
Weltvertrieb: Lionsgate